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20. März 2003. Analysen: Wirtschaft & Soziales - Pakistan Gas-Konflikt in Pakistans Hinterland

Eine Serie von Attacken auf Gas-Pipelines fordert die Zentralregierung zum Jahresanfang 2003 heraus. Das von Islamabad veranlasste Großaufgebot von Sicherheitskräften, die die Anschläge auf Gasleitungen auch nicht stoppen konnten, führte dazu, dass eine bisher vernachlässigte Gegend in den Fokus der Öffentlichkeit gelangte. Durch einen Hungerstreik versuchen Teile der Bevölkerung Druck für soziale Verbesserungen auf Islamabad und die beteiligten Energiefirmen auszuüben. Gehen die Sabotageakte, die von der pakistanischen Regierung Stammeskriegern zugeschrieben werden, nur auf das Konto dieser Stämme aus Baluchistan?

Die Explosion in der Nacht zum 1. März nahe des Dorfes Dildar Shah im Ghotki-Distrikt im äußersten Norden der Provinz Sindh war meilenweit zu hören. Bei der nächtlichen Attacke auf eine Gasversorgungsröhre der Sui Northern Gas Pipelines Limited (SNGPL) vom Qadirpur- Gasfeld in den Punjab wurden Teile der Nachbarprovinz vorübergehend von der Energieversorgung abgeschnitten. Etwa zur selben Zeit gerieten sechs paramilitärische Ranger, die die Pipeline bewachen sollten, in einen Hinterhalt und fuhren auf eine Mine. Einer starb, die anderen wurden schwer verletzt. Der zuständige Staatsminister Chaudhry Naurez Shakoor Khan bezeichnete die Sabotageakte als "Anschlag auf die Lebenslinie der nationalen Wirtschaft". Hinter den Anschlägen werden Stammesmitglieder der Bugti und Mazari vermutet. Angeblich tragen die beiden Stämme, die in einem Gebiet leben, das sich über die Provinzgrenzen von Baluchistan, Sindh und Punjab erstreckt, untereinander seit langen bitteren Fehden aus. Die Grenzen sind Erbe britischer Kolonialzeit. Knapp vier Wochen vor den Anschlägen fand am 3. Februar in Islamabad unter Führung Premierministers Zafrullah Khan Jamali ein Treffen von Vertretern der beteiligten Provinzregierungen statt. Bei diesen Beratungen über Sicherheit und reibungslose Gewährleistung von Gaslieferungen vor allem aus dem Sui-Gasfeld in Baluchistan wurden harte Maßnahmen gegen die beiden Stämme beschlossen.

Die Sprengung der Gas-Pipeline Anfang März war der jüngste Übergriff auf das sensible Energieversorgungsnetz des Landes. Bereits die Zerstörung zweier Gasversorgungsröhren der SNGPL am 27. Januar nahe der Stadt Sui führte dazu, dass neben Gebieten in der Nachbarprovinz Punjab auch Teile der Nordwestlichen Grenzprovinz (NWFP) zeitweise ohne Gasversorgung waren. Dieser Anschlag war bis dahin der Dritte binnen einer Woche. Trotz Sicherheitskontrollen der Ranger und eines massiven Polizeiaufgebots nach den ersten beiden Attacken vom 22. und 23. Januar gelang es den Sicherheitskräften offensichtlich nicht, weitere Sabotageakte abzuwenden. Berichten zufolge sind die Anschläge mit Sprengstoff und sogar mit Raketenwerfern verübt worden. Spezialisten der SNGPL gelang es beachtlich schnell, die meilenweit sichtbaren Brände einzudämmen und die Lücken in den Pipelines zu schließen.

Das Gasfeld von Sui, gelegen inmitten der Stammesgebiete von Bugti und Mazari, ist das größte seiner Art in Pakistan und gewährleistet fast die Hälfte der gesamten Gasversorgung des Landes. Bevor nun andere Provinzen durch die Stammes-Streitigkeiten in Mitleidenschaft gezogen wurden, bewirkten die Auseinandersetzungen nur lokal negative Folgen. Die greisen Stammenschefs leugnen die Beteiligung ihrer Sippen an den Pipeline-Attacken, obwohl sie den Abbau von Rohstoffen scharf kritisieren. Nawab Muhammad Akbar Khan Bugti, Stammesoberhaupt der Bugti und ehemaliger Chiefminister Baluchistans, erklärte in einem Interview gegenüber dem Nachrichtenmagazin Newsline aus Karachi in Feudalherrenmanier, dass er es ablehne, wenn "regionale Besitztümer vom Punjabi-dominierten Establishment und der Armee ausgeplündert werden". Allerdings deutete er in Anspielung auf Zahlungen der SNGPL und der Zentralregierung an seinen Stamm an, dass es nicht ratsam sei, die "heilige Kuh zu schlachten, wenn ihre Milch Lebensgrundlage ist".

Die durch die Sabotageakte unterbrochene Gasversorgung betraf gasabhängige Industriezweige wie die Textil-, Stahl-, Papier-, Seifen- und Keramik-Industrie, sowie mehrere Millionen Haushalte in Baluchistan, der NWFP und der bevölkerungsreichsten Provinz, dem Punjab. Durch die niedrigen Temperaturen in weiten Teilen Südasiens war die Situation im Januar besonders brisant. Vielerorts entstand daher ein regelrechter Andrang auf Gasflaschen, die alternativ zum Kochen und Heizen eingesetzt wurden.

Autofahrer, deren Wagen mit Flüssiggas (compressed gas fuel) betrieben werden, waren ebenfalls von den Versorgungsengpässen betroffen. Im Punjab und der NWFP mussten 300 so genannte CNG-Stationen, die für die Bereitstellung dieser Kraftstoffe zuständig sind, vorübergehend geschlossen werden.

Die Unterbrechung der Gaslieferungen verursachte der SNGPL täglich einen Schaden von etwa 60 Millionen Rupien (1 Millionen Euro). Zusätzlich entstanden den verschiedenen gasabhängigen Firmen und den CNG-Stationen erhebliche wirtschaftliche Verluste in Höhe von mehreren Millionen Rupien. Nach Informationen der Tageszeitung The News, verständigten sich Präsident Pervez Musharraf und Premierminister Jamali in einem vertraulichen Gespräch darauf, mit harter Hand für die Durchsetzung der Gesetze sorgen zu wollen. Es wurde angeblich sogar ein Einsatz des militärischen Geheimdienstes ISI in Erwägung gezogen. Ein Ergebnis der Konferenz in Islamabad war der Beginn einer "Jagd" auf die Urheber der Attacken durch Polizei und andere Sicherheitsdienste. Die Provinzregierung in Quetta, der Hauptstadt Baluchistans, erklärte jedoch, sie wolle die Operation der Zentralregierung in den "Unruhegebieten" erst unterstützen, wenn Islamabad klare Vorstellungen über die Strategie unterbreiten würde. Die Anschläge werden in Islamabad anscheinend als Erpressung gewertet, verübt und unterstützt von Bewohnern einer Gegend, die viele pakistanische Großstädter geringschätzig als Hinterwäldler bezeichnen.

Im Gegensatz dazu betrachten weite Teile der Bevölkerung um Sui die Gasförderung als Ausplünderung durch die Zentralmacht in Islamabad. Nawab Akbar Khan Bugti, Chef der Jamhoori Watan Party und des Bugti-Stammes, beanstandet, dass die Bevölkerung in direkter Nähe der Gasfelder lebt, aber "getrockneten Dung zum Kochen benutzen muss". Ähnliche kritische Töne sind aus dem seit Jahresanfang konstituierten Parlament in Quetta zu vernehmen.

Doch auch der parlamentarische Vorsitzende der Pashtoonkhawa Milli Awami Party (PkMAP), Abdul Rahim Ziaratwal, befürchtete, dass die lokale Jugend nicht in den föderativen Beamtenapparat gelange. Dafür spräche allein die Tatsache, dass nicht ein Angestellter der Provinzvertretung Baluchistans - dem Balochistan House in Islamabad - aus der Provinz stamme. Ziaratwal bezeichnete die Förderung von Gas in den Gebieten von Sui und Dera Bugti ebenfalls als Raub an der Provinz, zumal die dafür gezahlten Abgaben niedriger sind als in den anderen Provinzen. Auch Mitglieder der islamistischen Regierungskoalition verwiesen jüngst auf die enormen Defizite der Provinz. Nach Ansicht von Maulana Abdul Wasay, einem Vorsitzenden der islamistischen Jamiat-e-Ulama-e-Islam von Fazlur Rehman (JUI-F), wurde die Jugend der Provinz seit Jahren durch die fehlende Umsetzung von Quoten - auch im Gassektor - „enttäuscht". Vor allem aber der Politik des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif und des Zuratens der Weltbank und des internationale Währungsfonds (IWF) verdankten viele Baluchen die jetzige Situation. Die Provinz, obwohl der rückständigste Teil des Landes, erhält nur fünf Prozent der Zahlungen der nationalen Finanzkommission. Es ist oft auch fraglich, wofür das Geld verwendet wird. Wie auch andere politische Vertreter wies Mir Jan Muhammad Buledi, Vorsitzender des Balochistan National Movement, auf die mangelhafte Infrastruktur des Wüstenstaates hin, der über 43 Prozent der Staatsfläche ausmacht. Es fehlt an medizinischen Einrichtungen, Schulen, Straßen, Arbeitsplätzen und anderen entwicklungsfördernden Projekten. Die Mehrheit der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Wenigstens bewirkte der Beschluss Islambads, 360 illegale Gasleitungen in den Dörfern um Sui zu demontieren, eine Initiative der Provinzregierung in Quetta. Baluchistans Chiefminister Jam Muhammad Yousuf genehmigte Anfang März immerhin kostenslose Gaslieferungen für die Anwohner der Fördergebiete. Dennoch bleiben Teile der Bevölkerung gegenüber den Energiefirmen und der Zentralregierung ablehnend und versuchen den Druck auf sie mit einem Hungerstreik beizubehalten.

Es darf bezweifelt werden, dass die Herkunft von Premierminister Jamali, dem ersten Amtsträger der selbst aus der südwestlichen Provinz stammt, für das bevölkerungsschwache Baluchistan von Vorteil wäre. Der Stammeschef der Mazari, Sardar Sherbaz Khan, glaubt nicht an eine Autorität Jamlis und spricht von einer "one-man show" General Musharrafs. Tatsächlich steht Jamalis PML-Q dem weiterhin die Politik dominierenden Militär nahe. Das verdeutlichten auch die heftig umstrittenen Kontroversen mit der Opposition um den von Musharraf eingeführten Legal Framework Order (LFO). Es behält dem General und der Armee weit reichende Kompetenzen vor und war während der letzten Parlamentswahl eine Möglichkeit viele Politiker nicht zur Wahl zuzulassen.

Die Meldungen der letzten Monate über Baupläne weiterer Pipelines aus Zentralasien und einer neuen Gasröhre vom Iran durch Baluchistan nach Indien, werden die Zentralregierung veranlassen, ihre Autorität und ihr Gewaltmonopol eisern durchzusetzen. Die zu erwartenden Devisen aus diesen Projekten sind sicherlich wichtiger als die Interessen der knapp sechseinhalb Millionen Einwohner der Wüstenprovinz Baluchistan. Allerdings ist in der Oligarchie der Streit über die Verteilung des erhofften Geldsegens bereits vor Baubeginn ausgebrochen. Eine starke Lobby, so der Journalist Siddiq Baloch, will zumindest die Gaspipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Indien aus finanziellen Gründen lieber durch Multan im Punjab bauen. Deshalb weist sie auf die unsichere Lage in der Region bei Sui hin.

Das Gerücht geht um, das eben jene Leute den Stammesmitgliedern großzügige Beträge zahlen, um die Unruhe zu schüren.

Quelle: Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien unter dem Titel "Sprengen statt melken" am 19. März 2003 in der Wochenzeitung Jungle World (Nr. 13/2003 - 19. März 2003).

Quellen

  • Ali Raza: Gas pipelines near Sui blown up, in: The News, 22.1.2003
  • Mukesh Ropeta: Another gas pipeline blasted in Sui, in: The News, 23.1.2003
  • BBC-South Asia: Fresh attack on Pakistan pipelines, 27.1.2003
  • Nadeem Saeed: Blast an act of sabotage: SNGPL, in: Dawn 28.1.2003
  • Rauf Klasra: PM orders crackdown on Bugtis, Mazaris, in: The News, 04.02.2003
  • Muhammad Ejaz Khan: Balochistan PA seeks reinstatement of sacked gas staff, in: The News, 23.2.2003
  • Gas pipeline blown up near Ubaoro, in: The News, 2.3.2003
  • Shamim Shamsi: Gas supply to Punjab disrupted after blast, in: Dawn 2.3.2003
  • Gas supply restored, in: The News, 3.3.2003
  • Sui villages to get free gas: Jam, in: The News, 4.3.2003
  • Muhammad Ejaz Khan: Balochistan PA seeks special uplift grant from Centre, in: The News, 4.3.2003
  • Sui villages to get free gas: Jam, in: The News, 4.3.2003
  • Shahzada Zulfiqar: Pipeline in Flames, in: Newsline
  • Shahzada Zulfiqar: Interview mit Nawab Akbar Khan Bugti, in Newsline
  • Massoud Ansari: Interview mit Sardar Sherbaz Khan Mazari, in: Newsline
  • Muhammad Ejaz Khan: Army ruling country, says Nawab Bugti, in: The News 14.3.03
  • Protest against oil, gas companies continues, in: The News, 14.3.03

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