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Drei Stunden nach dem katastrophalen Erdstoß vor Sumatra wurde die nur dreihundert Kilometer nordwestlich gelegene indische Insel Great Nicobar von einem Erdstoß der Stärke 7,3 erschüttert. "Die Insel hat etwa 8.000 Einwohner", berichtet Pankaj Sekhsaria, Mitarbeiter der Umweltschutzgruppe Kalpavriksh, die Naturschutzprojekte auf der Insel betreut. "Die meisten der Ureinwohner, Shompen genannt, leben in kleinen Dörfern tief im Urwald. Sie dürften weitgehend verschont worden sein. Aber ein 30 Kilometer langer Küstenstreifen ist von ehemaligen Flüchtlingen aus Bengalen bewohnt, dort müssen die Folgen furchtbar gewesen sein. Aber noch liegen uns keine konkreten Opferzahlen aus Great Nicobar vor." Ein Regierungssprecher sprach heute in Port Blair von 3.000 Todesopfern auf der ganzen Inselgruppe, darüber hinaus würden noch 2.000 Menschen vermisst.
Die Inselgruppe der Andamanen und Nicobaren erstreckt sich in einem 700 Kilometer langen Bogen im Golf von Bengalen, rund 500 Kilometer vor der Küste Birmas (Myanmars). Die Gipfel einer maritimen Gebirgskette, die sich von Birma bis Sumatra erstreckt, bilden rund 250 Inseln, die von dichtem Regenwald bewachsen und häufig von Korallenriffen umgeben sind. Seit tausenden von Jahren leben hier kleinwüchsige, dunkelhäutige Waldnomaden, die mit den Pygmäen in Zentralafrika verwandt sind. Sie verteidigen ihre Heimat mit Waffengewalt gegen jeden Eindringling. Die Inseln wurden von keinem König regiert, von keiner Armee erobert, bis die Briten im 18. Jahrhundert im heutigen Port Blair landeten und gegen heftigen Widerstand der Einheimischen einen Stützpunkt errichteten. Dort entstand am Ende des 19. Jahrhundert ein riesiges Gefängnis, in dem die Kolonialmacht indische Freiheitskämpfer einkerkerte.
Der sternförmige Ziegelbau ist heute ein Nationaldenkmal. Mit der Unabhängigkeit von Großbritannien fiel die Inselgruppe 1947 in indische Hand. Zahlreiche Marine- und Luftwaffenstützpunkte unterstreichen die große strategische Bedeutung, die die Inseln für Indien besitzen, denn von hier aus können sie die Einfahrt in die stark befahrenen Schifffahrtsstraße von Malakka und damit den Zugang zum Wirtschaftsraum Südostasien kontrollieren. Viele Inseln sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich - sondern militärische Sperrgebiete, Naturschutzgebiete und Waldreservate für die Ureinwohner.
In den vergangenen Jahren machten die Inseln vor allem wegen ihrer reichhaltigen Artenvielfalt von sich reden. Umweltschützer erreichten mit einer Klage vor dem Obersten Gericht in Neu-Delhi, dass ein komplettes Fällverbot für einheimische Bäume erlassen wurde. Menschenrechtler machten die Öffentlichkeit auf das Schicksal der 300 Jarawa-Waldnomaden aufmerksam, deren Überleben durch eine Verbindungsstraße durch ihr Reservat bedroht ist.
Quelle: Der Text erschien am 29. Dezember 2004 in der "Tageszeitung" (taz).
Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Der Tsunami im Indischen Ozean .
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