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23. Oktober 2003. Nachrichten: Wirtschaft & Soziales - Indien Weltsozialforum: Asien unterrepräsentiert

Von Porto Alegre nach Mumbai - Prof. Khasnabis über Indiens Beitrag

Im Januar nächsten Jahres wird das Weltsozialforum zum ersten Mal nicht im brasilianischen Porto Alegre, sondern im indischen Mumbai (Bombay) stattfinden. Am Rande einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 7. Oktober 2003 in Berlin sprach unser Autor mit dem Agrarökonomen Ratan Khasnabis über den Beitrag Indiens zum alljährlichen Treffen der Globalisierungskritiker.

Ratan Khasnabis ist ein kleiner, zierlicher Mann. Er tritt bescheiden auf, fast schüchtern. Doch es ist einer der bekanntesten Agrarökonomen Indiens, der gerade auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Vortrag hält. Mehr noch: der "linke Aktivist und Maoist" wie er sich etwas selbstironisch bezeichnet, saß für seine Überzeugungen zwei Jahre lang im Gefängnis.

Womit kann Indien dem Weltsozialforum seinen Stempel aufdrücken? "Da gibt es eine Menge Sachen", meint Ratan Khasnabis: "Wir haben Ansätze wie auch Probleme, die weltweit von Bedeutung sind. Das Thema religiös motivierte Gewalt und Konflikte zum Beispiel". Gerade eine Beschäftigung mit diesem Thema versuche das Weltsozialforum bisher gerne zu vermeiden. "Das wird in Indien nicht funktionieren", prophezeit der Professor, der an der Universität Kolkata (Kalkutta) lehrt. Außerdem könne Indien auf gute Ansätze und eine lange Erfahrung mit partizipativer kommunaler Selbstverwaltung und Konzepten der Landreform verweisen.

Arundhati Roys Appell

Ursprünglich war das Weltsozialforum als Gegeninitiative zum Weltwirtschaftsforum ins Leben gerufen worden. Dem schweizerischen Davos, in dem sich alljährlich im Januar die Polit- und Wirtschaftseliten einfinden, wurde eine Plattform verschiedenster Basisbewegungen, Nichtregierungsorganisationen und Intellektueller entgegengesetzt, auf der seither für "Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Ökologie und Selbstbestimmung" und gegen "Neoliberalismus, Herrschaft des Geldes und jede Form von Imperialismus" gerungen wird.

Porto Alegre als Veranstaltungsort sorgte naturgemäß für einen Fokus auf lateinamerikanische Themen. Nur wenigen Teilnehmern aus Afrika und Asien konnte die Reise nach Brasilien finanziert werden. Folglich dominierten lateinamerikanische Basisbewegungen und die weltweit agierenden Nichtregierungsorganisationen. "Diese zahlenmäßige Überlegenheit hat dem Weltsozialforum einen fast westlichen Charakter verliehen", meint Professor Khasnabis. Afrikanische und asiatische Positionen und Probleme waren dagegen unterrepräsentiert – auch wenn gerade die Inderin Arundhati Roy durch eine umjubelte Rede in Porto Alegre einer breiten lateinamerikanischen Öffentlichkeit bekannt wurde. Der Politik der USA, stellvertretend für alle Länder und transnationalen Konzernen, die den alleinigen Nutzen aus einer ausschließlich wirtschaftlich orientierten Globalisierung ziehen, sagte Arundhati Roy den Kampf an: "Wir sind viele, sie sind wenige. Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist unterwegs."

Mit dem Ziel, Ansätze und Forderungen in anderen Teilen der Welt besser repräsentieren zu können, wurde auf dem Weltsozialforum 2002 vereinbart, regionale Sozialforen auf verschiedenen Kontinenten zu organisieren. Im Januar dieses Jahres fand das erste Asiatische Sozialforum im südindischen Hyderabad statt. Für verschiedenste Gruppen, die ansonsten weitgehend unbeachtet und isoliert gegen für sie unsichtbare Kräfte kämpfen, die immer mehr und immer aggressiver nationale und lokale Selbstbestimmung aushebeln, war es die erste Gelegenheit, sich Gehör zu verschaffen und sich untereinander auszutauschen.

Die Bewegung in Indien beobachtet besorgt, wie die regierende Indische Volkspartei (BJP) versucht, ein hindunationalistisches Indien zu schaffen. "Für die BJP", erläutert Prof. Khasnabis, "ist Indien Hindu-Land. So gehen ihre Anhänger zunächst gegen Muslime und Christen vor. Ihre Kampagnen richten sich aber immer mehr gegen alle Minderheiten, soziale Bewegungen und Kommunisten". Parallel dazu plünderten sie das Land aus. "Ursprünglich hat die BJP den Neoliberalismus abgelehnt. Inzwischen privatisieren sie Staatsbetriebe und öffentliche Dienstleistungen zu Schleuderpreisen, zum Nutzen ihrer eigenen Klientel. Außerdem locken sie ausländisches Kapital an auf Kosten lokaler Betriebe und Strukturen. Die Folgen sind steigende Arbeitslosigkeit und Verarmung". Eine neoliberale Wirtschaftspolitik in Kombination mit religiösem oder ethnischem Chauvinismus: Diese Beobachtung gilt nicht allein für Indien.

Erfahrung Landreform

Wenn Ratan Khasnabis die Landwirtschaft als möglichen Beitrag Indiens zum Weltsozialforum hervorhebt, dann meint er auch Strategien, über die die BJP-geführte Zentralregierung seiner Meinung nach versucht, Errungenschaften in Westbengalen zu zerstören. "Wir haben hier unter der kommunistischen Regierung eine Landreform durchgeführt und eine dezentralisierte, partizipative Landwirtschaft aufgebaut. Ein zentrales Marketingsystem unterstützt die Bauernkooperativen. Durch die Öffnung des Agrarmarktes und Beschneidung der Subventionen entziehe die Zentralregierung solchen Bemühungen die Lebensgrundlage. "Bewässerungsprojekte werden nicht mehr gefördert und es gibt keine billigen Kredite mehr für den Maschinenkauf ", erklärt Khasnabis. So stehe Westbengalen vor einer tief greifenden Krise.

Ungeachtet dessen können jene westbengalischen Erfahrungen laut Khasnabis durchaus einen interessanten Beitrag Indiens zum Weltsozialforum bilden.

Quelle: Der Beitrag erschien am 23. Oktober 2003 auf der Nord-Süd-Seite der Tageszeitung "Neues Deutschland".

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