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30. Mai 2008. Kommentare: Politik & Recht - Pakistan Jeder denkt für sich allein

Zweckbündnis zwischen PPP und PML-N nach 50 Tagen zerbrochen

Zwei Politiker gefährden mit ihren Inter­essen die fragile Demokratie Pakistans. Gleichzeitig kooperieren Provinzregierungen mit Islamisten und befürworten die Einführung der Sharia.

Nur 50 Tage hielt das Zweckbündnis der größten Parteien Pakistans. Schuld an der Wiederkehr des politischen Zwistes sind die persönlichen Interessen der zwei einflussreichsten Parteipolitiker des Landes. Ohne die Muslimliga (PML-N) ist die von der Pakistanischen Volkspartei (PPP) geführte Koalition von Premierminister Yousaf Raza Gilani kaum handlungsfähig, da sie über keine Mehrheit im Parlament verfügt. Der Vorsitzende der PML-N, Nawaz Sharif, sagte zwar, seine Partei wolle die Regierung weiterhin tolerieren, betonte jedoch gleichzeitig, die Muslimliga werde je nach Thema über ihr Abstimmungsverhalten entscheiden.

Der Konflikt entstand in der Debatte um die während des Notstandsregimes von Präsident Pervez Musharraf abgesetzten Richter. Nach wochen­langen Verhandlungen zwischen Asif Ali Zardari, offiziell nur stellvertretender Vorsitzender der Volks­partei, und Sharif konnte keine Einigung erzielt werden. Als die PPP die zweite, bis zum 12. Mai gesetzte Frist verstreichen ließ, die Richter per Parlamentsbeschluss wiedereinzusetzen, traten die neun Minister der PML-N einen Tag später allesamt zurück.

Sharif liegt die Wiedereinsetzung der Richter ganz besonders am Herzen: Würden diese die umstrittene Wiederwahl von Präsident Musharraf und die während seiner Amtszeit erlassenen Dekrete für illegitim erklären, stände für Sharif die Kandidatur für das Amt des Premierministers offen. Diese Position hatte er bereits zweimal inne. Seine vorerst letzte Amtszeit endete 1999 mit dem Putsch General Musharrafs, der ihn unter Hochverrats- und Terrorismusvorwürfen festnehmen ließ, dann ins Exil zwang und ihm nach seiner Rückkehr weiterhin Staatsämter versagte. Sharif macht aus seiner tiefen Abneigung gegen Musharraf keinen Hehl, seinen Anhängern gegenüber betont er stets, dass das Ziel der Koali­tion mit der PPP die Absetzung des Generals sein müsse, der Pakistan in einen "Garnisonsstaat" verwandelt habe.

Zardari dagegen käme die Wiedereinsetzung der Richter sehr ungelegen, da dies die von Musharraf maßgeschneiderte Amnestie für ihn und seine im Dezember ermordete Ehefrau, die ehemalige Premierministerin Benazir Bhutto, gefährden würde. Unter der Regierung Sharifs war Zardari 1997 wegen Korruption und der – bis heute unaufgeklärten – Ermordung seines Schwagers Murtaza Bhutto inhaftiert worden. Zwar wurde Zardari später ebenfalls von Musharraf ins Exil geschickt, doch der persönliche Groll gegen seinen einstigen Intimfeind Sharif sitzt tiefer. Im Gegensatz zu Sharif vertritt er eine weniger konfrontative Linie gegen den Präsidenten, mit dem er sich gut arrangiert. Emissäre west­licher Staaten, allen voran aus den USA, versuchen, Zardari zu überzeugen, sich mit Sharif zu verständigen.

Noch hält der Burgfriede zwischen den beiden Parteien im Parlament. Zurzeit bereiten die Kontrahenten ihre Kandidatur bei Nachwahlen zur Natio­nalversammlung vor, bisher war ihnen das versagt. Gleichzeitig intensiviert die PML-N den außerparlamentarischen Druck auf die Regierung. Zahlreiche Parteianhänger nehmen an Demons­trationen von Anwälten und anderen Oppositions­gruppen teil. Gleichzeitig verhandeln Vertreter der PPP mit der PML-Q, einer Präsident Musharraf nahestehenden Abspaltung der Muslimliga, und der Muttahida-Quami-Bewegung (MQM), mit der die Volkspartei in der Provinz Sindh bereits koaliert. Sollte es mit diesen zu einer neuen Koalition kommen, dürfte Sharif endgültig die of­fene Konfrontation suchen und seine Anhänger dazu aufrufen, die Verwaltung und andere Bereiche mit Streiks lahmzulegen.

Eine Eskalation aus reinem Machtkalkül dürfte gegenwärtig kaum auf Zustimmung in der Bevölkerung stoßen. Auch in Pakistan steigen seit Monaten die Kosten für Grundnahrungsmittel und Energie rasant an; weit verbreitete Arbeitslosigkeit, eine steigende Inflationsrate und Ka­pitalflucht sind weitere drängende Probleme. Zudem eskaliert seit Monaten der Konflikt mit den Jihadisten. Wiederholt verüben diese Anschläge in den Städten und liefern sich Kämpfe mit der Armee und Sicherheitsdiensten in den an Afghanistan grenzenden Regionen. In anderen Provinzen Pakistans ist es ebenfalls unruhig, wobei diese Auseinandersetzungen eher ethnischen, religiösen und vor allem partizipatorischen Konflikten geschuldet sind.

Die Situation in der Grenzregion zu Afghanistan ist uneinheitlich. Während in den Stammesgebieten, wo auch die US-Armee operiert, die Kampfhandlungen anhalten, führt die paschtunische Awami-Nationalpartei (ANP) lokale Friedensverhandlungen.

In der Nordwest-Grenzprovinz koaliert die ANP mit der PPP als Juniorpartnerin. Am Mittwoch vergangener Woche unterzeichneten Vertreter der Provinzregierung ein Abkommen mit der Bewegung zur Durchsetzung der Sharia (TNSM), die sich seit Oktober 2007 im Swat-Tal intensive Kämp­fe mit einem großen Armeeaufgebot lieferte. Als Gegenleistung für einen Teilabzug, mehr Autonomie, Entwicklungshilfe und Reparationen sowie die Einführung von Teilen der Sharia-Rechtsprechung verpflichtete sich die TNSM, ausländische Kämpfer auszuweisen, mit den Sicherheitsbehörden zu kooperieren, jegliche Behinderung der Bildung für Mädchen und auch Aktionen gegen Friseursalons und Musikgeschäfte einzustellen.

Nach Einschätzung des Publizisten Ahmed Ra­shid in der Daily Times beinhalten die Verhandlungsangebote der lokalen ANP-PPP-Koalition mit ihrer starken Entwicklungskomponente neue, wichtige Ansätze. Allerdings kritisiert er die unzureichende Beteiligung des Militärs, das die Rückkehr von Vertriebenen sichern müsse. Zudem müsse der "Madrassa-Kultur mit einem massiven Bildungs- und Alphabetisierungsprogramm begegnet werden". Bei den Madrassas handelt es sich um islamistische Religionsschulen.

Ob die lokalen Bemühungen langfristig fruchten und das Swat-Abkommen in anderen Gebieten übernommen wird, hängt von einem nationalen Konsens im Rahmen einer sachlichen politischen Debatte und vor allem auch von externen Faktoren ab. US-Vizeaußenminister John Negroponte äußerte "erhebliche Vorbehalte gegen Abkommen dieser Art mit Extremisten in Pakistan". Bislang kann sich der ehemalige Militärdiktator Musharraf als Garant für Kontinuität behaupten – Zardari und Sharif dürfen sich ruhig weiterhin beharken.

Quellen

Der Beitrag erschien im Original am 29. Mai 2008 in der Wochenzeitung Jungle World 22/2008.

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