Inhalt

15. November 2004. Analysen: Politik & Recht - Südasien Die südasiatische Konfliktkonstellation

Ein Diskussionsbeitrag

Konfliktkonstellationen haben bis weit in die Geschichte zurück existiert und wesentlichen Einfluss auf den Gang der Ereignisse und damit auch auf die konkrete Auslösung von Konflikten genommen. Als Konfliktkonstellation soll eine Gruppe von Konfliktsituationen und manifesten Konflikten innerhalb eines bestimmten geographischen oder funktionalen Zusammenhangs verstanden werden, die durch ein spezifisches, aber weder a priori gegebenes noch statisches Beziehungsverhältnis miteinander verbunden sind; sowie die Ursachen, die Bedingungen und die Umstände, die zu dieser Gruppierung und ihrer eigentümlichen Interaktion geführt haben.

Solche eigentümlichen Interaktionen und Gruppierungen waren u.a. die Konstellation, die dazu führte, dass aus einem vergleichsweise lokalen Ereignis im Habsburger Reich der Dreißigjährige Krieg wurde; die den Krieg der europäischen Monarchien gegen die Französische Revolution dominierten; die vom letzten Drittel des 19. Jh. bis 1908 die Gestalt der anglo-russischen Rivalität in Asien annahm; das Verhältnis zwischen den imperialistischen Staaten in der China-Frage etc. etc. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass das moderne Staatensystem in hohem Maße durch derartige Konfliktkonstellationen geprägt war.

Wenn wir spezifische Gruppierungen von Konfliktsituationen und ihre interne Interaktion als einen durchgängigen Wirkungsfaktor der sozialen und politischen Geschichte der Menschheit betrachten, so schließt das zugleich die Anerkennung ihres gravierend unterschiedlichen Gewichts in den einzelnen historischen Perioden sowie der Notwendigkeit einer gleichermaßen detaillierten wie differenzierten Analyse ihrer Strukturen und Wirkungsweisen ein. Methodisch gesehen, hatten wir es in der geschichtlichen Praxis mit lokalen und regionalen innerstaatlichen, mit nationalen und zwischenstaatlichen (bilateralen und multilateralen) Konfliktkonstellationen zu tun.

Auf die Gegenwart bezogen, existiert in Asien eine ganze Skala von Konfliktkonstellationen sehr unterschiedlichen Reifegrades, struktureller Ausformung und Interaktionsdichte im binnenstaatlichen Rahmen (innere regionale Probleme in Libanon, Afghanistan, Usbekistan, Pakistan, Indien, Myanmar, Kambodscha) sowie als spezifische regionale Konfliktkonstellation in der unmittelbaren Verbindung innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Konfliktlagen (westasiatisches Konfliktsystem, Mittelasien, Südasien).

In Bezug auf die südasiatische Konfliktkonstellation war der sachliche Ausgangspunkt meiner Studien in diesem Untersuchungsfeld seit 1991 die durch eigene Beobachtungen vor Ort gestützte These, dass zwischen nahezu allen wesentlichen Konfliktlagen in Südasien, besonders zwischen den inneren Krisen, eine Verbindung besteht (das zeigte sich z.B. besonders deutlich im Jahre 1977, als in Indien Indira Gandhi abgewählt wurde, in Pakistan das Militär gegen Zulfikar Ali Bhutto putschte und in Sri Lanka Premierministerin Sirimavo Bandaranaike stürzte), die zu einer bestimmten und für Südasien eigentümlichen Konstellation dieser Konflikte führt.

Die Herausbildung der südasiatischen Konfliktkonstellation

Die Herausbildung einer solchen regionalen Konfliktkonstellation war aus geographischen und geopolitischen Gründen historisch unvermeidlich. Der südasiatische Subkontinent befand sich vollständig unter britischer Herrschaft und bestand am Vorabend der Aufhebung der Kolonialherrschaft aus dem riesigen Territorium Britisch-Indiens (einschließlich der zwischenstaatlich irrelevanten Fürstenstaaten), den beiden Kronkolonien Ceylon und Burma (seit 1937 eigener Status), den kleinen Himalaya-Protektoraten Sikkim und Bhutan sowie dem formell selbständigen, aber faktisch von Großbritannien abhängigen Nepal. Die Teilung Britisch-Indiens und die Entstehung der selbständigen Dominien Indien und Pakistan veränderte zwar die politische Landkarte Südasiens und die aktuelle strategische Balance auf dem Subkontinent, schuf aber im Hinblick auf die Verteilung der Ressourcen, der Potenzen und des mobilisierungsfähigen Potentials keine qualitativ neuen Tatsachen.

Das heißt, nach 1947 war die geographische, demographische, materielle und geopolitische Suprematie Indiens in der Region durch seine Lage als Kernbereich des Subkontinents, durch seine Ressourcen und sein Potential objektiv gegeben. Die relative und absolute Ungleichheit der Gewichte war geeignet, bei allen Nachbarn Indiens einen primären Bedrohungskomplex auszulösen, selbst wenn Indien seit 1947 einen Kurs der machtpolitischen Selbstverleugnung betrieben hätte. Die durch den "transfer of power" an die Macht gekommene politische Klasse Indiens perzipierte sich aber, wie bereits in der Endphase der britischen Kolonialherrschaft; selbstbewusst als Rechtsnachfolger des Empire in Südasien mit einem legitimen Anspruch auf die Vormachtstellung in der Region - seit den 1970er Jahren ausgedehnt auf die Forderung nach der internationalen Anerkennung Indiens als asiatische Großmacht.

Die Bedrohungskomplexe der Nachbarn Indiens, die unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung einsetzenden Auseinandersetzungen um Minoritätenfragen mit Burma und Ceylon und der Territorialkonflikt sowie die politisch-ideologischen Konfrontation Pakistans mit Indien waren bereits die erste Phase der Herausbildung einer regionalen zwischenstaatlichen Konfliktkonstellation.

Der anhaltende und bisher in drei Kriegen kulminierende pakistanisch-indische Konflikt, die Entstehung Bangladeshs (1971) und die Intervention Indiens im srilankischen Bürgerkrieg (1987/88) hat dieser Konstellation weiteres Profil verliehen, einschließlich des Versuchs der südasiatischen Staaten, sich gemeinsam gegen das Übergewicht Indiens zu vergewissern - durch eine antiindische regionale Zusammenarbeit und durch die Suche nach extraregionalen Verbündeten (USA, China, islamische Golfstaaten).

Damit bildete sich definitiv die zwischenstaatliche Ebene der südasiatischen Konfliktkonstellation heraus. Ein neues Element im Prozess der Herausbildung einer regionalen Gruppierung von Konflikten und ihrer Interaktion war die Entstehung zahlreicher neuer innerer Konflikte in den Staaten Südasiens, ihre Wechselwirkung und schrittweise Vernetzung. Dieser Trend wurde durch die seit den 1970er Jahren immer deutlicher werdende Formierung von Staatskrisen verstärkt, die in letzter Instanz zur Herausbildung nationaler Konfliktkonstellationen in Indien, Pakistan, Bangladesh und Sri Lanka führten - in Nepal wurde dieser Prozess in den 1990er Jahren unübersehbar. Auch diese gegenwärtige Gruppierung oder Konstellation von Konflikten entstand nicht zufällig, sondern war das Ergebnis der Herausbildung und Evolution von Staatskrisen auf unterschiedlichem Niveau in allen südasiatischen Ländern; die gegenwärtig den Kern der regionalen Konfliktkonstellation bilden.

Die vorläufig dritte Phase in der Evolution der südasiatischen Konfliktkonstellation kann seit dem Ende der 1980er Jahre beobachtet werden. Sie ist gekennzeichnet durch die weitere Ausprägung der nationalen Konfliktkonstellationen und deren regionale Interaktion, womit innere Konfliktlagen eine zunehmende zwischenstaatliche Dimension erlangen.

Zu unterstreichen ist; dass die derzeitige südasiatische Konfliktkonstellation in erster Linie ein Resultat der inneren und regionalen Entwicklung seit den 1970er Jahren ist - ungeachtet der Tatsache, dass einige Kernkonflikte bereits seit Jahrzehnten akut sind (Kashmir, Nordostindien, Tamilenfrage in Sri Lanka).

Fünf Thesen zum Wesen der südasiatischen Konfliktkonstellation

1) Im Schatten bisher weit stärker wahrgenommener Konflikte, wie des Nahostkonflikts und der Kriege in Afghanistan und Kambodscha, sowie durch neue akute Konflikte in Südosteuropa, Osteuropa, im Kaukasus, in Mittelasien und nicht zuletzt in Irak weitgehend aus der Wahrnehmung verdrängt, bildet sich in Südasien mit bedrohlicher Stetigkeit ein neues Konflikt-Epizentrum heraus, das durch eine zunehmende Zahl von manifesten Konflikten und deren erheblich gesteigerte Intensität gekennzeichnet ist.

2) Seit dem Ende der 1980er Jahre wird eine deutliche Diversifizierung der Konfliktebenen sichtbar, die bisherige Dichotomie innere-äußere Konflikte reicht als Erklärungsmuster nicht mehr aus, es gibt wachsende Rückwirkungen zwischenstaatlicher Konfliktlagen auf die innere Konfliktsituation (wie z.B. der US-Militäroperation in Afghanistan auf die innenpolitische Situation in Pakistan) und umgekehrt zunehmende Wirkungen innerer Konflikte auf die zwischenstaatlichen Verhältnisse (Seit den 1980er Jahren die Rückwirkungen des Bürgerkriegs in Sri Lanka auf das Verhältnis zu Indien oder die Folgen der akuten nepalesischen Staatskrise auf die Beziehungen Nepals zu Indien und China).

3) Ungeachtet des weiterhin hohen Stellenwerts der zwischenstaatlichen Konflikte und der Möglichkeit, dass sich neue bilaterale, regionale oder interregionale Interessenkonfrontationen herausbilden (zwischenstaatliche Folgen der nepalesischen Immigration nach Nordindien und Bhutan, Möglichkeit der Ausweitung des Problems der illegalen Einwanderung nach Indien zu einem offenen Konflikt Indien-Bangladesh, strategische Rivalität Indiens und Pakistans in Mittelasien, konfliktive Konsequenzen der neuen "Go East"-Strategie Indiens), ist ein grundsätzlicher Trend zur Dominanz der in hoher typologischer Vielfalt wirkenden inneren Konflikte unübersehbar. Er ist verbunden mit einer fortschreitenden Zunahme der internationalen Wirkung innerer Konflikte (Kashmir, kommunalistisch-fundamentalistischer Konflikt in Indien, chronische Krisensituation in Sindh, Krise des politischen Systems in Bangladesh, Gefährdung des pakistanischen Staates durch militant-sektiererische islamistische Kräfte).

4) Die Interaktionsdichte der südasiatischen Konflikte steigt auf nationaler und regionaler Ebene stetig. Das betrifft sowohl die wechselseitige Reaktion von Konflikten auf dem Territorium eines gegebenen Landes und die neuartigen Interaktionen von inneren Konfliktpotentialen und Konflikten innerhalb verschiedener Länder Südasiens als auch die Wechselwirkung von inneren und äußeren Konflikten. Bis zur fatalen pakistanischen Kargil-Operation im Jahr 1999 war der Kashmir-Konflikt für das indische Massenbewusstsein ein peripheres Problem, während Kashmir heute ein zentrales Gut des indischen Nationalismus ist, mit allen Konsequenzen für eine künftige Konfliktregelung.

5) Die gesteigerte Interaktion von Konfliktpotentialen und Konflikten führt zu einer zunehmenden Vernetzung von Konfliktlagen. Die Tendenz scheint in Richtung auf die Herausbildung eines süd­asiatischen Konfliktsystems mit charakteristischen Kernen sowie einer großen Zahl von Neben- oder peripheren Konflikten zu gehen, wobei in einem derartigen Konfliktsystem bestimmte bereits existierende Konfliktpotentiale und Konfliktlagen auch eine qualitativ neue Bedeutungs- und Rollenzuweisung erhalten können.

Zur Analyse der Konfliktkonstellation

Die Analyse der Konfliktkonstellation in Südasien - derzeit noch ein Konglomerat von Konfliktpotentialen, latenten und akuten Konflikten mit einer sichtbaren Tendenz zur Herausbildung von regionalen Determinanten und hierarchischen Strukturen in den nationalen Konfliktkonstellationen - erfordert zunächst die Erfassung und Definition ihrer einzelnen Bestandteile.

Die die Erfassung der Konfiguration der einzelnen Konflikte - d.h. ihre Ortsbestimmung in der Konfliktkonstellation; die Definition der Kernkonflikte sowie der sekundären und peripheren Konflikte; die Sichtbarmachung der zwischen ihnen bestehenden Verbindungen, ist ein wichtiger Analyseschritt, auf den an dieser Stelle nur verwiesen werden kann. Hinsichtlich der Hierarchie der einzelnen Konfliktlagen innerhalb der südasiatischen Konfliktkonstellation ist jedoch die Arbeitshypothese, dass die komplexen, systemischen Krisen des postkolonialen Staates die eigentlich zentralen Konfliktlagen sind.

Auf dem Wege zu einer umfassenderen Bestimmung der Struktur und der Bewegungsrichtungen der südasiatischen Konfliktkonstellation hat die seinerzeit von mir geleitete Projektgruppe "Innere und zwischenstaatliche Konfliktpotentiale in Südasien - Interdependenzen und Regulierungschancen" versucht, die derzeit existenten wesentlichen, d.h. über eine lokale Konfrontation hinausgehenden, Konflikte in Südasien zu erfassen und zu verorten - die Arbeitsergebnisse der 1990er Jahre sind in umfangreichen Forschungsberichten dokumentiert (s. Literatur). An dieser Stelle kann nur kurz auf die dabei vorgenommene Strukturierung der Konfliktebenen verwiesen werden. Es muss unterstrichen werden, dass die Totalität konfliktiver vertikaler und horizontaler Interaktionen in Südasien mit ihren häufigen Mischformen niemals umfassend, sondern immer nur selektiv erfasst werden kann. Wir unterscheiden daher in der südasiatischen Konfliktkonstellation der Gegenwart im Wesentlichen fünf Konfliktebenen (von der Mikro- zur Makroebene aufsteigend):

1) Innere Konflikte mit begrenzter sachlicher und/oder territorialer Reichweite (lokale und regionale Auseinandersetzungen, geographisch bzw. sachlich gebundene Partizipations- und Ressourcenkonflikte)

2) Innere Konflikte von überregionaler Bedeutung (gegen das Regime bzw. gegen den Staat gerichtete regionale Machtansprüche, Partizipationskonflikte, organisierter Dissens größerer Gemeinschaften)

3) Innere Konflikte mit gesamtstaatlicher oder gesamtgesellschaftlicher Relevanz (Ideologie- und Identitätskrisen. Autoritäts- und Legitimitätskrisen, Staatskrisen)

4) Zwischenstaatliche Konfliktsituationen in Südasien einschließlich der Konflikte südasiatischer Staaten mit Anrainern

5) Konfliktive Beziehungen südasiatischer Staaten mit internationalen Akteuren

Mehr als ein Jahrzehnt intensiver Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Konflikte in Südasien lassen die Schlussfolgerung zu, dass das Herzstück der gegenwärtigen Konfliktkonstellation in Südasien nicht mehr die zwischenstaatlichen Konflikte sind, so bedrohlich sie im einzelnen auch sein mögen, sondern die an Zahl und Brisanz zunehmenden inneren Konfliktlagen unterschiedlicher Provenienz und Austragungshöhe, die sich in Indien, Pakistan, Sri Lanka, Bangladesh und Nepal zunehmend mit einer tief greifenden Staats- und Identitätskrise verbinden.

Das bedeutet, dass diese Konflikte auch in der wissenschaftlichen Analyse den ihnen zustehenden Platz erhalten müssen und dass eine ernsthafte Beschäftigung mit der Konfliktregion Südasien sich nicht mit der Registrierung von Oberflächenerscheinungen komplexer und komplizierter Konfliktlagen bescheiden kann. Wenn wir also diese Staats- und Identitätskrisen wirklich erfassen und verstehen wollen, sind folgende Analyseschritte erforderlich:

1) Empirisch gestützte Analyse des gegenwärtigen Zustands von Gesellschaft, Staat und Politik: Das schließt die Bestimmung der entscheidenden inneren Wirkungsfaktoren wie z.B. Erfolg oder Misserfolg des Staatsgründungskonzepts, Realisierung des jeweiligen wirtschafts- und sozialpoli­tischen Modells, tatsächliche Realisierung von Nation-Building, Umschichtungen in der Gesellschaft, politischer und ideologischer Werte- und Prioritätenwandel; sowie der substantiellen äußeren (globalen, regionalen und bilateralen) Wirkungsfaktoren ein.

2) Bestimmung der wesentlichen Entwicklungstrends der Krise: In diesem Kontext stellen sich solche Fragen wie die Zukunft des existierenden Nationalstaats, die Tragfähigkeit des Nation-Building-Modells und die Grundtendenzen der Entwicklung von Gesellschaft und politischem System.

3) Definierung der voraussichtlichen Folgen einer anhaltenden Staats- und Identitätskrise: Die inneren Wirkungen sind vor allem hinsichtlich Stabilität, Entwicklung und Modernisierung, Legitimität der Macht, Erhaltung der territorialen Integrität des Landes, Maß der nationalen Kon­sensfähigkeit, des gewaltförmigen Austrags von Interessendivergenzen und der objektiven und subjektiven Schwellen für Konfliktregelungen zu untersuchen.

Eine besonders akute Fragestellung ergibt sich, wenn eine Perpetuierung solcher Staats- und Identitätskrisen auf relativ hohem Niveau, d.h. konfliktnah oder bereits als manifester Konflikt erfolgt. Diese Gefahr ist bei den weiter oben genannten Staaten bereits offenkundig.

Hinsichtlich der äußeren Wirkungen ergeben sich eine Reihe von erkennbaren Untersuchungsfeldern. Die Lage in Südasien verweist beispielsweise

  • auf die zunehmende Auswirkung solcher Krisensituationen auf Nachbarstaaten (siehe dazu die faktische Blockierung der Integrationsprozesse in Südasien durch die innenpolitischen Konvulsionen in Indien im Umfeld der kommunalistischen Auseinandersetzungen um Ayodhya und der darauf folgenden Bombenanschläge in Bombay oder die Folgen des afghanischen Bürgerkrieges und des US-Antiterror-Krieges seit 2001 für Pakistan) was auch die versuchte Ausnutzung solcher Situationen durch Nachbarstaaten einschließt (pakistanische Verwicklung in den Kashmir- und Punjab-Konflikt und pakistanische Anschuldigungen einer "Indian hand" in Karachi)
  • auf die Tangierung von Nachbarregionen durch akute innere Konflikte (überregionale Rückwirkungen der Ereignisse in Ayodhya und Bombay) und schließlich
  • auf die möglichen internationalen Rückwirkungen eines Zerfalls von regionalen Machtfaktoren durch aus Staats- und Identitätskrisen resultierende Konflikte, Bürgerkriege etc. (Einzugsbereich und internationale Folgen einer definitiven staatlichen Desintegration Indiens oder Pakistans).

In diesen Zusammenhang gehört auch die Erosion der nationalen Souveränität und die Einschränkung der außenpolitischen Entscheidungsfähigkeit durch innere Krisen und Konflikte, die im Zusammenwirken mit äußerem Druck (z.B. in der Menschenrechtsfrage) und der Drohung mit "humanitärer Intervention" zu einer existentiellen Frage werden kann.

Aus dem bisher Gesagtem wird ersichtlich, welche Bedeutung eine qualifizierte Strukturierung des Untersuchungsgegenstandes für die realitätsnahe Definition der Konfliktkonstellation und damit letzten Endes auch für die Bestimmung der Chancen und Wege einer Konfliktregulierung besitzt. Damit unmittelbar verbunden ist das Problem, welche Fragen gestellt werden müssen, um die Untersuchungsproblematik insgesamt erfassen und das bzw. die relevanten Phänomene definieren zu können. Das trifft auch auf den Problemkreis Staats- und Identitätskrisen zu, die man stark vereinfacht auch als Resultat des Scheiterns von Nation-Building bezeichnen könnte.

Mit der Fragestellung ist eine Reihe von definitorischen Fragen verbunden.

  • Wie definieren wir den Prozess, der über Insuffizienz oder Scheitern von Nation-Building-Modellen zu ernsten Beeinträchtigungen der Effizienz und der Legitimation des Staates, zu politischen Systemkrisen, zu ernsten Destabilisierungserscheinungen in der Gesellschaft und zu Identitätskrisen von erheblichen Teilen der Gesellschaft oder nationalen Identitätskrisen führt?
  • Wie können wir notwendige Zustandsdefinitionen vom Gesamtprozess abheben und welches Maß an Konkretheit ist dabei möglich?
  • Schließlich erhebt sich die Frage, wie dieses Geflecht von Faktoren, Kräften und Phänomenen aus konfliktanalytischer Sicht zu werten und zu benennen ist.

Soweit einige Anmerkungen zur Frage struktureller Grundelemente der außerordentlich brisanten Konfliktsituation in Südasien.

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Zwischen Krieg und Frieden .

Quellen

  • Diethelm Weidemann / Eva-Maria Hexamer (Hg.): Konfliktlage und Konfliktkonstellation in Südasien - Grundaspekte, Ansätze und Untersuchungsrichtungen. Forschungsbericht Südasien I (Reihe Schriften des Lehr- und Forschungsgebietes Internationale Beziehungen in Asien und Afrika Bd. 6) Berlin Humboldt-Universität zu Berlin 1998
  • Eva-Maria Hexamer / René Hexamer / Diethelm Weidemann: Nachkoloniale Staats-, Identitäts- und Legitimationskrisen - die Kernkonflikte in Südasien. Forschungsbericht Südasien II (Schriften...Bd. 7) Berlin a.a.O. 1998
  • Eva-Maria Hexamer / Joachim Oesterheld (Hg.): Innere Konflikte in Indien und Pakistan und die ideologische Dimension der Konfliktlage in Südasien. Forschungsbericht Südasien III (Schriften...Bd. 8). Berlin a.a.O. 1998

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.