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Der Buddhismus entstand im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in Nord-Indien zu Zeiten umfangreicher gesellschaftlicher Umbrüche. Als Stifter gilt Siddharta Gautama, ein Prinz der Shakyas, der den Buddhismus als eine neue Religionsphilosophie im Gegensatz zur Vorherrschaft der Brahmanen propagierte. In Südasien assimilierte der Hinduismus im Laufe der folgenden Jahrhunderte den Buddhismus, und Buddha wurde zu einer Inkarnation Vishnus erklärt. Der Buddhismus entwickelte sich vor allem in Tibet, Sri Lanka und Teilen Südost- und Ostasiens zu einer vorherrschenden Religion.
Interessant und widersprüchlich gestaltete sich das Verhältnis beider Religionen u.a. zu Fragen der Sexualität. In Zeiten allgemeiner Homophobie wird im heutigen Indien - insbesondere unter dem Einfluss des religiösen Fundamentalismus - des Öfteren behauptet, dass den großen auf dem Boden Indiens entstandenen Religionen Homosexualität fremd sei, und dass der Islam oder der Westen "diese Krankheit" auf den Subkontinent gebracht hätten. Homosexualität wird sogar in die Nähe krimineller Aktivitäten gestellt, für dessen Ausmerzung der Staat (Artikel 377 des indischen Strafgesetzbuches) Sorge zu tragen habe. Jedoch muss dem entgegen gehalten werden, dass sich seine Religionen diesbezüglich nie besonders hervorgetan haben.
Wie zum Beispiel auch Hindu-Fundamentalisten zugeben müssen, stellt der Hinduismus ein äußerst komplexes Gebilde von religiösen Praktiken und Glaubensvorstellungen dar. Er umfasst unterschiedliche soziale Entwicklungen und Haltungen. In seinen Ursprüngen lassen sich so auch verschiedene gleichgeschlechtliche erotische Handlungen nachweisen, auch wenn sie meist Ausdruck von hierarchischen Machtverhältnissen waren.
Vanita (2001) arbeitete in hervorragender Weise eine wichtige Tendenz im Hinduismus heraus, wonach die unterschiedlich geschlechtliche, monogame Beziehung nicht die Norm des menschlichen Lebens darstelle, sondern dass die Schriften und die mündlichen Legenden diesbezüglich vielfältige Formen erwähnen. Die zahlreichen Geschichten aus der hinduistischen Götterwelt sind reich an gleichgeschlechtlichen erotischen Abenteuern, Geschlechtsumwandlungen oder Ideen von einem dritten Geschlecht.
Als wichtigste Anhaltspunkte dieser Tendenz im Hinduismus gelten die androgynen und oftmals mehrdeutigen Formen und Verhaltensweisen der beiden Hauptgötter Shiva und Vishnu und die Darstellung einer liebeähnlichen Beziehung zwischen Krishna und Arjuna. So ist zum Beispiel bekannt, dass Vishnu eine weibliche Form als Mohini angenommen hatte, um mit Shiva eine Verbindung eingehen zu können. Als der wohl erotischste gleichgeschlechtliche Akt gilt die Zeugung von Kartikeya. Ihre Zeugung wurde für notwendig gehalten, da Shiva und seine Gattin Parvati kinderlos geblieben waren. Shiva war erst durch die Verbindung mit dem männlichen Feuergott Agni zur Zeugung eines Nachkommens fähig, als dieser den Samen Shivas aufnahm. Dass auch Krishna und Arjuna sich sehr zugeneigt waren, ist allenthalben bekannt. In einer Legende verwandelte sich Arjuna in eine Frau, um das "Geheimnis der Geheimnisse" mit Krishna teilen zu können. Trotz dieser notwendigen Verwandlung blieb in der Legende eine quasi homosexuelle Erfahrung erhalten, da sich Arjuna zurück verwandelte und Krishna ihm auftrug, "mit niemandem über dieses Geheimnis zu reden."
An anderen Stellen wurde das so genannte dritte Geschlecht als notwendig für das Gleichgewicht der Welt gehalten. Hijras, wie Transsexuelle im heutigen Indien genannt werden, galten hierbei als wichtige Mittler zwischen der Macht der Götter und den Menschen. Sie standen zwar außerhalb der sozialen Ordnung, doch verfügten über Mächte, mit denen sie den Gang dieser Ordnung beeinflussen konnten.
Die Feststellung von Sharma (1993), wonach es in den Schriften wenig Beweise dafür gibt, dass Homosexualität weit verbreitet war, kann also auch dahingehend interpretiert werden, dass es im alten und mittelalterlichen Indien nicht thematisiert und kaum als "Problem" angesehen wurde. Strafen wurden, wie im Arthashastra, auch bei ungemäßem sexuellem Verkehr mit Tieren, Jungfrauen, Frauen im Wasser und menstruierenden Frauen verhängt. Manchmal fielen die Strafen bei gleichgeschlechtlichem Verkehr (Vanita 2001) geringer aus. Dalits (so genannte Unberührbare) waren z.B. von diesen Strafen "automatisch" ausgenommen, da sie doch möglicherweise ihre Kastenzugehörigkeit gerade durch ungemäßes sexuelles Verhalten, wie Analverkehr, im vorherigen Leben verloren hatten.
Die Idee eines selbst bestimmten autonomen homosexuellen Lebens, das für alle gesellschaftlichen Klassen und Kasten gleichermaßen gilt, ist hingegen eine Erfindung der westlichen Moderne. Sie hat sich bislang im Hinduismus nicht entwickeln können. Stattdessen müssen junge Hindus vor allem ihren familiären Pflichten nachkommen, um das Weiterbestehen ihrer Familie zu sichern. Homosexualität wird somit auch als eine Gefahr verstanden, die diese traditionelle soziale und politische Ordnung aufweicht. Auch wenn viele Homosexuelle in dieser Ordnung gefangen bleiben, gibt es in der Religion, wie oben beschrieben, im Einzelfall die Möglichkeit, diesen Pflichten zu entgehen, und somit das Potential zu einer progressiven Interpretation. Die religiösen Feste, die vielen der oben genannten Legenden zugrunde liegen, dienen in diesem Zusammenhang auch dem Ausleben von sexuellen Praktiken.
Ähnlich widersprüchlich gestaltet sich die Haltung zur Homosexualität im Buddhismus. Dieser förderte sie zwar nicht, jedoch zeigt er eine gewisse Indifferenz ihr gegenüber. Dieser Umstand war vor allem der Tatsache geschuldet, dass er als eine Ordensreligion entstanden war. Gleichgeschlechtlich sexuelle Handlungen wurden potentiell als eine Bedrohung wahrgenommen, und sie wurden untersagt. Doch machte das Zölibats Sex als solchen fraglich und nicht den gleichgeschlechtlichen allein. Somit war in dieser grundsätzlich asexuellen Weltsicht Homosexualität an sich auch keiner besonderen Überprüfung unterzogen. Dieser Umstand führte dazu, dass der Buddhismus heutzutage aufgrund seiner tendenziell neutralen Haltung für viele westliche Homosexuelle attraktiv wirkt. Auch ist für sie der Buddhismus durch die Leidensphilosophie des Religionsstifters Buddhas interessant, und sie sehen in dem Anhänger Buddhas, Anand, der sich in Hingabe zu seinem Meister Buddha verlor, eine Identifikationsfigur.
Wie auch immer, das Wechselverhältnis zwischen Religion und Homosexualität gestaltet sich in Indien in einer äußerst spannenden und widersprüchlichen Weise. Eine Unterdrückung von sexuellen Minderheiten lässt sich durch religiöse Argumente nicht begründen. Einfache Antworten, so wie der indische Staat sie bei der Verhaftung von vier AIDS-Aktivisten im Sommer 2001 gegeben hatte, konnten die Religionen in Indien somit nicht gelten lassen. Vielmehr wurde deutlich, dass die eigentlichen Fragen, die die hindunationalistische Regierung aufwarf, nicht bestimmte sexuelle Praktiken betrafen, sondern sich vor allem gegen die Ideen von Gleichheit und Individualität richteten.
Quelle: Der Text ist eine überarbeitete Version des Erstabdrucks von amnesty international, MeRSI: Weltreligionen und gleichgeschlechtliche Liebe, Berlin: 2002
Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Queer South Asia .
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