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28. Februar 2006. Nachrichten: Politik & Recht - Nepal Den König einkreisen

Das Bündnis der maoistischen Aufständischen mit den bürgerlichen Parteien treibt Nepals autokratischen Monarch in die Enge.

"Die Führungen der kommunistischen Bewegungen haben im vergangenen Jahrhundert zunehmend mechanisch agiert. Unsere Volksdemokratie soll demokratischer sein. Wir werden uns dem politischen Wettbewerb stellen." Nepals Maoisten, die mit ihrem Kult um den Vorsitzenden Prachanda und der Abstrafung innerparteilicher Kritik bisher in bester Tradition orthodoxer Kommunisten standen, schlagen ungewohnte Töne an.

Anders als Perus Sendero Luminoso, der sich beim Ausbleiben der Machtübernahme in eine heilsgeschichtliche Alles-oder-Nichts-Logik einhöhlte, hat sich die Kommunistische Partei Nepals (Maoistisch) nach 10 Jahren "Volkskrieg" geöffnet und sucht die Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit. KPN-M-Chef Prachanda, bis vor kurzem nur von Phantomzeichnungen bekannt, gibt seit einigen Monaten der Kathmandu Post, The Hindu und der BBC Interviews, eingeladene Journalisten bürgerlicher Medien berichten von lebhaften Diskussionen auf den Großveranstaltungen in den maoistischen Kerngebieten.

Nach den innerparteilichen Auseinandersetzungen, die noch Anfang letzten Jahres zur Abstrafung von Baburam Bhattarai, dem zweiten Mann der Partei, führten, scheint nun tatsächlich eine neue Streitkultur Einzug zu halten. "Unser Bekenntnis zur Mehrparteien-Demokratie ist keine Taktik sondern Ergebnis von drei Jahren interner Diskussion [...] Der sozio-ökonomische Wandel, für den wir kämpfen, richtet sich gegen Feudalismus und Imperialismus. Unser Ziel ist eine Mehrparteien-Demokratie innerhalb einer Verfassung, die diesen Wandel unterstützt." Das ist zwar kein Abschied vom Avantgarde-Konzept, aber für eine der wichtigsten Parteien in der maoistischen Internationale RIM ein beachtlicher Schritt.

Dabei ist die militärische Lage besser als je zuvor. Mit nahezu täglichen Angriffen auf Armeeeinrichtungen in Nepalgunj, dem Hauptquartier der Streitkräfte für den Landeswesten, haben die Maoisten im Januar gezeigt, dass sie außerhalb der ländlichen Kerngebiete nicht nur Überraschungsangriffe führen können, sondern eine der größten Städte des Landes für Wochen belagern können. Immer öfter werden die Kasernen und Verwaltungseinrichtungen der Distriktszentren von Einheiten in Bataillonsstärke angegriffen, zuletzt in Dhankuta und Tansen. Selbst Kontrollpunkte in den Außenbezirken der von 50.000 Soldaten bewachten Hauptstadt wurden angegriffen, geplündert und anschließend gesprengt.

Auch politisch hat sich das Kräfteverhältnis zwischen den Konfliktparteien erstaunlich verschoben. Vier Monate, bis Anfang Januar, hielten die Maoisten einen einseitigen Waffenstillstand aufrecht - trotz militärischer Offensiven der königlichen Truppen selbst im Kerngebiet um den Distrikt Rolpa. Das hat ihnen Sympathien in den Städten eingebracht und eine Annäherung an die bürgerlichen Parteien ermöglicht. Ergebnis ist ein 12-Punkte-Plan, der den bewaffneten und den zivilen Widerstand gegen die Monarchie koordinieren soll.

Von einer gemeinsamen Front kann freilich noch keine Rede sein. Zu tief ist das gegenseitige Misstrauen. Schließlich haben die parlamentarischen Parteien vor ihrer Entmachtung den Aufstand - genau wie die betroffenen Regionen - erst jahrelang nicht zur Kenntnis genommen, dann als Terrorismus denunziert und die Armee mobilisiert. Maoistische Kader haben die "Ausmerzung von Klassenfeinden" der bürgerlichen Parteien exekutiert. Davon war besonders die Kongresspartei betroffen, die als Verbund örtlicher Honoratioren auch jene Großgrundbesitzer, Geldverleiher und Beamte vertritt, gegen die sich der Aufstand richtete.

König Gyanendra und die Armeeführung stehen nun einer zumindest rhetorisch geeinten Opposition aus nahezu allen politischen Kräften des Landes gegenüber. Doch Gyanendra lehnt jegliche Verhandlungen ab. Dabei haben die strikte Zensur, die Notverordnungen und der Einsatz des Militärs gegen Demonstranten maßgeblich zur Radikalisierung der bürgerlichen Parteien beigetragen. Noch vor einem Jahr, als Gyanendra die Regierung auflöste und den Notstand ausrief, herrschte unter Kathmandus Parteiführern Konsens über eine konstitutionelle Monarchie. Mittlerweile hat selbst die Kongress-Partei das Bekenntnis zur Monarchie aus ihrem Parteistatut gestrichen.

Der König, der seinen Putsch mit dem Versagen der parlamentarischen Regierungen im "Anti-Terror-Kampf" begründet hatte, muss nach einem Jahr als Alleinherrscher sein Regime ein wenig demokratisch aufhübschen, will er nicht den Abzug weiterer Geber riskieren. Nach dem Vorbild von Pakistans Präsident Musharraf ließ er erst einmal Kommunalwahlen abhalten, allgemeine Wahlen sollen später folgen. Doch eine Stabilisierung der königlichen Macht ist nicht in Sicht. Der Boykott der bürgerlichen Parteien und der Aufständischen war erfolgreich. Die Wahlbeteiligung lag offiziell bei 20 Prozent, in den größeren Städten und im Landeswesten deutlich darunter. Dabei bestand für Beamte und Sicherheitskräfte Wahlpflicht, und lokale Beobachter berichten von teils haarsträubenden Manipulationen. Viel Auswahl gab es eh nicht: Für die meisten der 4.160 Bürgermeister- und Stadtratsmandate fand sich nach Drohungen und Attentaten kein oder nur ein Bewerber, so dass am 7. Februar nicht mehr als 618 Posten zur Wahl standen. In der Hälfte der Distrikte fanden die Wahlen gar nicht erst statt.

Der internationale Druck auf den Monarchen wird sich nun verstärken. Gyanendra soll die möglicherweise letzte Chance nutzen, Kathmandus Eliten an die gemeinsamen Interessen zu erinnern und ihre Netzwerke durch Machtbeteiligung einzukaufen. Bleibt der Monarch bei seiner kompromisslosen Haltung, stehen die Chancen gut, dass in einigen Monaten die Allianz fest genug ist, um das von Prachanda skizzierte Szenario umzusetzen. Danach soll die bürgerliche Opposition das Parlament, in dem sie mehr als zwei Drittel der Abgeordneten stellte, erneut einberufen und das Ausland zu dessen Anerkennung auffordern. Eine Übergangsregierung, in der die KPN (Maoistisch) als Juniorpartner mitarbeitet, soll dann Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung vorbereiten. Bis zu den Wahlen hätte der König die Chance, den Machtwechsel anzuerkennen, womit er sich einen Status als zeremonieller Monarch retten könnte.

Der Plan stützt sich vor allem auf die Analyse des internationalen Umfelds. Die Maoisten haben erkannt, dass weder Indien - in Nepal wirtschaftlich und politisch ähnlich dominant wie vor 1947 das Britische Empire - noch die USA eine Machtübernahme der Aufständischen dulden würde. Auch die EU-Staaten und China sind vor allem an Stabilität interessiert. Da der König weder erfolgreich den Aufstand bekämpft noch konkurrierende Eliten integriert, fordern die ausländischen Regierungen seit einigen Monaten vehementer die Wiederherstellung von Demokratie und Bürgerrechten. Sie wären zur Entscheidung gezwungen, wenn die bürgerliche Opposition das Ausland zur Anerkennung seines Parlaments auffordert und die Maoisten dabei im Hintergrund bleiben, gleichzeitig aber konkrete Schritte zur Entwaffnung anbieten und sich glaubhaft zu einem Mehrpartiensystem bekennen.

Gyanendra dagegen hat kein Interesse an einem Ende des Konflikts, der mittlerweile 13.000 Menschen das Leben kostete. Seine Analyse des internationalen Umfelds stützt sich schließlich nicht auf Hypothesen, sondern Erfahrung: Wenn die Bedrohung nur drastisch genug gezeichnet wird, kann selbst der autoritärste Herrscher im Windschatten des Anti-Terror-Krieges mitsegeln.

Quelle: Der Beitrag erschien in gekürzter Fassung am 15. Februar 2006 in der Wochenzeitung Jungle World.

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