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14. April 2004. Analysen: Sport & Unterhaltung - Südasien Cricket - Sport und Politik

Vom 20. April an wird in Indien gewählt. Doch die Schlagzeilen der indischen Tageszeitungen werden momentan von anderen Themen bestimmt. Zum ersten Mal seit vierzehn Jahren reist das indische Cricket-Team durch Pakistan, um dort eine Reihe von Spielen zu bestreiten.

Auf den Titelseiten der Blätter stehen die Namen von Cricket-Stars. Die Kandidaten für die Wahl des 14. indischen Parlaments werden höchstens im unteren Bereich der ersten Seite erwähnt. Der Entscheidung von Premierminister Atal Behari Vajpayee, das indische Cricket-Team nach Pakistan zu "entsenden", ging eine wochenlange kontroverse Diskussion voraus.

Cricket ist in den Ländern Südasiens Nationalsport. Dem Schicksal des indischen Teams wird so aufmerksam gefolgt, dass während der Spiele teilweise das öffentliche Leben lahm liegt. Bei der Weltmeisterschaft in Südafrika im Vorjahr verwandelte sich das 14 Mio. Einwohner zählende Delhi in eine "Geisterstadt". Nahezu jeder verfolgte die Spiele, in Privathaushalten, Geschäften und Büros. Wenn das indische Team gewann, explodierten Feuerwerke ohne Gleichen. Bereits damals trafen Indien und Pakistan aufeinander. Dieses Spiel konnte Indien mit sechs Wickets für sich entscheiden. Es unterlag damals nur Australien im Finale und wurde Vize-Weltmeister.

Die Entscheidung, eine Reihe von Tests gegen Pakistan zu spielen, folgte nach der Konferenz der Südasiatischen Staaten für regionale Kooperation (SAARC) in Islamabad im Januar dieses Jahres. Indien und Pakistan einigten sich den abgebrochenen bilateralen Dialog wieder aufzunehmen und wollen die Bevölkerungen näher zusammenbringen. In diesem Zusammenhang steht der Cricket-Besuch.

Allerdings wurde in Indien heftig diskutiert, ob die Spieler in Pakistan sicher seien. Sie selbst hatten ihre Zweifel öffentlich bekundet. Ein Sprecher des pakistanischen Außenminister sicherte daraufhin zu, dass das indische Team denselben Schutz wie ein US-Präsident bekommen würde. Länder wie Neuseeland hatten ihre vorgesehenen Tests in Pakistan aufgrund von Sicherheitsbedenken abgesagt. Nachdem Premierminister Atal Behari Vajpayee sich persönlich der Frage gewidmet hatte, wurde dem indische Team die Cricket-Reise durch Pakistan ermöglicht. Schon bald nach der Entscheidung wurde in vielen indischen Medien der Erfolg der Cricket-Mannschaft mit dem Wahlerfolg der Regierungskoalition verbunden. Sollte dem Team irgendetwas zustoßen, dann seien Vajpayees Tage als Premierminister gezählt. Sollte Indien in der Gesamtzahl der Spiele Pakistan unterliegen, dann könnten die Wahlen spannend werden. Sollte Indien dagegen als Gewinner aus Pakistan abreisen, dann könne sich Vajpayee auf fünf weitere Jahre als Premierminister freuen.

Doch zuerst galt es sicherzustellen, dass indische Fans die Spiele live im Stadion verfolgen können. Die beiden Länder haben zwar Zug- und Flugverbindungen wieder aufgenommen, allerdings konnten bislang nur wenige Bürger die Grenze überqueren, weil die Botschaften weiterhin sehr restriktiv Visa ausstellen. Pakistan stimmte zu, unbürokratisch sogenannte "Cricket-Visa" für indischen Besitzer von Tickets zum Preis von 15 Rupien (ca. 30 Cent) auszustellen. Der Kauf der Tickets für 1000-2000 pakistanische Rupien (ca. 14-28 Euro) konnte sehr unproblematisch über das Internet abgewickelt werden. Allerdings war die pakistanische Botschaft in Delhi dem Andrang kaum gewachsen. Innerhalb kürzester Zeit gingen über 80.000 Anträge ein. Die Schlange vor der Botschaft nahm kein Ende. Deshalb entschloss man sich, ausnahmsweise an der Grenze Visa auszugeben, damit kein indischer Ticketinhaber enttäuscht umkehren muss.

Alles oder Nichts in Rawalpindi

Im Cricket gibt es zwei Varianten. Es gibt Eintages-Spiele, bei dem ein Gewinner am Abend feststeht. In der klassischen Variante kann ein Spiel aber bis zu fünf Tagen andauern. Oftmals enden Spiele unentschieden. Die Cricket-Verbände der beiden Länder einigten sich auf folgenden Ablauf: Den Anfang machten fünf "Eintages-Spiele" in Karachi, Rawalpindi, Peshawar und zweimal in Lahore. Im Anschluss stehen drei "Fünf-Tage-Spiele" auf dem Plan, zuerst in Multan, dann in Lahore und zuletzt in Rawalpindi.

Mit großer Begeisterung folgten die Zuschauer in beiden Ländern den Eintages-Spielen. Indien, bei den Buchmachern als Favorit gehandelt, konnte das erste Spiel am 13. März in Karachi für sich entscheiden. Es wurde mit großer Nervosität abgewartet, ob die Behörden der "Kriminalitätshochburg Karachi" der Aufgabe gewachsen seien, die Spieler ausreichend zu schützen. Die Angst vor Anschlägen herrschte in beiden Ländern. Nach dem ersten Match waren alle Zweifel zerstreut. Die Freude über den ersten Sieg des indischen Teams war überwältigend, schon jetzt waren die Spieler um Kapitän Ganguly Nationalhelden. Aber nach den Spielen in Rawalpindi am 16. März und Peshawar am 19. März lag das indische Team auf einmal 2-1 zurück. Von jetzt an reagierte die gesamte indische Öffentlichkeit nervös, denn nun galt es, die beiden letzten Spiele in Lahore für sich zu entscheiden, um eine Niederlage in der Gesamtwertung der Eintages-Testspiele abzuwenden. Doch das indische Team behielt die Nerven. Im ersten Spiel in Lahore am 21. März konnte es auf 2-2 ausgleichen. Am 24. März, dem letzten Spiel, ging dem Sieg ein erbitterter Kampf voraus. Und nach dem Spiel jubelte ganz Indien dem Team zu.

Am 28. März begannen die Fünf-Tage-Tests. In Multan gewann das indische Team mit einer sensationellen Leistung bereits nach dreieinhalb Tagen. Dieser Sieg wurde aufgrund des deutlichen Ergebnisses als historisch bezeichnet. In der Tat konnte Indien in seiner Cricket-Geschichte noch nie einen Fünf-Tages-Test gegen Pakistan gewinnen. Mit großer Euphorie trat das indische Team am 5. April in Lahore zum vorletzten Test an. Es präsentierte sich siegessicher. Entgegen der Erwartungen stand Pakistan hier aber bereits nach dreieinhalb Tagen als Sieger auf dem Podest. Da es mit 1-1 unentschieden steht, geht es in Rawalpindi für beide Teams um alles oder nichts. Zu Redaktionsschluss war der Spielausgang noch offen.

Die Entscheidung, das indische Team nach Pakistan zu schicken, hat der indischen Regierung Rückenwind verschafft. Die Beziehungen zum Nachbarland werden von dem "kulturellen Austausch" stark profitieren und bringen Leute aus beiden Ländern verstärkt zusammen. Entscheidend ist aber der Dialog zwischen den Bevölkerungen, der auch nach dem Spiel anhalten muss. Bereits jetzt wird in Erwägung gezogen, Pakistans Team für nächstes Jahr nach Indien einzuladen.

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