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13. September 2002. Nachrichten: Indien - Wirtschaft & Soziales Keine Milderung der Anklage gegen Ex-Union-Carbide-Manager

18 Jahre nach dem größten Unfall der Industriegeschichte weist ein Gericht in Bhopal einen Antrag zurück, den damaligen Vorstandsvorsitzenden des US-Chemieriesen Union Carbide nur wegen Fahrlässigkeit anzuklagen.

Der Tod kam lautlos. Keine Alarmsirene heulte, als 45 Tonnen hochgiftiger Gase in der Nacht vom 2. zum 3. Dezember 1984 aus einem Leck der Pestizidfabrik des US-Chemiekonzerns Union Carbide im zentralindischen Bhopal entwichen. Hunderttausende wurden von der Gaswolke im Schlaf überrascht. Es war der schwerste Chemieunfall in der Industriegeschichte: Mehr als 3.000 Menschen starben binnen Stunden qualvoll. Bis heute sind Boden und Grundwasser Bhopals mit Giftstoffen kontaminiert. Zehntausende leiden unter Erkrankungen der Atemwege, Augen, inneren Organe, des Nervensystems und nicht zuletzt unter bitterer Armut infolge ihrer Arbeitsunfähigkeit. Auf etwa 20.000 wird die Zahl derer geschätzt, die in den vergangenen 18 Jahren den Spätfolgen erlagen.

"Schuldhafter Todschlag" oder nur "Fahrlässigkeit" des damaligen Union-Carbide-Vorstandsvorsitzenden Warren Anderson? Auf Antrag des dem indischen Premierminister unterstehenden Central Bureau of Investigation (CBI) hatte Ende August 2002 ein Gericht in Bhopal darüber zu entscheiden, ob die Anklage gegen den ehemaligen Spitzenmanager abzumildern sei. Bei einer Revision der Anklage durch das Gericht hätten Anderson im Falle eines Schuldspruchs nur höchstens zwei statt bis zu 20 Jahren Gefängnis gedroht. Bereits gegenüber mehreren indischen Unternehmensmitarbeitern waren die ursprünglichen Anklagen teilweise bis zur Unkenntlichkeit verwässert worden. Dem Verfahren waren wochenlange Proteste von Betroffenengruppen vorausgegangen, die Indiens Regierung verdächtigen, dem Druck des US-Multis Dow Chemical, der Union Carbide 1999 übernommen hatte, nachgegeben zu haben. "Falls die Interessen der Leidtragenden den Wirtschaftbeziehungen zur USA geopfert werden, wäre das eine große Schande", kommentierte S. Muralidhar, ein Anwalt der Opfer.

In der Zeugenanhörung bestätigten ehemalige Mitarbeiter der inzwischen stillgelegten Fabrik die Funktionsunfähigkeit von sicherheitsrelevanten Anlagen wie Filter- und Kühlsystemen vor dem Unfall. Bereits früher waren Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass der laxe Umgang mit Sicherheitsstandards und Personaleinsparungen zu der Katastrophe geführt hätten. Union Carbide, das 1989 nach einem außergerichtlichen Vergleich die "moralische Verantwortung" eingestanden und 470 Millionen US-Dollar als Entschädigung gezahlt hatte, behauptet allerdings bis heute, dass die Sabotage eines verärgerten Arbeiters zu dem Unglück geführt habe.

Letztlich wies das Gericht den Antrag des CBI aber aus formalen Gründen zurück: Warren Anderson selbst hätte den Antrag auf Milderung der Anklage einreichen müssen, erklärte der vorsitzende Richter Rameshwar Kothe am 27. August. Dennoch bleibt es fraglich, ob der Ex-Manager jemals vor einem indischen Gericht erscheinen wird. Der 80-jährige ist in den USA untergetaucht, die dortigen Behörden geben sich hilflos, und New Delhi hat bisher keinen Auslieferungsantrag gestellt. Einen Tag nach der Entscheidung in Bhopal meldete allerdings Greenpeace, man habe Anderson – ohne größere Schwierigkeiten – in einem Ferienhaus auf Long Island bei New York aufgespürt. Ähnlich wie Richter Kothe und die Betroffenenverbände forderte die Umweltorganisation New Delhi nun dazu auf, das Auslieferungsverfahren zu beschleunigen.

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