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13. September 2003. Analysen: Geschichte & Religion - Indien Lakshmi - Göttin der Fruchtbarkeit

Symbolische Dimensionen einer Göttin im Nordwesten Orissas

Keine andere Gottheit ist in ähnlicher Weise gegenwärtig und wird mit derartigem Aufwand und solcher Hingabe von den Frauen verehrt wie Lakshmi. Mit der Göttin Lakshmi möchte ich die wahrscheinlich wichtigste Göttin der Aghria, einer in Stammesgebiete eingewanderten Bauernkaste im Nordwesten Orissas, vorstellen.

Lakshmi gilt als Göttin des Reichtums, des Wohlstandes, aber auch der Schönheit. Sie erscheint einerseits als Braut im Lebenszyklus und - vermutlich noch wichtiger - als Reis andererseits. Damit verbindet die Göttin den landwirtschaftlichen Zyklus, in dem Reis Haupterzeugnis und Nahrungsgrundlage ist, mit dem Lebenszyklus und der Heirat im besonderen als auch mit dem Ritualzyklus.

Die Bedeutung des Reises lässt sich wohl am besten an der Vielfalt der Kategorien erkennen: man unterscheidet geschälten von ungeschältem Reis; rohen von gekochtem und vorgekochtem Reis etc. Die Göttin wird mit all diesen Formen identifiziert, was sich beispielsweise dadurch zeigt, dass Töpfe, die zum Abmessen des Reises benutzt werden, die Symbole der Göttin wie den Elefanten tragen.

Diese Verbindung wird aber noch klarer mit Blick auf Reisfeld, für das besondere Regeln gelten. So sollte man nicht mit Schuhen ins Feld gehen, um die Göttin nicht zu beleidigen. Noch zentraler ist die Idee, dass der Reis - die Göttin - unbedingt ins Haus gebracht werden sollte. Selbst wenn der Reis durch Schädlinge befallen ist und es für einen Landlord keinen ökonomischen Sinn macht, das Feld abzuernten, so wird er meistens dennoch seine Arbeiter beauftragen, den Reis einzufahren. Man kann der Göttin einfach nicht den Respekt versagen und sie ignorieren. Dann zahlt man lieber drauf. In ähnlicher Weise werden die Felder selbst nach dem Schneiden des Reises nochmals abgesammelt, um die Göttin möglichst vollständig ins Haus zu holen.

Idealerweise sollte Lakshmi natürlich nur ins Haus geholt werden und es nie wieder verlassen. Dennoch muss der Reis, die Haupteinnahmequelle der Bauern, natürlich auch verkauft werden. Dennoch gelten auch hier besondere Vorschriften: Reis sollte nie an einem Donnerstag, dem heiligen Tag Lakshmis, das Haus verlassen. Sie sollte auch nie komplett gehen, d.h. ein wenig Reis muss immer im Haus bleiben. Einmal beobachtete ich beispielsweise wie eine gerade ins Haus eingeheiratete junge Ehefrau den Reis, der beim Transport der Reissäcke heruntergefallen war, zusammenzusammeln und dem Händler als rechtmäßigen Besitzer mitgeben zu wollen. Der Händler jedoch wies dies zurück, da die Göttin sonst nicht mehr im Haus präsent sei. Sie solle ihm diesen Teil einfach beim nächsten Mal, nach der nächsten Ernte mitgeben, wenn er wiederkomme, um den neuen Reis abzuholen.

Zudem darf Reis nie über den Dreschplatz eines Haus verkauft werden, da dieser Platz auch auf besondere Weise mit Lakshmi assoziiert wird. Selbst wenn der Weg über Dreschplatz günstiger wäre, um mit einem LKW nahe an das Haus heranzukommen, muss der Reis dennoch mitunter einen Umweg getragen werden, um die Göttin nicht zu verletzten.

Die Gleichsetzung Reis, Braut und Lakshmi wird besonders deutlich an den Verhaltensregeln für Donnerstage. Nicht nur, dass kein Reis verkauft werden darf, sondern auch Bräute würden nie an einem Donnerstag das Haus ihrer Eltern verlassen. Heiraten werden stets so arrangiert, dass, nachdem der Bräutigam ins Dorf der Braut fährt, um diese abzuholen, die Rückfahrt des Bräutigams mit der Braut nie auf einen Donnerstag fällt. Auch nach der Heirat bei Besuchen der verheirateten Tochter im Elternhaus wird diese Regel weitgehend eingehalten. Es ist nicht denkbar, die Göttin an ihrem eigenen Tage aus dem Haus wegzuschicken bzw. fortzulassen.

Daneben erscheint die Göttin Lakshmi, die mit dem Reis und der Braut und potenziellen Mutter auch Fruchtbarkeit indiziert, auch permanent am Hochzeitsaltar. Zusammen mit ihrem Ehemann Vishnu bzw. Jagannath verkörpern sie ein göttliches Paar, dass durch zwei Tontöpfe dargestellt wird: während der Topf von Lakshmi mit Reis gefüllt ist, findet sich in Vishnu's Topf Wasser - vermutlich als Abstraktion des Fruchtbarkeit bringenden Regens.

Die Idee der Verbindung zwischen Lakshmi und der Braut setzt sich auch nach der Heirat insofern fort, dass Schwiegertöchter, die ihrer neuen Familie Unglück bringen oder sich nicht unterordnen wollen, als alakshmien, als unglücksverheißend, gelten. Nur Bräute, die sich völlig lautlos im Haus bewegen, wenig essen, mit gedämpfter Stimme sprechen, keinen Streit vom Zaun brechen, gelten als lakshmien, als Verkörperung von Lakshmi.
Lakshmi, die ambivalente Göttin

Auch wenn in diesen Vorstellungen das Ideal der sich unterordnenden Ehefrau mit Lakshmi in Verbindung gebracht wird, so zeigt sich doch in den Festen und Ritualen eine andere Seite der Göttin, die auch gefährlich sein kann und ihre gesamte Macht zur Rache nutzt. Nicht nur in Lakshmi's ikonographischer Darstellung (siehe oben) - auf dem reinen Lotus stehend, dessen Wurzel jedoch im Schlamm liegt - sondern in ihrem Verhältnis zum Ehemann finden sich Widersprüche. Im Nordwesten Orissas erscheint sie nicht nur als ideale, stets loyale, aber auch abhängige und kontrollierte Ehefrau wie in Hindu-Quellen Nordindiens. Vielmehr kann sie neben schützenden und wohlmeinenden Aspekten auch destruktive Elemente tragen. Während des Rath Jatra Festes, an dem der Besuch ihres Ehemannes Jagannath mit seiner Schwester Subadhra im Haus der Tante Gundicha nachempfunden wird, beklagt sich Lakshmi deutlich über die Vernachlässigung durch ihren Ehemann, der Lakshmi nicht mit auf diese Reise genommen hatte. Verärgert wirft Lakshmi, und so wird es auch in einzelnen Dörfern während des Festes dargestellt, ihrem Ehemann bei dessen Rückkehr die Tür vor der Nase zu, unterstellt ihm Inzest mit seiner Schwester und muss erst durch diverse Geschenke wieder gnädig gestimmt werden. In der heiligen Erzählung des Lakshmi Puran macht sie ihren Ehemann gar zum Bettler, nachdem dieser sie mit der Begründung vor die Tür gesetzt hatte, sie habe das Haus von Unberührbaren betreten, wo er ihr doch bei der Heirat versprochen hatte, alle Häuser besuchen zu können.

Nicht nur innerhalb der Ehe, sondern auch in Bezug zu den Elefanten erscheint Lakshmi widersprüchlich. In der Erntezeit ziehen gelegentlich Gruppen mit trainierten Elefanten durch die Dörfer, die Gaben für die Göttin entgegen - der Elefant ist ja eines ihrer zentralen Symbole. Dennoch sind die Elefanten nicht nur die wohlmeinenden Gefährten der Göttin, die über sie die Dorfbewohner segnet. Wilde Elefanten sind eine ernstzunehmende Gefahr vor allem in der Erntezeit, wenn sie auf Nahrungssuche oft nahe an die Dörfer herankommen und in einer Herde schnell die Reisfelder vernichten können. Die Dorfbewohner versuchen dann zumeist, die Elefanten mit Feuerwerkskörpern zu verjagen und erreichen nicht selten das Gegenteil, d.h. die Tiere kommen dadurch erst recht in Rage und es gibt nicht selten Fälle, in denen Menschen von Elefanten zu Tode getreten werden. Die wilden Elefanten offenbaren scheinbar somit auch eine dunklere Seite der Göttin und die Dorfbewohner verehren die Göttin Lakshmi nicht trotz der wilden Elefanten, sondern gerade wegen dieser sehr realen Gefahr.

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