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24. November 2009. Kommentare: Afghanistan - Politik & Recht Raus aus dem Abseits

Mit der Anerkennung des Wahlbetrügers Karzai haben die westlichen Regierungen die Demokratisierung Afghanistans aufgegeben. Nun soll mit den Taliban verhandelt werden.

Die Taliban hatten eine eigene Auffassung über die Funktion des Strafraums auf einem Fußballfeld. Während ihrer Herrschaft mussten Gefangene im Stadion von Kabul am Strafraum niederknien, sie wurden mit einem Kopfschuss getötet. Vor zehn Jahren, am 16. November 1999, war eine Frau an der Reihe, von der nur der Vorname Zarmina bekannt ist. Ihren Tod sahen nicht nur die etwa 30 000 Zuschauer im Stadion. Die mit einer versteckten Kamera gefilmte Exekution ist unter anderem in dem Dokumentarfilm ""Beneath the Veil" von Saira Shah zu sehen.

Shah fragte auch Mullah Wakil Ahmed Muttawakil, den Außenminister der Taliban, warum die Hinrichtungen in einem Stadion stattfänden, das die "internationale Gemeinschaft" einst finanziert hatte, um den Afghanen eine Freude zu machen. "Wenn der Gerechtigkeit Genüge getan wird, ist das auch ein freudiges Ereignis", erläuterte Muttawakil. Doch er machte der "interna­tio­nalen Gemeinschaft" auch einen Vorschlag: "Sie sollten einen Platz für Hinrichtungen bauen und uns finanziell unterstützen, sodass im Stadion Fußball gespielt werden kann und auch wir unserer Arbeit nachgehen können."

Muttawakil ist wieder ein gefragter Gesprächspartner. Nach der Niederlage der Taliban hatte er sich den US-Truppen gestellt. Doch er galt immer als "gemäßigt" und wurde 2003 freigelassen. Bereits im Februar 2004 sagte Präsident Hamid Karzai, er habe einen "netten Brief" Muttawakils erhalten, der "recht vernünftige" Ansichten über die Zukunft Afghanistans äußere. Im vergangenen Jahr verhandelte Muttawakil in informellen Gesprächen, zu denen der saudi-arabische König Abdullah eingeladen hatte, mit Repräsentanten der afghanischen Regierung. Derzeit wird er nach Angaben des britischen Sunday Telegraph von hohen US-Beamten "höflich umworben".

Die Finanzierung von Hinrichtungsstätten ist in den westlichen Wiederaufbauplänen zwar nicht vorgesehen, doch setzt sich mehr und mehr die Ansicht durch, man sollte die Taliban ihrer Arbeit nachgehen lassen, sofern sie sich von al-Qaida trennen und sich ideologisch ein wenig mäßigten. Nicht zufällig spielt Saudi-Arabien eine wichtige Rolle als Vermittler. Der Wahhabismus, die dortige Staatsdoktrin, könnte das ideologische Inte­grationsmodell sein. Die königstreuen Wahhabiten sind antiwestlich und antisemitisch in Lehre und Propaganda, aber so zurückhaltend, ihren Tugendterror weitgehend auf das eigene Herrschaftsgebiet zu beschränken. Überdies spielen die Saudis Fußball, und die öffentlichen Hinrichtungen finden nicht in Stadien statt.

"Die Vereinigten Staaten haben ein Recht, darauf vertrauen zu können, dass jede afghanische Regierung, ob es eine Regierung der Taliban ist oder eine andere, garantiert, Amerika nicht zu bedrohen", sagte Muttawakil. Ihm zufolge fordern verhandlungsbereite Taliban vor allem Sicherheitsgarantien und die Freilassung der Gefangenen ihrer Bewegung. Man darf annehmen, dass die Herrschaft zumindest über den Süden Afghanistans ebenfalls auf der Liste steht. Das bestätigt Arsalan Rahmani, unter den Taliban Minister für islamische Angelegheiten und nun Senator im afghanischen Parlament, der ebenfalls an den Gespächen in Saudi-Arabien teilnahm. Karzai müsste die Provinzen Helmand und Kandahar abtreten und den Taliban Posten in der Zentralregierung geben, dann wären die meisten Kommandanten zu einem Deal bereit, nicht aber Mullah Omar, der Führer der Bewegung.

Ob das zutrifft und Muttawakil tatsächlich eine verhandlungsbereite Fraktion der Taliban repräsentiert, ist unklar. Am guten Willen Karzais und des Westens wird ein Deal jedenfalls nicht scheitern. Karzai hat sein Integrationsangebot nach seiner Bestätigung als Präsident noch einmal wiederholt. Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatten hohe amerikanische und britische Offiziere öffentlich Gespräche mit den Taliban befürwortet, im Frühjahr bekundete die neue US-Regierung ihre Verhandlungsbereitschaft.

Doch warum sollten sich die Taliban mit dem halben Land zufrieden geben, wenn sie vielleicht auch das ganze haben können? Diese Frage dürf­te im kommenden Winter, wenn Kälte und Schnee eine weitgehende Kampfpause erzwingen, unter den Jihadisten eifrig debattiert werden. Ihnen ist nicht entgangen, dass Karzai und die Interventionsmächte aus einer Position der Schwäche verhandeln.

Obwohl die Truppenstärke seit 2007 fast verdoppelt wurde, konnten die Taliban fast alle Landesteile infiltrieren. Mit der Anerkennung des Wahlbetrügers Karzai (Jungle World 44/09) haben die westlichen Staaten ihrem Einsatz nun auch noch die politische Legitimation entzogen. Unter anderem gratulierten Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Barack Obama und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Karzai zu seiner "Wiederwahl". Es hat bei der Afghanistan-Intervention auch in der Vergangenheit an haarsträubenden Fehlentscheidungen wahrhaftig nicht gemangelt, die Demokratisierung und damit auch das nation building faktisch aufzugeben, wird jedoch katastrophale Folgen haben.

Afghanische Demokraten, Menschenrechtler und Säkularisten konnten nie auf die konsequente Unterstützung des Westens zählen. Nun aber wurde ihnen deutlich gemacht, dass sie für die westliche Politik keinerlei Bedeutung haben. Dem Jihadismus durch gesellschaftliche Reformen den Boden zu entziehen, ist nun ausgeschlossen, der "War on terror" wird sich unter den Afghanen in Zukunft allein auf Warlords und Söldner stützen können.

Derzeit hat Karzai die meisten Warlords um sich geschart, darunter wichtige Kommandanten der Nordallianz, die Ende der neunziger Jahre einige Gebiete gegen die Taliban halten konnte. Solange das so bleibt, hat Karzais Gegenkandidat Abdullah Abdullah, dessen Einflussgebiet ebenfalls im Norden liegt, keine Chance in einem offenen Machtkampf mit der Regierung. Sollte es jedoch zu Verhandlungen mit den Taliban kommen, müssen Posten und Pfründe neu verteilt werden, und weder die Jihadisten aus dem Süden noch die Warlords aus dem Norden sind bekannt für ihre Bescheidenheit.

Jene Politiker, die den Wahlbetrug absegneten und die Ausweitung des klientelistischen Systems auf die Taliban befürworten, fordern nun von Karzai good governance und eine härtere Bekämpfung der Korruption. Andernfalls werde er "das Leben britischer Männer und Frauen nicht gefährden", kündigte der britische Premierminister Gordon Brown am Freitag voriger Woche an, doch weiterhin werde "jede notwendige Maßnahme zum Schutz unserer Sicherheit" getroffen.

Ob solche Äußerungen vornehmlich der Rechtfertigung eines unpopulären Krieges dienen oder einen Strategiewechsel einleiten sollen, ist derzeit nicht ersichtlich. Die US-Regierung debattiert noch über eine neue Afghanistan-Politik. Sie könnte so aussehen wie die alte Strategie der neunziger Jahre, als die Taliban als dubios, aber potenziell nützlich galten. Dann kam nach dem 11. September 2001 "unsere Sicherheit" ins Spiel, dennoch mochten sich die Taliban nicht von ­al-Qaida trennen. Das sollen sie nun nachholen. Neun Monate vor den Anschlägen hatte Muttawakil die USA aufgefordert, sie sollten "versuchen, unsere Freunde zu werden". Vielleicht geht dieser Wunsch noch in Erfüllung.

 

Quelle: Der Beitrag erschien im Orginal am 12. November 2009 in der Wochenzeitung Jungle World 46/2009.

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