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16. Dezember 2013. Interviews: Indien - Politik & Recht Es ist ein rasender Zorn in uns

Interview mit Binalakshmi Nepram

Vor genau einem Jahr in Delhi, in der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 2012, wurde die 23jährige Jyoti Singh Pandey zusammen mit ihrem Freund von sechs Männern in einem Bus entführt, gefoltert, brutal vergewaltigt und schwerverletzt auf die Straße geworfen. Jyoti Pandey verstarb zwei Wochen später in einem Krankenhaus in Singapur. In der Folge erlebte Indien massive Proteste. Die in der indischen Gesellschaft vorherrschende Frauenfeindlichkeit geriet ins Zentrum einer weltweiten Medienöffentlichkeit. Indische Frauenrechtler/innen fordern seither einen Mentalitätswandel in ihrem Land. Aus diesem Anlass interviewte ich die aus dem Bundesstaat Manipur stammende Frauenrechts- und Friedensaktivistin Binalakshmi Nepram.

(Michael Dusche:) Als Philosoph interessiere ich mich für die normativen Vorstellungen von sozialer Ordnung und Geschlechterverhältnissen in Indien, die dazu führen, dass Frauen immer wieder grundlegende Rechte abgesprochen werden und ihre unverletzliche Würde von ihrem rollenkonformen Verhalten abhängig gemacht wird. Selbst in Gerichtsverhandlungen werden Vergewaltigungsopfer häufig auf ihren sittlichen Charakter hin befragt und damit dem "moralischen" Verdikt der Gesellschaft preisgegeben. Wer diesen Test nicht besteht, gilt nicht als unschuldiges Opfer. Die Täter gehen straffrei aus und das Opfer wird nach diesem staatlicherseits eingeleiteten Rufmord von der Gesellschaft verstoßen. Damit wird Frauen eine menschliche Würde abgesprochen, die nicht an Vorbedingungen geknüpft sein darf – als Grundvoraussetzung für alle Frauen- und Menschenrechte. Diese menschenverachtende patriarchale "Moral" wird in Indien von fast allen Kasten- und Religionsgemeinschaften geteilt. Ist der Nordosten Indiens und die Gesellschaft im Staat Manipur, aus dem Sie stammen, eine Ausnahme?

(Binalakshmi Nepram:) Leider nein. Viele Menschen glauben, dass der Nordosten Indiens irgendwie liberaler sei als der Rest des Landes, aber nein Michael, die Gesellschaften dort sind genauso patriarchalisch wie im übrigen Indien. Haryana hat seine Khap Panchayats; Manipur hat männliche Jugendclubs, die darüber wachen, wie du dich anziehst und wie du dich benimmst. Die ganze Zeit kontrollieren sie die Frauen. Es ist ein Klischee zu glauben, dass Frauen im Nordosten freier seien als im übrigen Indien. Jeder unserer Schritte wird beobachtet und diskutiert und anhand von patriarchalen Normvorstellungen bewertet.

Dabei ist Manipur aber keine Kastengesellschaft.

Richtig, wir haben kein Kastensystem. Manipuris sind traditionell keine Hindus. Wir waren Naturverehrer. Erst im 18. Jahrhundert kamen bengalische Vishnuisten, aber der Vishnuismus wurde nie die Mehrheitsreligion in Manipur. Manipuris verehrten keine Götzen, sie verehrten die aufgehende Sonne, den Mond, den Wald, die Natur. Meine Familie hat dem Hinduismus generationenlang bewusst getrotzt. Wir lieben allerdings die Feste der Hindus. Wenn mich aber jemand fragt, was ich glaube, dann sage ich, dass meine Religion der Humanismus ist. In den letzten 200 Jahren sind brahmanische Priester aus Uttar Pradesh, Bihar, Bengalen und anderen Teilen Indiens bei uns eingewandert. Sie haben örtliche Frauen geheiratet und das Kastensystem in ihren Familien etabliert. Auf die Gesamtgesellschaft gesehen sagen wir, wir haben genau eine Kaste, nämlich diese Brahmanen, und wir haben sie zu unseren Köchen gemacht [lacht], im Ernst, wenn du heute nach Manipur kommst und an einem Bankett mit zwei-dreihundert Leuten teilnimmst, dann kannst du davon ausgehen, dass das Essen von einem brahmanischen Priester gekocht wurde. Sie sind exzellente Köche und deshalb sind sie willkommen. Abgesehen davon ist unser gesellschaftliches Leben nicht vom Kastensystem unterwandert.

Ich bohre nach, weil ich mich für die Geschlechter-Stereotypen interessiere, die in den kulturellen Vorstellungswelten verschiedener Teile Indiens vorherrschen. Die Ideen des Manusmriti zum Beispiel können in Manipur nicht teil des kollektiven Imaginären sein, weil der kulturelle Hintergrund ein anderer ist. Das heißt aber, dass das Patriarchat in Manipur sich irgendwie unterscheiden muss vom Patriarchat wie es in anderen Teilen Indiens besteht.

Männer in Manipur glauben, dass ihnen die ganze Erde gehört mitsamt den Frauen. Trotz einer starken Frauenbewegung ziehen Frauen in Manipur nach der Hochzeit immer noch beim Mann ein, Landbesitz wird immer noch in männlicher Linie vererbt, und Jungen werden gegenüber Mädchen immer noch bevorzugt behandelt. In dieser Hinsicht gleicht das Patriarchat in Manipur dem der übrigen Welt bzw. Indiens. In der Politik gibt es kaum Frauen. Von unseren sechzig Landtagsabgeordneten sind nur drei Frauen; davon ist eine die Frau des Ministerpräsidenten. In Manipur erledigen die Frauen das Kochen, das Waschen und die Erziehung der Kinder. Wie in anderen Teilen Indiens bekommen die Männer das bessere Essen zuerst und die Frauen bekommen, was übrig bleibt. In Manipur nehmen Männer sich mehrere Frauen und sie denken, dass das ihr angeborenes Recht sei. Sie glauben, dass sie ein Mädchen, das ihnen gefällt entführen, vergewaltigen und dann heiraten können. Dieser erbärmliche Brauch wird von der Gesellschaft sanktioniert, was wir zu ändern versuchen. Aber es ist immer noch schwierig, eine Frau zu sein in Manipur.

In anderen Teilen Indiens hat man oft den Eindruck, dass Vergewaltigung strategisch eingesetzt wird, um Frauen oder bestimmte soziale Gruppen wie Dalits oder Muslime auf ihren sozialen Platz zu verweisen. Vergewaltigung wird damit zu einer Waffe im Kampf für die Geschlechter- und Kastenordnung. In Manipur ist die Situation ähnlich, wenn man sich die Übergriffe der indischen Armee unter dem Armed Forces Special Powers Act gegen Frauen und Zivilisten ansieht. Aber davon abgesehen, gibt es einen ähnlichen Einsatz von Vergewaltigung als Waffe z.B. in Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Stämmen?

In Manipur gibt es keine Fälle wo z.B. ein Angehöriger einer höheren Kaste eine Dalit-Frau vergewaltigt, um seine Überlegenheit zu zeigen. Auch zwischen den Stämmen herrschen egalitäre Vorstellungen vor, so dass kein Stamm seine Überlegenheit durch die Vergewaltigung von Frauen eines verfeindeten Stammes zeigen würde. In Manipur und im ganzen Nordosten Indiens gibt es dagegen eine Menge häuslicher Gewalt. Der Nordosten liegt hinsichtlich der Häufigkeit von Vergewaltigungen an der Spitze Indiens und hinsichtlich der Häufigkeit von häuslicher Gewalt liegt er auf Platz zwei. Das ist eine Tragödie. Darüber hinaus haben wir mit den Übergriffen nicht nur der indischen Armee sondern auch von nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen zu kämpfen. Obgleich die Übergriffe durch die indische Armee eine größere Sichtbarkeit aufweisen, werden auch von nicht-staatlichen Akteuren Verbrechen und gewaltsame Übergriffe gegen Frauen verübt. Der Konflikt begann 1949, als der Nordosten mit der Indischen Union fusioniert wurde und er dauerte die gesamten vergangenen  64 Jahre an. Der Armed Forces Special Powers Act gibt jedem indischen Soldaten das Recht, Männer oder Frauen auf Verdacht hin festzusetzen, zu foltern, zu töten und zu vergewaltigen. Dies haben wir nicht in anderen Teilen des Landes …

… außer in Kaschmir …

… ja, aber dort wurde der Armed Forces Special Powers Act erst in den 1990er Jahren verordnet. Im Nordosten ist er seit 1958 in Kraft, das sind mehr als fünfzig Jahre, und die Häufigkeit von Vergewaltigungen liegt im Nordosten viel höher. Die Soldaten, die zu uns kommen, sind der Auffassung, dass die Frauen es selbst provozieren. Im Nordosten tragen Frauen manchmal schulterfreie Kleider. Und wir haben kein Badezimmer. Frauen waschen sich an den Flüssen. Daher fanden viele Vergewaltigungen im Zusammenhang mit Armeeeinsätzen statt, in denen Gebiete nach Aufständischen durchkämmt wurden. Kein einziger Soldat wurde jemals dafür verurteilt. Der Armed Forces Special Powers Act schützt sie vor Strafverfolgung. Das ist die Tragödie des Nordostens. Nur wenn das Verteidigungsministerium ja sagt, kann ein Soldat angeklagt werden. Bisher hat das Verteidigungsministerium seine Soldaten für sakrosankt erklärt und zu Beschützern der Nation hochstilisiert. Daher rührt die Wut, die die Frauen im Nordosten empfinden. Es ist ein rasender Zorn in uns bis heute.

Ich war sehr beeindruckt von dem Protest der "Mütter von Manorama", die sich 2004 vor dem Hauptquartier der Indischen Armee in Manipur nackt auszogen, um gegen die Vergewaltigung und Tötung von Tangjam Manorama Devi zu protestieren. Ein geeigneterer Ausdruck von Solidarität mit Manorama ist kaum vorstellbar. Für die durchschnittliche indische Frau wäre eine solche Aktion aber vermutlich undenkbar.

Ich habe mit allen dreizehn Frauen nach der Aktion gesprochen. Sie berichteten mir, dass sie vor Scham fast ohnmächtig geworden wären. Es ist nicht leicht für eine Frau in Indien sich in der Öffentlichkeit zu entkleiden. Sie waren von sich selbst schockiert, aber sie mussten es tun wegen der Brutalität, mit der Manorama behandelt worden war. In Indien wird alle 22 Minuten eine Frau vergewaltigt. Es war also nicht so, als ob es nicht schon vorher oder auch danach Vergewaltigungen gegeben hätte. Was diesen in seiner Art einzigartigen Protest auslöste war, dass diese Frau mitten in der Nacht von vier bewaffneten Männern aufgelesen wurde. Es war keine Soldatin dabei. Früh am nächsten Morgen fand man ihren misshandelten Körper. Ihr war sieben Mal in die Scham geschossen worden, um die Spuren der Vergewaltigung zu vernichten. Sie hatten ihr einen Lumpen in die offene Wunde geschoben. Es war die schiere Grausamkeit ihrer Misshandlung, die die dreizehn Frauen aus Manipur dazu bewog, zum Hauptquartier der Indischen Armee in Imphal zu gehen, sich nackt auszuziehen und zu rufen: "Wir sind alle Manoramas Mutter!" Sogar wir Frauen, die wir nicht an diesem Protest teilnahmen, waren überwältigt durch das, was wir sahen. Diese Aktion hat Indien erschüttert, sie hat die Welt erschüttert und sie tut dies immer noch. Die Protestbewegung gegen den Konzern POSCO in Orissa hat sich ähnlicher Protestformen bedient und damit den Stahlgiganten zurückgedrängt. Die Aktion hat Frauengruppen im ganzen Land inspiriert, das militante Patriarchat, das wir hier in Indien haben, herauszufordern.

Haben sich die Geschlechterverhältnisse aufgrund solcher Proteste oder durch andere Einflüsse in Indien oder in Manipur in den letzten Jahren verändert?

In Neu-Delhi hat sich der Habitus vieler Frauen wegen der hier überall entstehenden Einkaufspromenaden und den heißbegehrten Modeartikeln dort verändert. Aber Spaghetti-Tops machen eine Frau nicht freier. Noch immer werden solche Frauen als nicht normal angesehen. Im Fall der Gruppenvergewaltigung letztes Jahr sagten die Leute: "Was macht die auch dort draußen um halb zehn Uhr nachts?" Sogar hier in Delhi fühlen wir uns als Frauen nicht sicher, wenn wir nach halb neun raus müssen. Sieh dich nur um in Delhi. Nach neun Uhr wirst du keine einzige Frau mehr auf der Straße sehen. Inder mögen Markensachen tragen, um ihr unverdientes Vermögen zu verschwenden, aber ihre Mentalität hat das nicht verändert. Man sagt: "Eine Frau um zehn Uhr nachts mit Spaghetti-Tops hat es nicht anders verdient." Wenn aber ein Mann einen Lungi mit nacktem Oberkörper trägt, werden Frauen ihn nicht vergewaltigen. Für uns sind Frauenrechte Bürgerrechte. Wir verlangen keine Sonderrechte. Die öffentlichen Straßen, auf denen Männer sich um zwei Uhr morgens bewegen, sind auch von weiblichen Steuergeldern bezahlt. In Manipur ist es noch schlimmer wegen der Aufstandssituation dort. Dort macht man sich sorgen, wenn eine Frau nicht vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause ist. Also sehen wir zu, dass wir bis um halb fünf Uhr zu Hause sind. Hier in Delhi kann man sich immerhin bis zum halb neun draußen aufhalten. Dies sind erbärmliche Zustände. Uns gefällt das nicht und wir wollen dies ändern.

Wie könnte dies der Frauenbewegung in Indien gelingen?

Das ist eine sehr wichtige Frage! Die Frauenbewegung in Indien hat eigentlich seit ihrem Beginn in den 1970er Jahren auf der ganzen Linie versagt. Sie versagte, weil die verschiedenen Frauengruppen zumeist verschiedenen politischen Parteien zuzuordnen sind und sich letztlich in die patriarchalen Strukturen der indischen Parteien einfügten. Dies wurde mir klar, nachdem ich mir verschiedene ihrer Veranstaltungen angeschaut hatte. Nach 30-40 Jahren Frauenbewegung, warum haben wir heute überhaupt diese brutalen Vergewaltigungen? Jede Menge Geld wird ausgegeben, sowohl von Regierungsseite als auch von Nichtregierungsorganisationen und internationalen Gebern, um Gewalt gegen Frauen einzudämmen. Aber die Gewalt gegen Frauen hat immer nur weiter zugenommen in den letzten Jahren. Aus der Arbeit gegen die Gewalt gegen Frauen ist ein Geschäft geworden. Es werden Hochglanzposter gedruckt und schöne Berichte veröffentlicht, aber all dies wird nicht im Sinne einer Veränderung der Verhältnisse umgesetzt. Nach der Gruppenvergewaltigung in Delhi regte ich unter Frauen in Delhi an, etwas zu tun, was wir in Manipur seit einigen Jahren mit Erfolg tun. Ab vier Uhr nachmittags patrouillieren Frauen Manipurs Straßen, bewaffnet mit Bambusstöcken und Taschenlampen. So haben wir unsere Nacht zurückerobert. Aber nein. Frauengruppen erhalten von verschiedenen Seiten finanzielle Unterstützung, sie machen jede ihr Ding und es gibt keine Einigkeit. Das ist das Problem.

Der 16. Dezember, an dem letztes Jahr die Gruppenvergewaltigung stattfand, rückt näher. Sind Aktionen zum Gedenken an Jyoti Pandey geplant?

Das Gericht hat die Todesstrafe über die Vergewaltiger verhängt, womit ich nicht einverstanden bin. Ich bin gegen die Todesstrafe. Man reinigt Indien nicht von Vergewaltigungen, indem man ein paar Typen aus R. K. Puram [ein ärmliches Viertel in Delhi, Anm. d. Übers.] um die Ecke bringt. Zunächst müsste man das indische Parlament säubern. 27 Prozent der indischen Parlamentarier sind vorbestraft. Der Fisch beginnt vom Kopf her zu stinken. Außerdem hat die Todesstrafe ihre abschreckende Wirkung verfehlt. Die Vergewaltigungsrate ist seit der Gruppenvergewaltigung um 88 Prozent gestiegen. Gerade gestern wurde wieder ein nur 18 Monate altes weibliches Baby vergewaltigt. Es herrschen also immer noch widerwärtige Zustände in diesem Land. Indien wird noch lange brauchen bis es gelernt hat, seine Frauen mit dem Respekt zu behandeln, den sie verdienen. Es bedarf einer starken Bürgerbewegung und es bedarf einer kontinuierlichen Erinnerung daran, was letztes Jahr am 16. Dezember in Delhi geschah. Aber momentan ist die Frauenbewegung einfach zu zersplittert.

Die verschiedenen Frauengruppen könnten je jede ihr Ding machen, wenn sie nur ein gemeinsames Forum hätten, wo sie wenigstens einmal im Jahr ihre gesammelte Stärke zeigen könnten.

Wie gesagt, das Problem ist die Uneinigkeit unter den Frauenflügeln der verschiedenen politischen Parteien. Wenn eine zu einem Protest aufruft, wird sie von den anderen boykottiert. Das ist wirklich traurig und sehr schädlich für die Frauenbewegung in Indien. Deswegen hält sich unsere Gruppe von allen politischen Parteien fern und bleibt neutral. Wir arbeiten für Geschlechtergerechtigkeit und allgemein für demokratische Bürgerrechte.

Ich höre nicht auf mich darüber zu wundern, wie es sein kann, dass Indien international so wenig beachtet wird, wenn es um Menschenrechte und insbesondere Frauenrechte geht. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Umweltschützer wie Greenpeace bekommen hier keinen Fuß auf den Boden. Sie müssen fast im Verborgen und vermittels lokaler Kontaktgruppen arbeiten. In Konfliktregionen wie Kaschmir oder im Nordosten sind sie überhaupt nicht vertreten. Man behindert ihre Arbeit, um das internationale Image Indiens nicht zu beinträchtigen. Wie ist das möglich in einem demokratischen Land mit freier Presse und einer lebenssprühenden Zivilgesellschaft?

Für das soziologische Profil der indischen Staatsverwaltung, auch für Diplomaten, die ich häufig treffe, gilt, dass sie zumeist der Klasse der Brahmanen angehören und die will am Status quo nichts ändern. Sie sagen, es gäbe keinen Konflikt in Indien, es gäbe nur ein Law-and-order-Problem. Sie wollen Indien schönfärben, so als sei hier alles in Ordnung. Aber in Wirklichkeit ist hier nichts in Ordnung. Die Leute, die Machtpositionen in Politik und Verwaltung erreicht haben, kommen überwiegend aus den höheren Kasten und die wollen ihren Status quo erhalten. Sie wollen mir nicht einmal gestatten, von Frauen in Krisengebieten zu sprechen. Sie wollen, dass ich sage: "Frauen in schwierigen Umständen." So mogeln sie. Aber sie merken, dass sie mit uns zusammen arbeiten müssen, und so bitten sie uns: "Bitte benutze nicht den Ausdruck ‚Konflikt’" sondern ‚schwierige Umstände‘. So versuchen sie das Image Indiens im Ausland zu kontrollieren. Sie versuchen die Existenz von gewalttätigen Aufständen in diesem Land leugnen. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es auch gute und sehr feinfühlige Verwaltungsbeamte gibt in Indien. Aber es sind wenige. Die Mehrheit leidet immer noch unter dem Hang-over des kolonialen Verwaltungsbeamten mit seinem fetten Bungalow und 100 Dienern. Es geht nur um Macht, Michael, und darum, den Status quo zu erhalten. Die Verwaltung in Indien ist immer noch sehr kolonial und das soll so bleiben. Warum sollten sie also zugeben: "Hey, hier haben wir einen Konflikt, lass ihn uns lösen." Viel lieber schicken sie die Armee, drücken uns den Armed Forces Special Powers Act aufs Auge und bringen uns mit vorgehaltener Waffe zum Schweigen. Notfalls töten sie uns. Mit den heutigen sozialen Medien können sie uns allerdings nicht mehr so leicht zum Schweigen bringen und damit verändert sich Indien langsam auch in dieser Hinsicht.

Ich bedanke mich für das Gespräch!

 


 

Binalakshmi Nepram ist Generalsekretärin der Control Arms Foundation of India und Gründungsmitglied des Manipur Women Gun Survivors Network. Michael Dusche arbeitet derzeit als Senior Fellow am CSDS in Delhi. Das auf Englisch geführte Interview wurde gekürzt und vom Autor übersetzt. Das vollständige englischsprachige Interview können Sie hier abrufen.

 

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