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Wie bereits bei Anschlägen in Ahmedabad, Bangalore, Jaipur und Uttar Pradesh bekannten sich auch dieses Mal die Indian Mujahideen kurz zuvor per E-Mail zu den Anschlägen. Hinter der Gruppe verbirgt sich nach Ansicht der Sicherheitsbehörden die verbotene und aus dem Untergrund operierende radikale Students Islamic Movement of India (SIMI), die über Kontakte zu ausländischen islamistischen Terrorgruppen verfügen soll. Als Hauptverdächtiger für die Anschläge wird von den Behörden der flüchtige Abdul Subhan Qureshi genannt, ein Absolvent einer christlichen Missionsschule und IT-Spezialist aus Mumbai.
In Indien wird zwar nach wie vor auf das Agieren islamistischer Terrorgruppen aus Pakistan und Bangladesch verwiesen, trotzdem gehen Politiker und Polizei mittlerweile davon aus, dass es einen hausgemachten islamistischen Terrorismus gibt und schätzen, dass etwa 800 Terror-Zellen mit ausländischer Unterstützung in Indien existieren.
B. Raman, ehemaliger Leiter der Anti-Terrorismus-Abteilung des Auslandsgeheimdienstes Research and Analysis Wing (RAW), behauptet, dass durch die ersten Verhaftungen nach den Anschlägen in Ahmedabad bestenfalls die "Spitze des Eisbergs" sichtbar geworden sei. Die Sicherheitsorgane seien bislang nicht in der Lage, das Kommando und die Kontrolle der weitgehend autonomen Zellen zu identifizieren, geschweige denn diese zu infiltrieren. Auch sei die Existenz verschiedener Trainingscamps innerhalb Indiens nicht mehr von der Hand zu weisen. Nur eine zentrale Ermittlungsbehörde (Federal Investigation Agency) könne, so Raman, das weite pan-indische Netzwerk der militanten Islamisten identifizieren. Ex-Präsident A.P.J. Abdul Kalam forderte die Einführung einer nationalen Identitätskarte.
Die hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei/BJP) nutzte die erneuten Anschläge, um der Regierungskoalition der United Progressive Alliance (Vereinigte Fortschrittliche Allianz/UPA) krasses Versagen im Kampf gegen den Terrorismus vorzuwerfen. Sie unterstellte einigen UPA-Koalitionspartnern, aus Rücksicht auf ihre muslimische Wählerschaft sogar Sympathien für SIMI. Auf einem Treffen der Parteiführung in Bangalore stellte die BJP Narendra Modi als neues Aushängeschild im Kampf gegen den Terrorismus vor. Modi, der wegen der genozidartigen Übergriffe gegen Muslime 2002 äußerst umstrittene Ministerpräsident von Gujarat, nannte die Congress-Partei "eine Bedrohung der nationalen Einheit" und erklärte: "Die Regierung ist eine Bedrohung für Indiens Souveränität geworden."
Die BJP fordert schärfere Gesetze und eine Rückkehr zum Prevention of Terrorism Act (POTA), der wegen Missbrauchs speziell gegenüber Muslimen unter dem Regime der alten BJP-geführten Regierung von der UPA-Koalition nach ihrem Wahlsieg im Jahr 2004 außer Kraft gesetzt worden war. Neben den Unabhängigkeits- und Sezessionsbestrebungen in Jammu & Kashmir wollen die Hindu-Nationalisten die Bekämpfung des Terrorismus zu einem zentralen Thema bei den kommenden Landtagswahlen und der Unterhauswahl machen. BJP-Spitzenpolitiker Arun Jaitley, der viele der für seine Partei erfolgreichen Landtagswahlkämpfe leitete, betont, dass Indien im In- und Ausland zunehmend als "schwacher Staat" wahrgenommen würde. Die Congress-Partei verweist dagegen darauf, dass die von der BJP regierten Staaten de facto gegen die Errichtung einer zentralen Ermittlungsbehörde seien und mit der Unionsregierung in dieser Frage bislang nicht kooperierten. Die bestehenden Gesetze reichten aus, um den Terrorismus zu bekämpfen. Eine Neuauflage von POTA könne in den Händen der BJP und speziell von Narendra Modi nur zu Missbrauch führen.
Ajai Sahni, Direktor des Institute for Conflict Management – South Asia Terrorism Portal in New Delhi, schreibt in der "Times of India", dass Indien über keine wirksame Verteidigung gegen Terroranschläge auf "weiche Ziele", gemeint ist die Zivilbevölkerung, verfüge: "Es ist entscheidend in diesem Zusammenhang, die unredliche und ablenkende politische Debatte über starke Anti-Terrorgesetze und Scheinlösungen wie die vorgeschlagene Federal Investigation Agency bloß zu stellen. So lange keine effektive Maschinerie zu deren Durchsetzung besteht, haben Gesetze, ob stark oder schwach, keinerlei Relevanz. Das indische Rechtssystem, von der Polizei, über die Strafverfolgung bis zur Justiz, befindet sich am Rande des Zusammenbruchs." Sahini betont, dass es bereits Dutzende dysfunktionaler zentraler Behörden in Indien gebe: "Der große Nachdruck, mit dem Spezialkräfte, Sondergesetze und Sonderbehörden gefordert werden, übersieht die grundlegende Wirklichkeit – man kann keine erstklassige Antwort auf den Terrorismus in einem drittklassigen Polizeisystem entwickeln." In der "Mail Today" warnt der Publizist Manoj Joshi vor einer Neuauflage von POTA: "Das Problem ist, dass die Leute, die dieses Gesetz ausführen würden, unsere Polizisten sind, die einen schrecklichen Ruf der Korruption, Willkür und Brutalität aufgebaut haben. Ein Gesetz ist nur so gut wie die Institutionen, die es anwenden. Und unsere sind verrottet bis in den Kern." Vielmehr sollte die längst überfällige Reform der vielfach hoch politisierten Länderpolizeien höchste Priorität genießen.
Es dürfte der UPA-Regierung schwer fallen, die öffentlichkeitswirksamen Angriffe der BJP erfolgreich abzuwehren. Sollte es vor den nächsten Wahlen zu weiteren Anschlägen kommen, dürfte dies den Hindu-Nationalisten der BJP weiteren Auftrieb geben und die Gefahr einer wachsenden Entfremdung der über 150 Millionen Muslime in der vielfach gespaltenen indischen Gesellschaft fördern. Nach den so oft einseitigen Lobpreisungen über das hohe Wirtschaftswachstum zeigt sich das indische Herrschaftssystem in diesen Wochen und Monaten damit von einer äußerst fragilen Seite. Deutlich werden seine seit langem bekannten strukturellen Defizite. Massendemonstrationen in Jammu & Kashmir für eine wie auch immer geartete Azadi (Freiheit), systematische Christenverfolgungen durch den hindu-fundamentalistischen Vishwa Hindu Parishad und seine Jugendorganisation Bajrang Dal in Teilen von Orissa, Madhya Pradesh und neuerdings auch Karnataka, der Guerilla-Kampf der Maoisten in weiten Teilen des Landes, die Dauerkrise im Nordosten und die Hochwasserkatastrophe in Bihar mit drei Millionen Flüchtlingen werden nun noch durch die Anschlagsserie islamistischer Terroristen ergänzt und fordern in Vorwahlzeiten den indischen Staat, seine angeschlagene Legitimität und die Gesellschaft insgesamt entscheidend heraus.
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