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31. Oktober 2000. Nachrichten: Natur & Umwelt - Südasien Massensterben bedroht südasiatische Geier

Mit Ausnahme Sri Lankas und der Malediven kennt sie in Südasien jedes Kind, hierzulande kennen wir sie aus Disney´s "Dschungelbuch": die Weißrückengeier (Gyps bengalensis). Sie sind die am häufigsten vorkommende Spezies der acht auf dem Subkontinent lebenden Geierarten.

In trockenen Regionen sieht man sie oft in der Mittagshitze am Himmel segeln, wenn sie sich von den heißen Aufwinden in kühlere Luftschichten tragen lassen. Ein gewohnter Anblick sind auch die größeren Gruppen der knapp ein Meter großen Aasfresser, die in den Bäumen und auf Hausdächern sitzen und auf das Verenden von Vieh warten. Doch ihre selbstverständliche Präsenz droht der Vergangenheit anzugehören.

Seit 1996 beobachten Ornithologen ein plötzliches Massensterben der Weißrückengeier und seines Verwandten, dem Langschnabelgeier (Gyps indica). In einigen Regionen wurde ein Rückgang der Geierpopulationen von bis zu 95 Prozent gezählt. So berichtet Vibhu Prakash von der Bombay Natural History Society, daß im Bharatpur Vogelreservat südlich von Delhi die Zahl von Exemplaren beider Geierarten in den letzten drei bis vier Jahren von mehr als 3.000 auf unter 50 zurückgegangen sei. Ähnliche Beobachtungen machten er und weitere Wissenschaftler auch bei Stichproben in anderen Gebieten.

Obwohl die Geier kein sonderlich gutes Image haben und in der Vergangenheit mehrfach Flugzeugunglücke verursachten, weil sie in Triebwerke flogen, erfüllen sie eine unverzichtbare ökologische Funktion. Die Aasfresser besorgen die Beseitigung von Tierkadavern und verhindern so das Auftreten von Krankheiten. Außerdem führen sie die im Aas gebundenen Nährstoffe wieder großflächig dem Ökosystem zu.

Allein Indiens Rinderbestand wird auf über 200 Millionen Tiere geschätzt. Täglich verenden Tausende. So hat der Rückgang der Geier schwerwiegende Folgen. Aus mehreren Regionen im Norden und Westen Indiens wurde bereits die drastische Zunahme verwesender Tierkadaver berichtet.

Nicht eindeutig geklärt ist weiterhin die Ursache des plötzlichen Massensterbens. Während ursprünglich die hohe Belastung von Tierkadavern mit Pestiziden wie DDT verantwortlich gemacht wurde, vermuten Experten nun eine Viruskrankheit, die sich aus Südostasien kommend nach Westen ausbreitet. Jüngste Untersuchungen des britischen Tierarztes Andrew Cunningham scheinen diese These zu bestätigen. Die Krankheit äußere sich durch lethargisches Verhalten und endet nach etwa einem Monat, wenn die Tiere innerlich ausgetrocknet an Nierenversagen sterben. Allerdings warnen Tierschützer wie S.M. Satheesan vom World Wildlife Fund India vor monokausalen Erklärungen. Möglich seien ebenso eine Kombination von Ursachen, wie z.B. die erhöhte Anfälligkeit für Erkrankungen aufgrund von Schadstoffbelastungen. Hingewiesen wird auch auf den planmäßigen Abschuß der Geier durch Flughafenbehörden.

Alarmiert von dem Geiersterben trafen im September Experten zu einem dreitätigen Seminar in New Delhi zusammen, das vom indischen Umweltministerium, der Royal Society for Protection of Birds und der Organisation Bird Life International finanziert wurde. Sie berieten Maßnahmen zur Klärung der Ursachen und dem Schutz der bedrohten Arten. Eindringlich warnten die versammelten Ornithologen, Tierärtze und Umweltschützer vor dem Aussterben der Weißrücken- und Langschnabelgeier. Weiterhin wiesen sie darauf hin, daß in Nepal und Pakistan bereits der Rückgang von Populationen verwandter Geierarten beobachtet worden sei, hinter dem das Überspringen der Viruskrankheit auf andere Arten vermutet wird. Vereinbart wurden weitere Untersuchungen, regelmäßige Zählungen der Geier und Züchtungsprogramme zu ihrer Erhaltung. In der abschließenden Resolution wurde die indische Regierung aufgefordert, ihre Anstrengungen zum Schutz der Geier zu erhöhen.

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