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06. August 2007. Nachrichten: Politik & Recht - Afghanistan Entführung zur Erntezeit

Die Verschleppung zweier Deutscher in Afghanistan könnte im Zusammenhang mit Konkurrenzkämpfen unter Drogenhändlern stehen. Sie finden sich nicht nur unter den Taliban.

Der internationalen Öffentlichkeit war Arif Noorzai bislang unbekannt. Umso besser kennen ihn Geheimdienstler und Drogenbekämpfer, denn seit den achtziger Jahren gilt er als einer der bedeutendsten Opiumschmuggler des Landes. Die US-Regierung fand es daher unpassend, dass Präsident Hamid Karzai ihn ausgerechnet zum Minister für Grenzangelegenheiten ernannt hatte, und drängte auf seine Entlassung. Karzai gab im Jahr 2004 nach.

Doch Noorzai hat gute Verbindungen zu paschtunischen Clanführern, zwei seiner Schwestern sind mit Verwandten Karzais verheiratet. Für ihn musste ein neuer Posten gefunden werden, so wurde er Vizesprecher des Parlaments. Dort muss er sich nicht einsam fühlen. Einer Untersuchung der Afghanistan Research and Evaluation Unit zufolge sind mindestens 17 Abgeordnete selbst Drogenhändler, 24 weitere haben enge Verbindungen zum Opiumgeschäft.

In diesem Jahr wird einmal mehr eine Rekordernte erwartet, sie wird derzeit eingebracht. Die Konkurrenz wird härter, denn sowohl die Taliban als auch viele Verbündete Karzais finanzieren ihr Klientelsystem und ihre Milizen durch den Drogenhandel. Möglicherweise war ein solcher Konkurrenzkampf der Hintergrund der Entführung von fünf Afghanen, unter ihnen Arifs Bruder Eshak Noorzai, und zwei Deutschen am 19. Juli der vergangenen Woche in der Provinz Wardak nahe Kabul.

Derzeit ist noch unklar, ob die Taliban sie entführt, die Geiseln gekauft haben oder nur versuchen, den Vorfall zu nutzen. Auch die Angaben über die Todesursache einer deutschen Geisel und den Verbleib Eshak Noorzais sind widersprüchlich. Doch 23 entführte Südkoreaner befinden sich offenbar tatsächlich in Gefangenschaft der Taliban. Die Islamisten drohten mit ihrer Ermordung, sollten nicht 23 gefangene Taliban freigelassen und 200 südkoreanische Soldaten abgezogen werden.

Mit der Forderung nach einem Truppenabzug muss sich auch die Bundesregierung auseinandersetzen. Die etwa 3.000 Soldaten seien dort, um die "Sicherheit Deutschlands zu schützen", sagte Kanzlerin Angela Merkel. Dass sie bleiben sollen, meint auch die SPD, umstritten sind nur Details des Einsatzes. Doch die Taliban erwarten wohl auch keinen freiwilligen Abzug. Erfolgversprechender ist es, mit der Ermordung von Geiseln und Anschlägen auf Bundeswehrsoldaten dafür zu sorgen, dass der Einsatz noch unbeliebter wird, als er es ohnehin schon ist.

Das kommt umso ungelegener, als westliche Verbündete ein stärkeres Engagement der Bundeswehr fordern. "Das Ausmaß der Truppenentsendungen der Nato ist nicht ausreichend", tadelte der kanadische Premierminister Stephen Harper, und das Verteidigungskomitee des bri­tischen Unterhauses ist "tief besorgt, dass die Zurückhaltung einiger Nato-Mitglieder, Truppen für die Isaf-Mission zu entsenden, die Glaubwürdigkeit der Nato unterminiert". Konkreter äußerte sich der US-General Dan McNeill, der zwei zusätzliche Bundeswehr-Bataillone wünscht.

Doch mehr Soldaten werden die wachsenden Probleme nicht lösen. Da in Afghanistan weniger Menschen auf spektakuläre Weise massakriert werden als im Irak, hat sich die Ansicht verbreitet, der Krieg in Afghanistan laufe besser. Doch das Gegenteil ist der Fall. Im Irak gibt es immerhin die ehemalige kurdische Autonomieregion, die trotz aller Probleme so etwas wie ein demokratisches Modell ist, und neben Milizen und Warlords existieren politische Parteien und Gewerkschaften.

Im Irak gibt es wenig Grund für Optimismus, aber immerhin Grundlagen für eine Demokratisierung. In Afghanistan müssten diese Grundlagen erst geschaffen werden. Auf beiden Seiten der Front herrschen die Warlords. Unter deutscher Führung wurden diese Machtverhältnisse seit Ende 2001 institutionalisiert. Statt den Bauern die Opiumernte zu einem guten Preis abzukaufen, zerstören Soldaten die Felder, die nicht unter der Protektion einflussreicher Warlords stehen. Viele Bauern lassen sich von den Taliban rekrutieren, was etwa fünfmal soviel einbringt wie der Dienst in der afghanischen Armee. Die Interventionsstaaten haben es nicht nur versäumt, die wenigen Ansätze einer gesellschaftlichen Gegenmacht zu fördern, sie lassen sich sogar finanziell von den Taliban überbieten.

Quelle: Jungle World

Quelle: Der Beitrag erschien im Orginal am 26. Juli 2007 in der Wochenzeitung Jungle World 30/2007.

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