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13. Juli 2011. Analysen: Sri Lanka - Politik & Recht Demokratisierung oder Farce

Die "Transformation" der Karuna-Gruppe in Sri Lanka

Im März des Jahres 2004 sagte sich der Ostflügel der tamilischen Separatistenorganisation LTTE unter der Führung von Vinayagamoorthy Muralitharan alias Colonel Karuna Amman fast gänzlich von selbiger los. Zwar ging die LTTE traditionell mit aller Härte gegen die Abspaltung vor, doch konnte sie nicht verhindern, dass sich Karuna Ammans Anhänger als paramilitärische Einheit unter dem Namen Karuna-Gruppe formierten und die srilankische Regierung in der Folge bei der Bekämpfung der LTTE unterstützte. Im Jahr 2007 "transformierte" sich die Karuna-Gruppe dann in eine politische Partei und trat ein Jahr später bei regionalen Wahlen an. Vor dem Hintergrund der Vorwürfe schwerer Menschenrechtsverletzungen und intensiver Gewaltanwendung muss die Natur dieser Rebellentransformation jedoch äußerst kritisch hinterfragt werden.

Von Rebellen zu Politikern?

Die Transformation ehemaliger Rebellengruppen in politische Parteien gilt mittlerweile als ein allgemein anerkanntes Instrument der Bewältigung gewaltsamer Konflikte (Söderberg-Kovacs 2008). Für diese Ansicht spricht unter anderem, dass seit 1989 mehr als die Hälfte aller Friedensabkommen in machtbasierten Bürgerkriegen die Möglichkeit zur Bildung politischer Parteien aus ehemaligen Rebellengruppen erlaubt (Harbom, Högbladh & Wallensteen 2006). Als wohl populärstes Beispiel für eine erfolgreiche Transformation einer Befreiungsbewegung in eine bedeutende politische Partei kann in diesem Zusammenhang sicher der African National Congress (ANC) gelten.

Dem positiven Konsens steht allerdings auch Kritik entgegen. So werde durch die Machtteilung mit ehemaligen, nun in Parteien aktiven Rebellen die Anwendung von Gewalt belohnt (Mehler 2007). Zudem könne bei Ex-Insurgenten eine Art Ämterpatronage (office-seeking) beobachtet werden. Dabei ginge es weniger darum, anstelle von Gewalt nunmehr auf demokratischem Wege seine Ziele durchzusetzen, sondern um den Erhalt oder eine eventuelle Verbesserung des ökonomischen Status.

Die Entwicklung der TMVP

Der Split zwischen dem dominanten Nordflügel und dem Ostflügel der LTTE kam für die meisten Beobachter überaus unerwartet. Als Gründe für die Loslösung nannte Karuna selbst die permanente Marginalisierung der Ost-LTTE und ein latentes Desinteresse für die Belange der östlichen Bevölkerung (Perera 2004). Ein detaillierterer Blick auf die historischen Entwicklungen lässt jedoch auch eine andere Erklärung zu. Karuna erlangte in den 1990er und frühen 2000er Jahren während der erbitterten Kämpfe zwischen LTTE und srilankischer Regierung militärische Seniorität. Daher war der als Hardliner bekannte Karuna seit 2002 auch an den international vermittelten Friedensverhandlungen in Sri Lanka beteiligt, doch LTTE-interne Verdächtigungen der Korruption führten zu seiner Isolierung. Als Karuna daraufhin vor die im Norden ansässige Führung zitiert wurde und ihm aufgrund der strikten, LTTE-typischen Sanktionsverfahren eine Exekution drohte, entschloss er sich zur Abspaltung (Jeyaraj 2004).

Da die LTTE massive militärische Offensiven gegen die Karuna-Gruppe führte, konnte diese den Osten zwar nicht kontrollieren, wohl aber durch Unterstützung der Regierungstruppen ihre Existenz sichern und ihre Dominanz langsam ausbauen. In der Zwischenzeit gab sich die Gruppe den Namen TMVP (Tamil Makkal Viduthalai Pulikal oder Tamil People's Liberation Tigers). Dieser stellte den Alleinvertretungsanspruch der srilankischen Tamilen durch die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) schon allein durch die Namensgebung in Frage.

Kommunalismus und die Rolle der TMVP im Osten des Landes

Ein in Südasien weit verbreitetes Phänomen ist das des Kommunalismus. Außerhalb der Region unter dem Terminus Sektierertum bekannt, beschreibt es die Mobilisierung von Gewalt entlang religiöser Stereotypen durch Eliten. Diese Gewalt wird zwischen verschiedenen Gemeinschaften wirksam und bezieht sich explizit auf religiöse Identitäten (Pandey 2006). Dabei spielen politische Parteien meist eine tragende Rolle. Zu bemerken ist in diesem Kontext, dass Kommunalismus oftmals instrumentalisiert wird um politische, kulturelle oder ökonomische Ziele zu erreichen (Engineer 1991). Dabei identifizieren Eliten ihre Zielvorstellungen mit denen der gesamten Gemeinschaft und manipulieren diese somit bewusst. Kommunalismus kann in diesem Zusammenhang als ein Mittel der Herrschaftsausübung verstanden werden.

Seit dem Jahr 2008 ist in der Ostprovinz Sri Lankas ein starkes Wiederaufleben von Gewalt zwischen Tamilen und Muslimen zu beobachten. Die Ostprovinz beherbergt Singhalesen, Tamilen und Muslime sowie andere Gruppen und ist damit die wohl multiethnischste Region des Landes. Zwar kam es auch in der Vergangenheit zu Spannungen, doch trug die TMVP ironischerweise enorm zu den aktuellen Ausschreitungen bei. Nach ihrer Abspaltung im Jahre 2004 waren es Karuna-Kader, die radikalen muslimischen Gruppen ihre Waffen, Munition und Training gegen Geld anboten. Waren diese radikalen muslimischen Gruppen und die spätere TMVP anfangs damit beschäftigt, gemeinsam gegen die LTTE vorzugehen, hat die Dominanz der TMVP als verbleibender tamilischer Großakteur im Osten nun zu Spannungen zwischen den ehemaligen Kampfgenossen geführt. Bei gegenseitigen Racheaktionen werden dabei allerdings meist die gesamten Gemeinschaften zur Zielscheibe der Vergeltung.

Parteiinterne Konflikte

Wie die Transformationsforschung in vielfacher Weise belegt hat, ist der Wandel von einem System in ein anderes immer mit einer Fülle an Schwierigkeiten verbunden. Ein enormes Problem stellt für die TMVP dabei die interne Friktionalisierung dar. Herrschten unter der zentralen LTTE-Führung strenge Hierarchiemuster, so bedeutete die Abspaltung für die TMVP auch eine gruppeninterne Zerklüftung. So kam es seit 2007 zu Machtkämpfen zwischen dem offiziellen TMVP-Führer Karuna Amman und seinem Stellvertreter Sivanesathurai Chandrakanthan alias Pillayan. Diese resultierten in weiterer Gewalt, diesmal jedoch innerhalb der Partei selbst. So stürmten Karunatreue Truppen Büros des anderen Lagers und übernahmen mit Gewalt die Kontrolle über Parteieinrichtungen wie beispielsweise Zeitungen. Diese Zusammenstöße sind darüber hinaus oft verbunden mit Gewalt an Frauen und stellen so selbst den Frieden innerhalb der tamilischen Bevölkerung in Frage (Kamalendran 2009).

In der Zwischenzeit trat Karuna Amman der herrschenden Regierungsallianz (UPFA) bei und sicherte sich so ein Mandat im nationalen Parlament Sri Lankas. In der Logik dieses Schachzuges durchaus konsequent wurde er ferner am 9. März 2009 als Minister für Nationale Integration und Versöhnung vereidigt und nach dem Wechsel zu Präsident Rajapakse´s Sri Lanka Freedom Party (SLFP) als einer von fünf Vizepräsidenten der Partei bestimmt.

Karunas Parteiwechsel bedeutet für die TMVP den Verlust des prägendsten Charakters der Partei. Es war die persönliche Bindung an Karuna Amman, die so viele Menschen loyal hat zu ihm halten lassen. Er rekrutierte die TMVP- und ehemals LTTE-Kader persönlich, er proklamierte die Interessen der Ost-Tamilen und er war im Gegensatz zu vielen anderen erfolgreich in seinem Handeln. Nichtsdestotrotz müssen sich viele Tamilen im Osten des Landes fragen, wie ehrlich es Karuna mit der Vertretung tamilischer Interessen tatsächlich war. Zudem gilt auch Sivanesathurai Chandrakanthan (Pillayan) als charismatisch und führungsstark.

Ob die TMVP jedoch innerhalb der derzeitigen politischen Strukturen des autoritären "Familienunternehmens" Rajapaksa (Schlütter 2010) eine dauerhafte Rolle spielen wird bleibt abzuwarten. Trat sie bei den Regionalwahlen 2008 noch in Allianz mit der SLFP an, die von der Popularität der TMVP im Osten profitierte, so war dies bei den Parlamentswahlen 2010 nicht mehr der Fall. Hier verbuchte die TMVP mit knapp 20.000 abgegebenen Stimmen (laut Wahlkommission entsprach das 0,25 Prozent der landesweiten Votums) ein überaus schwaches Ergebnis.

Vorwürfe von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen

Die TMVP ließ sich im Jahr 2007 offiziell als Partei registrieren und trat als solche im März sowie im Mai 2008 bei regionalen Wahlen an, wobei sie die Mehrheit im Landtag der Ostprovinz erringen konnte und seither dort mit Sivanesathurai Chandrakanthan alias Pillayan den Ministerpräsidenten stellt. Allerdings wurde den Tamil People's Liberation Tigers in diesem Zusammenhang vorgeworfen, Mitglieder anderer Parteien und potentielle Wähler einzuschüchtern und deren Familienangehörige zu kidnappen.

Die TMVP durfte durch ihre Kooperation mit der Regierung zudem bewaffnet bleiben, so dass sie de facto ein Gewaltmonopol gegenüber anderen tamilischen Parteien im Osten des Landes innehatte. Neben den bereits erwähnten Gewaltvorwürfen im Kontext der 2008er Wahlen werden der TMVP ferner von Seiten internationaler Nichtregierungsorganisationen eine Fülle von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Darunter fallen Entführung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten sowie die Tötung politischer Gegner (Amnesty International 2008, Human Rights Watch 2007).

Wie ist die Entwicklung dieser Partei also zu bewerten? Jeroen De Zeeuw, führender Forscher auf dem Gebiet der Transformation ehemaliger Rebellenorganisationen, identifiziert ein Set an Faktoren, die einen erfolgreichen Wandel solcher Organisationen ausmachen. Dazu zählen neben der Übernahme parteistruktureller Mechanismen vor allem auch die Entwaffnung und Demobilisierung sowie der Gewaltverzicht (De Zeeuw 2008). Zwar hat das Verteidigungsministerium Sri Lankas mehrmals angekündigt, die TMVP zu entwaffnen und in die Armee sowie Einheiten der Polizei zu integrieren, doch sind solche Demobilisierungsmaßnahmen bislang noch nicht erfolgt.

Vor diesem Hintergrund müsste man der TMVP eine erfolgreiche Transformation in eine demokratisch agierende Partei sicherlich absprechen. Allerdings ist auch zu beachten, dass die Partei zu einer Zeit entstand, in der offiziell ein Bürgerkrieg in Sri Lanka herrschte. Analysiert man die Akteure allerdings in einer Nachkriegssituation, wie dies in der wissenschaftlichen Debatte meist geschieht, so darf man das Handeln der TMVP streng genommen erst seit Mitte des Jahres 2009 bewerten.

Die TMVP als politische Partei: Transformation oder Farce?

Hier ergibt sich ein normatives Dilemma: Eine rein wissenschaftliche Sichtweise würde die "Rebellentransformation" der TMVP eventuell relativer bewerten als es eine an liberalen Wertvorstellungen orientierte Politikperspektive tun würde. Zudem ist die akademische Forschung in Bezug auf den Wandel von Rebellengruppen zu politischen Parteien ein relativ neues und bislang wenig analysiertes Gebiet. Allerdings können einige aktuellere Entwicklungen eventuell ein erhellendes Licht auf diese Frage werfen.

Karuna Amman, der ehemalige LTTE-General, hat noch während des Bürgerkrieges seine Partei gewechselt und sich der herrschenden Regierungsallianz angeschlossen. Als Mitglied des Parlamentes besitzt er nun zwar demokratische Macht, muss sich jedoch dem Willen seiner Partei beugen. Diese lehnt die Ziele, für die Karuna in der Vergangenheit gekämpft hat, jedoch ab - der Verdacht des office-seeking liegt in Bezug auf die Person Karuna also nahe. Karunas Abkehr von der TMVP, sein Wechsel zur pro-singhalesischen SLFP und seine Rolle als Minister für Integration und Versöhnung dürften dabei in weiten Teilen der tamilischen Bevölkerung Bestürzung hervorgerufen haben.

Auch Karunas Nachfolger in der TMVP ist ein Parteienbündnis mit der Regierung eingegangen. Zwar trat sie in den Parlamentswahlen 2010 alleine an, macht jedoch bei jeder Gelegenheit die Loyalität und Verbundenheit gegenüber der UPFA von Präsident Rajapakse öffentlich (Daily Mirror 2010, The Colombo Times 2010) Die Tamil Makkal Viduthalai Pulikal muss sich somit zumindest in Teilen den Vorwurf des Opportunismus gefallen lassen. Symbolhaft scheint in dieser Hinsicht auch der bedeutend höhere Wahlerfolg der Tamil National Alliance (TNA), einem Zusammenschluss dreier tamilischer Parteien, die tamilische Interessen anscheinend authentischer repräsentieren als es die TMVP tut. Ferner kommt es immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen im Zusammenhang mit der TMVP. Ein Überführen des ehemals bewaffneten Kampfes in den parlamentarischen Kontext hat im Falle der Ex-Rebellenpartei somit bislang nicht stattgefunden.


Literatur

Amnesty International (2008): Sri Lanka: Karuna's presence in parliament a travesty of justice, 7th October 2008.

Daily Mirror & The Colombo Times, Monday 26th April 2010: TMVP continues with UPFA. Published online.

De Zeeuw, J. (2008): From soldiers to politicians. Transforming rebel movements after civil war, Boulder.

Engineer, A. (1991): Communal Riots in Post-independence India, London.

Harbom, L., Högbladh, S. & Wallensteen, P. (2006): Armed conflict and peace agreements, Journal of Peace Research, Vol. 43, No. 5.

Human Rights Watch (2007): Complicit in Crime. State Collusion in Abductions and Child Recruitment by the Karuna Group, Brief Vol. 19, No.1.

Jeyaraj, D.B.S. (2004): Tiger vs. tiger in eastern Sri Lanka, in: The Hindu, March 15.

Kamalendran, C. (2009): Pillayan-Karuna clash intensifies in East , in: The Sunday Times, September 20.

Mehler, A. (2007): Machtteilung - wohlklingendes Rezept mit vielen Risiken, GIGA Focus Nummer 3, 2007, German Institute of Global and Area Studies, Hamburg.

Pandey, G. (2006): The construction of communalism in colonial North India, Oxford & New Delhi.

Perera, J. (2004): Peace process and the LTTE split, in: HIMAL Southasian, Vol. 17, No. 03/04.

Schlütter, J. (2010): Sri Lanka nach den Wahlen 2010: Ein »Familienunternehmen«?, FES-Perspektive, Friedrich-Ebert-Stiftung, Referat Asien und Pazifik, Berlin.

Söderberg Kovacs, M. (2008): When rebels change their stripes - Armed insurgents in post-war politics, in: A. K. Jarstad & T. D. Sisk (Hrsg.): From war to democracy. Dilemmas of peacebuilding, Cambridge.

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