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13. August 2003. Nachrichten: Politik & Recht - Afghanistan Fatwa statt Freiheit

Intervention und Islamismus in Afghanistan

"Wenn der Islam die einzige und vollendete Offenbarungsreligion ist, warum liegen die muslimischen Länder hinter der modernen Welt zurück?" Diese Frage zu stellen, ist in Afghanistan noch immer lebensgefährlich. Am 11. Juni 2003 stand sie in einem von Sayeed Mahdawi und Ali Reza Payam in der Wochenzeitung Aftab veröffentlichten Artikel mit Titel "Heiliger Faschismus".

Die beiden wurden verhaftet und Aftab wurde verboten. Nach einer Intervention des Präsidenten Hamid Karzai wurden sie wieder freigelassen, daraufhin kam es zu Demonstrationen wütender Islamisten und dem Abdruck mehrerer Fatwas in afghanischen Zeitungen. Mahdawi und Payam tauchten nach den Todesdrohungen unter. Am vergangenen Donnerstag hat der Oberste Gerichtshof des Landes die vom Rat der Ulama, der muslimischen Rechtsgelehrten, verkündeten Todesstrafen wegen Gotteslästerung für die beiden afghanischen Journalisten bestätigt.

Seit rund 19 Monaten ist die Herrschaft der Taliban in Afghanistan beendet. Trotzdem ist das Land heute weit von Frieden und freier Meinungsäußerung entfernt. Den involvierten Staaten gelang es bis heute nicht, den schleppenden Wiederaufbau des Landes mit einer Stärkung politischer Kräfte zu verbinden, die sich gegen Warlords und Islamisten wenden. Vielmehr offenbaren sie eine desaströse Konzeptlosigkeit in ihrer Afghanistanpolitik mit ihrer Unterstützung der Warlords, die in der Regel neofeudale Herrscher, geistliche Autoritäten und Parteichefs in einer Person sind. Ihnen gelang es inzwischen, die wenigen zivilen Parteien und NGO fast vollständig zu verdrängen. Der Einfluss islamistischer Kräfte besteht nahezu uneingeschränkt fort.

Der von den internationalen Truppen der ISAF gestützte Präsident, dessen Machtbereich an den Grenzen Kabuls aufhört, erfreut sich keiner großen Beliebtheit bei den an der Regierung beteiligten Warlords. Nicht umsonst vertraut er sich nur US-amerikanischen Leibwächtern an. Die afghanischen Frauen verschwinden selbst in Kabul weiterhin unter der Burkha. Wenige wagten sich in den ersten Monaten des neuen Regimes ohne Ganzkörperüberwurf in die Öffentlichkeit und bereuten es schnell wieder. Human Rights Watch zufolge haben die Vergewaltigungen von Frauen und Kindern seit dem Verschwinden der schwarzen Turbane der Taliban stark zugenommen. Kein Wunder, denn während ihrer Herrschaft waren Frauen aus der Öffentlichkeit verbannt und die NGO erfuhren nur selten von Übergriffen.

Die Afghaninnen waren bereits im Bürgerkrieg nach dem Fall der kommunistischen Zentralregierung und im Kampf zwischen Taliban und Nordallianz Opfer sexueller Gewalt. Heute leiden sie unter den Kriegshändeln der Warlordmilizen und dem weitgehend rechtlosen Chaos im Lande.

Am 16. August protestierten in Kabul rund 1.000 Demonstrantinnen aus 30 Frauengruppen für die Ausweitung der ISAF-Mission auf das ganze Land, die endlich für Frieden und Sicherheit sorgen soll. Fraglich ist aber, ob sich ihre Wünsche erfüllen werden. Denn die bisherigen Pläne für die Ausweitung des Einsatzes sehen nur den Schutz des infrastrukturellen Wiederaufbaus vor. Jeglichen Konfrontationen mit lokalen Feudalherren geht man aus dem Weg und versucht stattdessen, sich deren Kooperation zu erkaufen. Somit sichert die "internationale Staatengemeinschaft" den Einfluss von Kräften, die sich ihre auf Waffengewalt beruhenden Rechte nicht nehmen lassen wollen. Der Großteil der in feudaler Abhängigkeit lebenden Bevölkerung wird weiterhin nur von einigen Nebeneffekten des Wiederaufbaus profitieren.

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