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18. September 2001. Analysen: Politik & Recht - Südasien Osama bin Laden

Netzwerker im Schatten

Nur wenige Stunden nach den verheerenden Anschlägen auf das World Trade Centre und das Pentagon erklärte der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark in Washington: Die einzige Organisation auf der Welt, die eine derart komplizierte Operation finanzieren und organisieren könne, sei die Terrorgruppe um Osama bin Laden. Wer ist der Mann, der zum Hauptverdächtigen des unfassbaren Terrors wurde, noch bevor es Hinweise auf die Identität der Attentäter gab?

Vieles im Leben des als "gefährlichster Terrorist der Welt" bezeichneten Osama bin Laden (oder Ussamah bin Ladin) liegt im Dunklen oder ist unsicher. Das folgende Porträt versteht sich deshalb lediglich als Annäherung, nicht alle Daten können als sicher gelten.

Die Familie bin Laden stammt aus dem Hadramaut, einer Region im Süden der Arabischen Halbinsel, im heutigen Jemen. Osamas Vater Muhammad wanderte in den späten 1920er Jahren nach Norden aus, wo Abdul-Asis ibn Saud von Er-Riad aus weite Teile der Halbinsel kontrollierte. Die spätere Freundschaft mit dem Monarchen Saudi-Arabiens erleichterte den spektakulären Aufstieg von Muhammad bin Laden, der zuerst als Hafenarbeiter in Jeddah arbeitete und später eine Baufirma gründete, zu einem der bedeutendsten Unternehmer des Landes. Seine 1935 gegründete Firma profitierte von dem Bauboom nach Beginn der Ölexporte, seit den 1960er Jahren erhielt sie Aufträge staatlicher Großprojekte. Darunter trugen besonders die Aufträge zur Renovierung und Erweiterung der Heiligen Moscheen von Mekka und Medina zum Reichtum des Unternehmens bei. Unter anderem stellte die Bin Laden Group im letzten Jahr das über 300 m hohe Faisiliya Centre in Riad, Geschäftszentrum und höchstes Gebäude des Landes, fertig. Das Unternehmen beschäftigt 35.000 Arbeiter, das Familienvermögen wird auf 84 Milliarden Mark (38 Mrd. US-$) geschätzt.

Osama bin Muhammad bin Awad bin Laden, so sein vollständiger Name, wurde 1957 als vermutlich siebzehntes von 57 Kindern des durch zahlreiche Heiraten mit allen Eliten des Landes verbundenen Muhammad bin Laden geboren. Wohlbehütet in Jeddah aufgewachsen, studierte er auch an der dortigen Universität und schloss 1979 mit einem Abschluss in Civil Engineering ab. Obwohl schon mit 17 Jahren an eine syrische Verwandte verheiratet, soll sich Osama - wie die meisten saudischen Oberschichtkinder, die es sich leisten können, ihr Unterhaltungsbedürfnis jenseits der Grenzen ihrer puritanischen Gesellschaft auszuleben - während seiner Studienzeit oft in Beirut, der damaligen kulturellen Metropole der arabischen Welt, vergnügt haben. Von seinen Studienfreunden wurde der 1,93 m große und schlanke Bin Laden dennoch als ein stiller, zurückhaltender und unauffälliger Zeitgenosse beschrieben.

Statt sich auszutoben und anschließend in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, wie es sein Stand verlangt, führten ihn die politischen Ereignisse in eine völlig andere Laufbahn. Die Bekanntschaft mit dem Leiden der palästinensischen Flüchtlinge und dem militanten Widerstand gegen die Besetzung ihres Landes wandelten in zu einem Anhänger des gewaltsamen Kampfes für eine geeinte arabische Welt unter dem Schirm des "wahren Islam". Dieser wird als Wiederbelebung der politischen Macht des Kalifats der islamischen Frühzeit vorgestellt und glorifiziert die Einigkeit und Eroberungen dieser Zeit. Die Revolution im Iran im Februar 1979 ließ die möglichen Erfolge eines solchen militanten Kampfes erahnen, und die sowjetische Invasion in Afghanistan im Dezember desselben Jahres überzeugte den 22-jährigen von dessen Dringlichkeit.

Bin Ladens Basis

Noch 1979 habe er sich dem afghanischen Widerstand angeschlossen, erklärte Osama bin Laden 1993 in einem Interview für den Independent. Hauptsächlich scheint er dabei organisatorische Aufgaben übernommen zu haben, auch wenn er später erklärte, er habe auch an direkten Kampfhandlungen gegen die russischen Truppen teilgenommen. Bis 1982 pendelte er zwischen dem pakistanischen Peshawar und seiner Heimat, um Spendengelder aufzutreiben und Freiwillige zu rekrutieren. Mit seinem enormen Privatvermögen - es wird auch heute, sieben Jahre nach der endgültigen Verstoßung durch seine Familie, auf mehrere 100 Millionen US-$ geschätzt - unterstützte er die Einrichtung eines Gästehauses in Peshawar, in dem die ankommenden arabischen Freiwilligen, später Afghan Arabs genannt, empfangen und an die verschiedenen Gruppen in Afghanistan weitergeleitet wurden. Außerdem brachte er Ingenieure und schweres Baugerät zum Bau von Straßen und Depots für die Mudschaheddin ins Land. Im Jahr 1986 beteiligte er sich am Bau des tief in den Bergen, nahe der pakistanischen Grenze gelegenen Stützpunktes Khost, wo er auch ein Ausbildungslager für seine Freiwilligen einrichtete. Der amerikanische CIA - mit dem bin Laden damals auch persönlichen Kontakt gehabt haben soll - beteiligte sich u.a. mit der Finanzierung eines Waffenlagers und eines medizinischen Versorgungszentrums.

In einem Interview sagte Bin Laden später: "To counter these atheist Russians, the Saudis chose me as their representative in Afghanistan … I settled in Pakistan in the Afghan border region. There I received volunteers who came from the Saudi Kingdom and from all over the Arab and Muslim countries. I set up my first camp where these volunteers were trained by Pakistani and American officers. The weapons were supplied by the Americans, the money by the Saudis. I discovered that it was not enough to fight in Afghanistan, but that we had to fight on all fronts, communist or Western oppression". (zitiert nach AFP, Laden planned a global Islamic revolution in 1995, 27. August 1998)

Auch die Verbindungen zu hochrangigen Vertretern des islamistischen Untergrund, unter anderem zu Muhammad Ayman Zawahir, den ägyptischen Führer der Jehadis, gehen auf seine Zeit in Peshawar Anfang und Mitte der 1980er Jahre zurück. Im Jahr 1989 wurde Bin Ladens enger Freund und Mentor Abdullah Azam, welcher das Makhtab al Khidmat genannte Gästehaus geleitet hatte, ermordet. Bin Laden übernahm daraufhin die Leitung der Organisation. Ursprünglich hatte sie dazu gedient, die eingehenden Spenden des saudischen Geheimdienstes, des saudischen Roten Halbmondes, der World Muslim League und der privaten Geber zu bündeln und weiterzuverteilen sowie die Einsatzwege der arabischen Freiwilligen zu dokumentieren. Vermutlich Anfang der 1990er Jahren baute er diese Beziehungen aus: In dem Al-Qaida (Die Basis) genannten Netzwerk versammelte er radikale Mujaheddin, darunter viele Afghan Arabs, aber auch Freiwillige aus vielen muslimischen Ländern und den USA, die auch vor terroristischen Anschlägen außerhalb der Kriegsgebiete Afghanistan und Palästina nicht zurückschreckten.

Ein geächteter Held

Nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen kehrte bin Laden, als Mujaheddin gefeiert, nach Saudi-Arabien zurück. Zunächst arbeitete er in der Firma seines Vater, zog mit seiner unnachgiebigen Haltung gegen alles "Unislamische" - auch unter der saudischen Oberschicht - aber schon bald die Missgunst des Königshauses auf sich. Als er im Golfkrieg 1990/91 die Stationierung amerikanischer Soldaten in Saudi-Arabien anprangerte, wurde er in Jeddah festgesetzt. Im April 1991 gelang ihm die Ausreise nach Afghanistan. Im folgenden Jahr, nachdem er in seiner Heimat zur persona non grata erklärt worden war reiste er in den Sudan, wo 1989 islamistische Militärs die Macht übernommen hatten. Eine Heirat mit der Nichte Hassan Tourabis, des starken Manns seit dem Militärputsch, verschaffte ihm einen gesicherten Aufenthalt im Sudan, von dem aus er in den nächsten Jahren operierte. Hier versammelte er zahlreiche afghanische Kriegsveteranen um sich, die seine bittere Enttäuschung über den amerikanischen Sieg im Irak und seine ablehnende Haltung gegenüber den arabischen Eliten und der von ihnen geduldeten Stationierung amerikanischer Soldaten im Golf teilten. Seine anhaltende Kritik am saudischen Königshaus führte sogar soweit, dass ihm 1994 die saudische Staatsbürgerschaft entzogen wurde.

Während seines Aufenthaltes im Sudan baute er mit einer von ihm gegründeten Firma die neue Straße von Khartum nach Port Sudan. Nach Angaben des US-amerikanischen Außenministeriums soll er auch den neuen Flughafen von Khartum gebaut haben und Trainingscamps für Terroristen finanziert haben.

In die Zeit seines sudanesischen Exils fallen die ersten Osama bin Laden zugerechneten Attentate: Am 29. Dezember 1992 explodierte eine Bombe in einem Hotel in Aden, das die dort untergebrachten US-amerikanischen Soldaten allerdings schon verlassen hatten, zwei Österreicher starben. Am 26. Februar 1993 fand der erste Anschlag auf das New Yorker World Trade Centre statt, 6 Menschen wurden getötet, Hunderte verletzt. Am 3./4. Oktober wurden 18 amerikanische Soldaten bei einem Angriff in Mogadischu in Somalia getötet. Bin Laden erklärte später, dass der Anschlag von arabischen Afghanistan-Veteranen ausgeführt worden sei. Ein Anschlag auf den ägyptischen Präsidenten Mubarak im Juni 1995 schlug fehl. Bei einem Attentat auf ein militärisches Trainingscenter in Riad im November desselben Jahres starben fünf Amerikaner und zwei Inder. Bin Ladens Urheberschaft bei diesen Anschlägen ist jedoch umstritten. So soll der als WTC-Attentäter verurteilte Ramzi Ahmad Yousef, ein früherer Afghan Arab, nach der Tat in dem einst von bin Laden eingerichteten Gästehaus in Peshawar Unterschlupf gefunden haben. Für eine direkte Beteiligung gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.

Rückkehr zu Freunden

Auf amerikanischen und saudischen Druck verwies der Sudan Bin Laden im Mai 1996 des Landes. Der mittlerweile als "gefährlichster Terrorist der 90er Jahre" Gesuchte entschied sich zur Ausreise nach Afghanistan, "ein Land", so bin Laden in einem CNN-Interview vom März 1997, "wo ich freie, reine Luft atmen und meiner religiösen Pflicht nachkommen kann". Obwohl er in Afghanistan zu allen Fraktionen gute Beziehungen unterhielt, wandte er sich schon bald den an Einfluss gewinnenden Taliban-Milizen zu und knüpfte enge Kontakte zu ihrem Führer Mullah Muhammad Omar, der später eine Tochter Bin Ladens heiratete.

Am 23. August 1996 veröffentlichte bin Laden seine erste Jihad-Erklärung, in der er als Ziel seiner Organisation die Vertreibung amerikanischer Truppen aus der Golfregion, den Sturz des saudischen Regimes, die Befreiung der heiligen Stätten der Muslime und die weltweite Unterstützung militanter islamistischer Gruppen, beschreibt. In den folgenden zwei Jahren fand in New York ein Prozess gegen ihn statt, der Gesuchte blieb jedoch versteckt.

Der CIA hatte mittlerweile eine eigene Einheit geschaffen, welche die Aktivitäten Bin Ladens und seine Verbindungen zu anderen islamistischen Organisationen überwachte. Laut einem Geheimdienstbericht von 1996 finanzierte Bin Laden Ausbildungslager für Terroristen in Afghanistan, Somalia, Ägypten, Jemen und im Sudan. Anfang 1997 traf eine vom CIA aufgestellte Sondereinheit in Peshawar ein, die den Gesuchten in einer Blitzaktion aus Afghanistan entführen sollte. Die Aktion wurde jedoch abgeblasen, veranlasste Bin Laden aber, die Stadt Jalalabad zu verlassen und sich nach Kandahar unter den Schutz der Taliban zu begeben. Auf einem großen Treffen aller mit Al-Qaida assoziierter Organisationen in Khost wurde von den Teilnehmern am 23. Februar 1998 eine Fatwa erlassen: "The ruling to kill the Americans and their allies – civilians and military – is an individual duty for every Muslim who can do it in any country in which it is possible to."

Seine bis dahin größte Bekanntheit im Westen erlangte der Name "Bin Laden" allerdings im Jahr 1998, als am 7. August, dem achten Jahrestag des Einmarsches amerikanischer Truppen im Irak und der Verhängung der UN-Sanktionen, zwei spektakuläre Anschläge auf Einrichtungen der USA verübt wurden: Die Bombenexplosionen vor den US-Botschaften in Nairobi und Dar es Salam töten 224 Menschen, darunter auch 12 Amerikaner. Der Geheimdienst gab kurz darauf bekannt, ein Telefongespräch zwischen zwei Vertrauten Bin Ladens über den Anschlag abgehört zu haben. Ein Kopfgeld von 5 Millionen US-$ wurde auf ihn ausgesetzt. Einige Wochen nach den Anschlägen in Afrika wurde Bin Laden von der Clinton Administration zum Drahtzieher aller Anschläge auf amerikanische Einrichtungen in der muslimischen Welt erklärt, am 20. August bombardierten US-Streitkräfte vermutete Trainingscamps in Afghanistan und eine Fabrik im Sudan. Einen Monat später gestanden die Behörden ein, dass sie eine direkten Verbindung zwischen der angeblichen Giftgasfabrik im Sudan und bin Laden nicht beweisen konnten. Dennoch gilt Bin Laden seitdem als Dreh- und Angelpunkt, einer, so Washington, internationalen Verschwörung gegen die USA. Auch der Anschlag auf das amerikanische Kriegsschiff USS Cole, bei dem 17 Besatzungsmitglieder getötet und 39 verletzt wurden, wurde ihm in einem Prozess im Frühjahr 2001 zur Last gelegt.

Die öffentliche Wahrnehmung Bin Ladens ist seither geprägt durch das massive Interesse vorwiegend amerikanischer Medien an dem "Topterroristen". In Interviews mit CNN, ABC, Time und Newsweek fütterte Bin Laden das Publikum mit den erwarteten Hasstiraden und pflegte gleichzeitig eine Aura des Geheimnisvollen. Damit bietet sich der saudische Millionär heute als schillernde Identifikationsfigur an, sowohl für Vertreter des Westens, die im Islam eine mittelalterliche, fanatische Religion sehen, als auch für muslimische Jugendliche, die von ihren autokratischen Regierungen frustriert sind und das internationale Agieren der US-Regierung als ständige Demütigung ihrer Religion empfinden.

Für die verheerenden Anschläge in den USA weist Bin Laden jede Schuld von sich. Ob er der Drahtzieher der Anschläge war oder nicht, wird vielleicht nie eindeutig geklärt werden. Wie eng die Verbindungen zwischen Al-Qaida und einzelnen Zellen von Attentätern sind, ist umstritten. David Long, ehemaliger US-Diplomat und Kenner des Nahen und Mittleren Ostens, beschreibt Al-Qaida als "eine Art Anlaufstelle, in der sich verschiedene Untergruppen Gelder, logistische Unterstützung, auch einmal militärische Ausbildungsmöglichkeiten beschaffen." Ob dieses Netzwerk eine straffe Führung hat, die über einzelne Aktionen detailliert informiert wird und an deren Planung beteiligt ist, ist zu bezweifeln. Fest steht aber, dass die Geheimdienste der USA mit der Unterstützung des afghanischen Jihads nicht unwesentlich zur Entstehung zahlreicher extremistischer Bewegungen wie der Bin Ladens beigetragen haben. Nach dem Ende des Kalten Krieges zeigten die USA kein Interesse mehr an dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land, und seit 1998 beschränkte sich ihre Politik gegenüber Afghanistan auf die Forderung einer Auslieferung Bin Ladens. Dessen offene Feindschaft zu den Vereinigten Staaten hat jetzt sein geschundenes Gastland an den Rand eines Krieges mit der rachehungrigen Supermacht getrieben.

Quellen

  • Independent-Interview vom 6. Dezember 1993:
    http://menic.utexas.edu/menic/utaustin/course/oilcourse/mail/saudi/0007.html
  • CNN-Interview vom März 1997:
    http://www.cnn.com/CNN/Programs/impact/9705/09/feature/transcript.ladin.html
  • ABC-Interview vom 22. Dezember 1998:
    http://abcnews.go.com/sections/world/DailyNews/binladen_wnt981224.html
  • Financial Times, 14. April 2001, Osama Bin Ladens rise to notority.
  • Frontline, 12. September 2001, Hunting bin Laden.
  • Erich Follath und Gunther Latsch: Der Prinz und die Terror GmbH, in: Der Spiegel, Nr.38, 15.9.01, S.132-145
  • Ahmed Rashid: Taliban. Militant Islam, Oil and Fundamentalism in Central Asia. New Haven, London 2001.

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