Inhalt

23. Januar 2006. Analysen: Wirtschaft & Soziales - Nepal Von Diamanten, die sich nicht schleifen lassen wollen

Der Kampf der Blue Diamond Society für die Rechte sexueller Minderheiten in Nepal

Obwohl Homosexualität in Nepal nach Aussagen der Regierung nicht strafbar ist, ist der Alltag sexueller Minderheiten in dem Königreich von Diskriminierung und Gewalt geprägt. Für ihre Rechte kämpft seit 2001 die Blue Diamond Society. Obwohl sie dabei von globalen Netzwerken und Anti-AIDS-Kampagnen unterstützt wird, bleibt ihre Arbeit in der konservativen, vom jahrelangen Bürgerkrieg gezeichneten Gesellschaft prekär.

Seine Freunde kennen ihn unter dem weiblichen Pseudonym Manisha, und der sehnlichste Wunsch des jungen Mannes ist eine Geschlechtsumwandlung. Da eine solche Operation für ihn in seiner Heimat Nepal aber ein unerfüllbarer Traum bleiben wird, wird er sich auch in Zukunft mit der Verkleidung begnügen müssen. Er, Manisha, ist eine "Meti", ein "cross dressing male", ein Transsexueller.

Während seiner Jugend glaubte Manisha mit seiner Andersartigkeit allein zu sein und litt unter dem gesellschaftlichen Druck und Erwartungen, die er nicht erfüllen konnte. So schreibt er: "Die Gesellschaft hat auf meine Schultern die Verantwortung eines Mannes gelegt. Dies ist ungerecht, da ich nicht in der Lage bin, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Trotzdem bin ich kein schlechter Mensch, aber die Gesellschaft verurteilt mich als abnormal und unnatürlich." Zwar entdeckte Manisha später, dass es in Kathmandu durchaus eine Szene Gleichgesinnter gibt, aber mit dem offenen Ausleben seiner unkonventionellen sexuellen Identität verschärften sich seine Stigmatisierung und Diskriminierung. Wie viele seiner Meti-Freunde, so berichtet Manisha, sei er Opfer von Beleidigung, Erniedrigung, Gewalt und sexuellem Missbrauch geworden, und er fragt: "Glaubt ihr wirklich, dass wir uns, wenn wir die Wahl gehabt hätten, freiwillig für ein Leben entschieden hätten, dass so viel Ablehnung, Schmerz und Härte bedeutet?"

Kristallisationspunkt einer queeren Community

Menschen wie Manisha eine Stimme zu geben, ist das Anliegen der Blue Diamond Society (BDS). Ihr Gründer Sunil Babu Pant hatte seine Sexualität während seines Informatik-Studiums in Weißrussland und anschließenden Arbeitsaufenthalten in Ostasien erkundet und war überrascht, als er bei seiner Rückkehr nach Kathmandu andere "Men having Sex with Men" kennen lernte. Die Marginalisierung und Diskriminierung der Szene veranlasste Pant im Jahr 2001 schließlich zur Gründung der BDS in Kathmandu.

Zu den ersten Aktionen der Gesellschaft gehörte die Organisation einer "Pride Parade" im Rahmen der traditionellen Gai Jatra. Die Jatra, bei der jedes Jahr nach Vollmond im August die Feiernden in Erinnerung an die Verstorbenen Kühe (gai) durch die Stadt treiben. Der Umzug (jatra) trägt aber auch Züge des Karnevals, da sich Männer als Frauen verkleiden, und politischer Protest und Satire ohne Repression möglich sind. In dieser Kombination bot er sich den Aktivisten des BDS im Jahr 2001 als Kontext an, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen und der Opfer von homophober Gewalt und AIDS zu gedenken. Seitdem ist die Gai Jatra jeden Sommer der Rahmen für eine "Pride Parade" der queeren Community in Kathmandu.

Die zweite größere Aktion war die Beteiligung der BDS im Herbst 2001 an dem nationalen "Condom Day", der seit Mitte der 1990er vom nepalesischen Roten Kreuz organisiert wird, um Aufmerksamkeit für Familienplanung und sexuelle Gesundheit zu schaffen. Verkleidet verteilten Aktivisten Kondome und Informationen über Safer Sex insbesondere an andere "Men having Sex with Men" und Meti-Prostituierte.

Mittlerweile hat sich die BDS zu einem bedeutenden Treff- und Fluchtpunkt für die queere Community in Nepal entwickelt. Ihre Räumlichkeiten in Lazimpat im Norden Kathmandus beherbergen eine Bibliothek mit Videos und Büchern über queere Lebensart. Ein tägliches "Drop-In-Center" und regelmäßige Filmvorführungen dienen als Forum für Begegnungen und Diskussionen. Eine wöchentliche Klinik bietet AIDS-Tests und eine Notversorgung für AIDS-Kranke an. Kostenlose Computer-Kurse sollen den Zugang zu Information verbessern und so einen Beitrag zum "Empowerment" der Stigmatisierten leisten. Während BDS-Gründer Sunil Babu Pant anfänglich glaubte, dass die Zahl der Adressaten seiner Arbeit in Nepal so rar sei wie blaue Diamanten, hat die BDS inzwischen Tausende von Anfragen aus dem ganzen Land und mittlerweile Zweigstellen auch in anderen Städten Nepals gegründet.

Pant betont, dass die BDS sich nicht ausschließlich an Schwule richte, sondern das Ziel der Arbeit die Stärkung der Rechte sexueller und anderer Minderheiten insgesamt sei. Zwar verstünden sich manche der Aktivisten und Hilfesuchende ausdrücklich als "homosexuell", aber die meisten würden sich einer solchen Kategorisierung entziehen, so z.B. jene Männer, die Kontakte und Beziehungen mit Metis pflegten. Zudem sei die überwältigende Mehrheit der BDS-Klientel verheiratet. Neben der eher geringen Zahl bekennender Schwuler, denen die BDS als Anlaufstelle dient, kommen insbesondere Metis und Marunis. Bei letzteren handelt es sich zwar ähnlich wie bei den Metis um Männer, die in Frauenkleidern tanzen, u.a. zur Unterhaltung von Soldaten in Kasernen der Royal Nepalese Army, aber es bezeichnet auch spezifisch als Mädchen verkleidete Jungen in einem rituellen Kontext. Aber auch Dohoris wenden sich an die BDS. Dabei handelt es sich um Männer und Frauen, die im ländlichen Nepal bei Märkten und Festen gleichberechtigt in Gesangswettbewerbe miteinander treten und sich mit ironischen, sarkastischen und zum Teil explizit erotischen Texten zu übertreffen versuchen. Insbesondere die Sängerinnen ziehen mit dem Rollenwechsel und gezielten Tabubrüchen gelegentlich den Zorn konservativer Landbewohner auf sich. Nicht zuletzt will die BDS auch Bisexuellen und Lesben Gehör verschaffen und Schutz bieten. So war im vergangenen Jahr die 23-jährige Meera aus dem Südosten Nepals mit Laxmi, ihrer Geliebten, der von ihren Eltern arrangierten Hochzeit entflohen und nach Kathmandu gekommen, um bei der BDS Hilfe zu suchen. Obwohl ihre wütende Familie sie zu entführen versucht und der BDS Menschenhandel vorgeworfen hatte, hielt Meera dem Druck stand und arbeitet heute trotz wiederholter Drohanrufe ihrer männlichen Verwandten am Empfang der BDS.

Internationale Unterstützung im Zeichen von Menschenrechten und AIDS-Hilfe

Möglich scheint die Arbeit unter den schwierigen Bedingungen nur, weil der umtriebige Sunil Babu Pant die Chancen der Globalisierung ergriffen und sich einflussreiche und finanzkräftige Bündnispartner außerhalb Nepals gesucht hat. So ist die BDS mittlerweile Mitglied in der International Gay and Lesbian Association. Über ihre Mailinglisten und Verteiler können binnen kurzer Zeit internationale Aufmerksamkeit und Proteste organisiert werden. So z.B. im August 2004 als 39 Metis auf den Straßen und in Bars von Kathmandu von der Polizei unter dem Vorwand der Störung der öffentlichen Ordnung willkürlich festgenommen und unter schlimmsten Bedingungen festgehalten wurden. Erst nach Interventionen internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch wurden die Gefangenen nach 15 Tagen Misshandlung, Mangelernährung und Kontaktsperre gegen Kaution aus dem Gefängnis entlassen. 39.000 Nepalesische Rupien (530 US-Dollar) musste die BDS aufbringen, um die Inhaftierten freizukaufen.

Gefördert wird die Arbeit der BDS inzwischen auch von der Regierung Großbritanniens. Seit Januar 2005 unterstützt das britische Department for International Development im Rahmen seiner Maßnahmen zur Bekämpfung von AIDS die Herausgabe der auf Englisch und Nepali erscheinenden Wochenzeitung "Blue Diamond Weekly". Neben der AIDS-Aufklärung stehen aber auch Menschenrechte und die Situation von Minderheiten wie Homo- und Transsexuellen, Prostituierten, Dalits oder Kinderarbeitern im Zentrum der Berichterstattung. Ihren jüngsten Erfolg konnte die BDS schließlich im Oktober diesen Jahres verbuchen: Die britische Popikone Elton John spendete eine Summe von 25.000 Pfund für zwei Kliniken für AIDS-Kranke in Kathmandu sowie Butwal in Westnepal.

Straßenkämpfe und Rechtsstreitigkeiten

Angesichts der etwa 40.000 bis 60.000 HIV-Infizierten in Nepal, so die Schätzungen von Organisationen wie der WHO oder UNAIDS, sind solche Bemühungen auch dringend geboten. Schwerpunkt der BDS-Arbeit wird aber auch in Zukunft der Kampf um die Anerkennung der Rechte sexueller Minderheiten sein. Denn, so weiß Sunil Pant zu berichten, jene Traditionen der nepalesischen Kultur, die sexuelle Diversität tolerieren und z.B. Marunis als Unterhalter oder Metis als Glücksbringer akzeptieren, sind auf dem Rückzug. Wie überall auf der Welt unterminieren Modernisierungsprozesse das traditionelle Nebeneinander von Unterschieden und bereiten geistigen und politischen Strömungen den Weg, die über Exklusion oder erzwungene Assimilation kulturelle Homogenität herzustellen suchen. Nach Angaben der BDS hat mit der wachsenden Mobilisierung von sexuellen Minderheiten für Gleichberechtigung auch die Gewalt gegen sie zugenommen, auch wenn Übergriffe z.B. gegen Metis sicher nicht neu sind. Traditionelle Ausbeutungsverhältnisse zwischen als Prostituierten arbeitenden Metis und ihren Freiern werden aber mit der wachsenden Sensibilisierung der Metis für ihre Rechte in Frage gestellt. Entsprechend brutaler fallen die Versuche aus, Macht zu demonstrieren und stabilisieren, wie einer der jüngsten bekannt gewordenen Vorfälle illustriert:

In der Nacht des 24. September 2005 versucht Nava Raj Adhikari, ein Polizist in Zivil, in Thamel, dem Touristenviertel von Kathmandu, die 21-jährige Meti Puspa zu kostenlosem Geschlechtsverkehr zu zwingen. Als Puspa versucht, sich den gewaltsamen Annäherungsversuchen zu entziehen, eilen nahe stehende Metis zu Hilfe und drängen den Polizisten ab. Kurze Zeit später kehrt dieser mit Verstärkung durch Kollegen zurück, um willkürlich mehrere anwesende Metis zusammenzuschlagen. Es entwickelt sich eine größere Schlägerei. Steine fliegen. Schließlich erscheinen uniformierte Polizisten, lösen die Schlägerei auf und nehmen mehrere Metis fest, die am Tag darauf gegen hohe Kautionen freigelassen werden. Die National Human Rights Commission und die Human Rights Cell der Polizei weigern sich, den Fall zu untersuchen.

In zahlreichen ähnlichen Fällen wurden Metis im Polizeigewahrsam schwer misshandelt und vergewaltigt. Von sympathisierenden Polizisten, die in Beziehungen mit Metis leben, will Sunil Pant mittlerweile gewarnt worden sein, dass hochrangige Polizeibeamte planen, gegen die Wurzeln der "sozialen und kulturellen Verunreinigung" hart durchgreifen zu wollen, da sie ansonsten die Kontrolle verlieren würden. Vergessen scheint im allgemeinen Klima des Bürgerrechtsabbaus, der dem Staatsstreich des Königs folgte, das Versprechen, das Govinda Bahadur Thapa, Assistant Inspector of Police, noch 2003 der BDS und dem Forum for Women, Law and Development gegeben hatte: Persönlich wollte er sich gegen die Polizeigewalt gegen Frauen und sexuelle Minderheiten einsetzen. Sollte es nur ein heuchlerischer Versuch gewesen sein, Vertreter der Zivilgesellschaft in dem eskalierenden Konflikt mit den Maoisten zu kooptieren?

Doch die Konflikte werden nicht nur auf der Straße ausgetragen: Im Juni 2004 reichte der hindu-fundamentalistische Anwalt Achyut Prasad Kharel eine Petition (public interest litigation) beim Obersten Gericht ein, in der er fordert, die BDS im öffentlichen Interesse verbieten zu lassen, weil Homosexualität kein Menschenrecht, sondern vielmehr strafbar sei und somit der Kampf für ihre soziale Anerkennung illegal. (Vergleiche hierzu Homosexualität und Menschenrechte in Indien.) "Gleichgeschlechtliche körperliche Beziehungen oder Heirat sind nicht akzeptabel für den Lebensstil unserer Gesellschaft, die geprägt ist von der Hindu-Religion", heißt es in Kharels Petition. Seine Begründung stützt sich insbesondere auf Teil 4 des 16. Kapitels des Gesetzbuches zum Zivilrecht (Muluki Ain), der "unnatürlichen Geschlechtsverkehr" mit Haft bis zu einem Jahr bestrafen. Die herangezogenen Paragraphen finden sich im Kontext mit der Strafbarkeit von Sodomie – insbesondere sexuellen Handlungen mit Vieh. Die Auslegung des Begriffs "unnatürlich" bleibt aber Interpretationssache.

Rückendeckung erhielt die BDS von Human Rights Watch. Mit Verweis auf einen australischen Präzendenzfall (Toonen vs. Australia) von 1994 argumentierte die Menschenrechtsorganisation, dass die Kriminalisierung von im gegenseitigen Einvernehmen unternommenen homosexuellen Handlungen gegen das Recht auf Privatheit und den Schutz vor Diskriminierung verstoße, wie sie im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Freiheiten verankert sind, dem Nepal 1991 beigetreten ist. Zudem würde ein Verbot der BDS gegen die Menschenrechte auf freie Versammlung, Vereinigung und Meinungsäußerung verstoßen. Pikant war in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass Nepal mit seinem "Commitment Paper" über die Achtung der Menschenrechte vom März 2004 eine Verurteilung durch die UN-Menschenrechtskommission verhindert habe. Ein Verbot der BDS würde die Selbstverpflichtungserklärung als Papiertiger entlarven.

Die subtile Drohung scheint gewirkt zu haben: Ende August 2004 erklärte der damalige Innensekretär Ananta Ram Pandey bei einer Anhörung vor dem Obersten Gericht, dass es keine gesetzliche Regelung in Nepal gebe, die homosexuelle Aktivitäten verbietet oder unter Strafe stellt. Obwohl abschließende Anhörungen für Sommer 2005 geplant waren, ist über den Ausgang des Verfahrens nichts bekannt. Gut möglich, dass der Staatsstreich des Königs das Verfahren verzögert hat. Sunil Pant und der Anwalt der BDS hoffen aber auf eine Fortsetzung der progressiven Rechtsprechung des Obersten Gerichts, die vor König Gyanendras Machtergreifung in Urteilen zur Legalität von Abtreibungen und dem Eigentumsrecht von Frauen ihren Ausdruck gefunden hatte.

Auch wenn die rechtliche Anerkennung nur einen ersten Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung bedeuten würde, besteht also zumindest die vage Hoffnung, dass ein zweiter sehnlicher Wunsch der Meti Manisha in Erfüllung geht: Manisha, der seit mehreren Jahren als Referent für die BDS arbeitet, möchte mit seinem Engagement ein Umfeld schaffen, in dem er eines Tages seinen Eltern gegenüber treten kann, um ihnen zu sagen, wer sie wirklich ist.

 

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Queer South Asia .

Quellen

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.