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15. Februar 2009. Analysen: Politik & Recht - Sri Lanka Zwischen den Fronten

Der Bürgerkrieg in Sri Lanka macht Hunderttausende zu Flüchtlingen und lässt die politische Gewalt eskalieren

Die Armee Sri Lankas hat die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) militärisch nahezu besiegt. Über 200.000 Zivilisten sind zusammen mit den letzten Kampfeinheiten der tamilischen Rebellen eingekesselt. Die in den vergangenen Monaten eroberten Gebiete und Städte sind teilweise so schwer zerstört, dass ein Großteil der Bevölkerung fliehen musste, aber weiterhin Übergriffen seitens der Kampfparteien ausgeliefert ist. Unabhängigen Beobachtern wird immer noch der Zugang in den von den Sicherheitsdiensten isolierten Nordostteil der Insel verwehrt. Lokale Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichten von katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingslagern. Der vermeintliche Antiterrorkampf gegen die LTTE und angebliche Unterstützer führt zu einer landesweiten Eskalation der Gewalt und politische Morde fordern prominente Opfer.

Sri Lankas Verteidigungsstaatssekretär Gotabaya Rajapaksa war ungehalten, er wollte sich seinen Sieg über die Rebellen der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) nicht schmälern lassen. Der jüngere Bruder von Präsident Mahinda Rajapaksa drohte am 31. Januar 2009 in der Hauptstadt Colombo offen ausländischen Botschaftern, Medien und internationalen Organisationen mit "harten Konsequenzen". Gerade jetzt, wo man "die Terroristen der LTTE endgültig zerschmettere", handelten ausländische Kräfte seiner Meinung nach "unverantwortlich". Der Tageszeitung The Island zufolge kritisierte Rajapaksa, dass UN-Hilfsorganisationen und das Internationale Rote Kreuz zusammen mit CNN, BBC und al-Jazeera in ihren Berichten das zivile Leid übertreiben würden. Ausländische Diplomaten, besonders der deutsche und der schweizerische Botschafter, versuchten mit ihrem Ruf nach Verhandlungen die LTTE künstlich am Leben zu halten.

Gerne hätten die Rajapaksas ihrem Land zum 61. Unabhängigkeitstag am 4. Februar den Sieg über die LTTE präsentiert, was einen großen Propagandacoup dargestellt hätte. In der Tat steht der militärische Konflikt im Nordosten des südasiatischen Inselstaates kurz vor einer wichtigen Zäsur. Die seit 1983 gegen die Regierung kämpfenden Tiger halten nach dem Verlust der Stadt Mullaitivu nur noch ein Gebiet von rund 140 Quadratkilometern – was ungefähr der Fläche Bonns entspricht. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht hatten die LTTE dagegen rund ein Drittel der Insel kontrolliert und dort einen Parallelstaat aufgebaut. Die Tiger verfügten zeitweilig sogar über eine schlagkräftige Marine, 2002 war es ihnen gelungen, die Regierung zu einem Waffenstillstand zu bewegen.
Doch die Zeit arbeitete gegen die Tiger. Sie versäumten nicht nur, innertamilische Konflikte zu lösen, sondern verschärften sie durch den autokratischen Führungsanspruch der Clique um LTTE-Chef Velupillai Prabhakaran. Die Regierung wiederum verhinderte nach dem Tsunami von 2004 gezielt, dass die LTTE-Gebiete angemessene Hilfe bekamen. Hochrangige Tiger aus dem Osten stellten sich auf die Seite der Regierung, Prabhakarans Guerilleros wurden schrittweise zurückgedrängt, schließlich kündigte die Regierung im Januar vergangenen Jahres den Waffenstillstand offiziell auf.

Vormarsch der Armee löst Flüchtlingsdrama aus

Anfang dieses Jahres gelang es der Armee, die Stadt Kilinochchi, den Sitz der LTTE-Führung, einzunehmen. Danach ging es Schlag auf Schlag, am 25. Januar fiel Mullaitivu. Beide Städte sollen nahezu zerstört und die Bevölkerung größtenteils zur Flucht gezwungen worden sein. Unabhängige Berichte aus dem Nordosten der Insel gibt es kaum, da sowohl Medien als auch internationalen Beobachtern und Hilfsorganisationen wegen "Sicherheitsbedenken" seit Monaten kein Zugang gewährt wird. Deren lokale Partner zeichnen ein düsteres Bild der Lage – die Infrastruktur sei weitestgehend zerstört, die Versorgungslage in den eroberten Gebieten mangelhaft. Es herrsche ein Klima der Angst, da die Armee und die mit ihnen verbündeten Milizen, Zivilisten als potenzielle Tiger oder deren Unterstützer betrachten.

Die Bevölkerung muss in Flüchtlingslager ziehen – oft unfreiwillig. Offiziell heißt es, nur so könnte derzeit ihre Versorgung gewährleistet werden. Von tamilischer Seite wird dies dagegen als Zwangsumsiedlung gewertet, da so langfristig die Selbstversorgung zerstört werden dürfte, weil die Äcker nicht mehr bestellt werden können. Da außerdem auch keinerlei Wartungs- und Wiederaufbaumaßnahmen an der Infrastruktur möglich wären, würde dies ein Leben in den bisherigen Siedlungen unmöglich machen. Berichten des LTTE-nahen TamilNet zufolge sollen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung in diesen "Internierungslagern" (detention camps) an der Tagesordnung sein. Am 8. Februar sprengte sich eine Attentäterin, die dem Militär zufolge den Black Tigers (den Selbstmordkommandos der LTTE) angehörte, an einem Kontrollpunkt vor einem der Lager in Visuamadu östlich der Stadt Kilinochchi in die Luft und tötete dabei 15 Soldaten und acht Zivilisten.

Zivilisten zwischen den Fronten

Äußerst dramatisch ist die Lage in den noch von den Tigern gehaltenen Gebieten. Diese bestehen überwiegend aus Dschungel und Sümpfen. Mindestens 2.000 Kämpfer haben sich dort verschanzt, darunter auch LTTE-Frauenregimenter sowie Kindersoldaten, die in den letzten Monaten wieder vermehrt rekrutiert worden sein sollen. Zwischen 200.000 bis 300.000 Zivilisten sollen dort zusammen mit ihnen eingekesselt sein. Die Armee weist zwar so genannte Schutzzonen aus, die jedoch kaum Sicherheit bieten. Die LTTE beschuldigt die Armee, Hospitäler und Schulen wiederholt mit Artillerie, Kampfhubschraubern und Bombern in diesen Gebieten anzugreifen. Das Militär hingegen wirft den Tigern vor, die Menschen als Schutzschild zu missbrauchen.

Nachdem in den vergangenen Wochen Hilfsorganisationen – trotz der bekundeten Absicht beider Kriegsparteien, zumindest einen schmalen Korridor entlang einer Straße ins umkämpfte Rebellenterritorium einzurichten – tagelang nicht mit Versorgungskonvois passieren konnten, gelang es dem UN-Flüchtlingshilfswerk am 29. Januar erstmalig, Nahrungsmittel in den Kessel hinein und hunderte Verletzte heraus zu bringen. Was sie über die dortige Lage berichteten, führte zu den kritischen Stellungnahmen hochrangiger UN-Mitarbeiter. Denen folgten Appelle zahlreicher Staaten, worauf die Regierung Sri Lankas mit der einseitigen Ankündigung einer zweitägigen Waffenruhe am 1. Februar reagierte, die jedoch nur wenige Stunden hielt.

Triumph der Hardliner

Präsident Mahinda Rajapaksa und sein Bruder Gotabaya sind zusammen mit Generalstabschef Fonseka die Hauptnutznießer der militärischen Erfolge. Die Armee hat sich inzwischen ein Fünftel des Staatsetats gesichert. Mit einer in der Geschichte der Insel einmaligen Propagandaschlacht gelingt es ihnen, von der anhaltenden Wirtschaftskrise und den sozialen Missständen abzulenken. Die größte Oppositionspartei UNP gratuliert kleinlaut zu den Siegen der Kriegsherren. Der Großteil der Medien schart sich im nationalistischen Siegestaumel um den Präsidenten und seine Gefolgsleute. Der ließ sich feiern, als er jüngst die Fernstraße über den Elefantenpass zur Halbinsel Jaffna wiedereröffnete, die seit Jahren geschlossenen war, weil sich die Tiger dort fest eingeigelt hatten.

Gerne sieht es die Regierung, wenn die Presse Bilder von sich ergebenden LTTE-Kämpfern zeigt, die freundlich von der Armee begrüßt werden. Man sieht Dutzende tote tamilische Tiger, die angeblich von ihren eigenen Leuten ermordet wurden, weil sie als Verletzte beim Rückzug hinderlich waren. Das Militär präsentiert nach Eroberung einer geheimen Werft der Rebellen Mini-U-Boote, welche die LTTE für Selbstmordmissionen gebaut hätte. Der Guerillaführer Prabhakaran soll sich mit einem der drei verbliebenen Kleinflugzeuge der AirTigers ins Ausland abgesetzt haben, der Armeeführung zufolge vermutlich in Richtung Malaysia. Die politische Führung der LTTE widerspricht dieser Darstellung vehement, bleibt aber seit Monaten Foto- oder Videobeweise schuldig.

Politische Gewalt gegen Kritiker

Es herrscht eine landesweite Sicherheitshysterie, unzählige Checkpoints beherrschen in Colombo und andernorts das Straßenbild. Nach einem nahen Sieg sieht das nicht aus, vielmehr nach einem konstanten Belagerungszustand. Immer wieder gelingt es Selbstmordattentätern der Tiger sich in die Luft zu sprengen. Zugleich sind auch andere Extremistengruppen aktiv, die Sprengfallen legen, auf missliebige Personen schießen oder sie verschwinden lassen.

Wer gegen die rücksichtslose Taktik der Militärs und der Milizen ist oder die teilweise mafiösen Querverbindungen zwischen Politikern und Extremisten kritisiert, wird schnell als Feind gebrandmarkt. Journalistenverbände werfen Regierungsmitgliedern vor, starken Druck auszuüben – und können dies durchaus mit aufgezeichneten Drohanrufen belegen. Immer wieder kursieren Listen mit so genannten Staatsfeinden. Seit 2006 wurden amnesty international zufolge 14 Journalisten in Sri Lanka ermordet. Keine dieser Taten wurde aufgeklärt, obwohl an jeder Ecke ein Uniformierter der Polizei oder Armee steht.

Der private TV-Sender Sirasa, dem wiederholt von Ministern der Regierung Parteilichkeit zugunsten der oppositionellen UNP vorgeworfen wurde, bekam am 6. Januar ungebetenen Besuch von einer Gruppe bewaffneter Männer, die einen Großteil der technischen Anlagen zerstörten und Feuer legten. Verteidigungsminister Rajapaksa präsentierte prompt wenige Tage später angebliche Beweise, dass diese Attacke von Sender selbst initiiert worden sei. Seiner Ansicht nach sei Sirasa zu einer "Stimme der Tiger" geworden und wolle sich als Opfer stilisieren. Die Angestellten des Fernsehsenders wiederum berichten, dass die Attentäter in Beziehung mit dem Militär und den Sicherheitsdiensten stehen müssten, da sie mit Waffen und Sprengsätze aus deren Beständen ausgerüstet gewesen seien.

Tödliche Meinungsfreiheit

Wer versucht, einflussreiche Politiker mit den Kreisen gewalttätiger Extremisten in Verbindung zu bringen, die oft in einem Umfeld von ethnischen Nationalisten und organisierter Kriminalität sowie der Geheimdienste agieren sollen, muss um sein Leben fürchten. In Erwartung seiner eigenen Ermordung schrieb Lasanthe Wickrematunga, Chefredakteur des Sunday Leader, Anfang Januar den Artikel "Als sie mich holten". Er stellt darin fest: "Kaum ein Beruf verlangt, dass man sein Leben für ihn lässt, das tut nur die Armee und, in Sri Lanka, der Journalismus." Der Artikel behandelt den Nexus von politischer Gewalt und den Terror der LTTE sowie des Staates. Dem Präsidenten, mit dem er bis dahin freundschaftlich verbunden war, obwohl er erst kürzlich über eine dessen Bruder betreffende Korruptionsaffäre berichtet hatte, warf er darin Scheinheiligkeit vor und warnte ihn zugleich, er könne selbst ein Opfer der Gewalt werden. Am 8. Januar wurde Wickrematunga auf offener Straße in seinem Fahrzeug erschossen, mitten in einem der Hochsicherheitsgebiete der Hauptstadt, am Sonntag darauf erschien sein Artikel posthum.

Ernüchternder Ausblick

Der militärische Erfolg nutzt allenfalls der Armeeführung und einigen Regierungspolitikern. Eine gerechte und dauerhafte Lösung für die Minderheiten, allen voran die Tamilen, scheint derzeit unwahrscheinlich. Die Wunden nach 26 Jahren Bürgerkrieg werden alsbald nicht verheilen. Es ist damit zu rechnen, dass die LTTE weiterkämpfen wird, wenn auch eher mit Guerillaattacken und Terroranschlägen. Die militärische Lösung des Konflikts wird von dem Fehlen eines politischen Masterplans konterkariert, der eine Partizipation und Aufarbeitung des gegenseitigen Unrechts einschlösse. Die humanitäre Lage der Flüchtlinge ist katastrophal, die Versorgung unzureichend und Sicherheit vor Gewalt und Beschuss vielerorts nicht gewährleistet – und von den Kampfparteien vermutlich nicht gewollt.

Der Kampf gegen die LTTE dient ebenfalls als Rechtfertigung, um regierungskritische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Die Meinungsfreiheit wird stärker denn je bedroht. Wer sich gegen Gewalt und politischen Machtmissbrauch stellt, muss um sein Leben fürchten, egal ob Journalist, Menschenrechtler oder Gewerkschafter – wobei es längst nicht mehr nur um ethnische Zugehörigkeit oder Religion geht. Sri Lanka ist 61 Jahre nach seiner Unabhängigkeit noch weit von einer funktionierenden Demokratie und einem gerechten Frieden entfernt.

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