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01. August 2005. Rezensionen: Natur & Umwelt - Indien Die Entlarvung einer Damm-Legende

Ein neues Buch über Indiens Bhakra Damm

1963 begeisterte sich der damalige Premierminister Jawaharlal Nehru auf einer Zeremonie für das neue Dammprojekt: "Das Bhakra-Projekt ist etwas großartiges und außergewöhnliches, etwas das einen ergreift, wenn man es sieht. Bhakra, ein neuer Tempel des erwachenden Indien, ist das Symbol für Indiens Fortschritt." Shripad Dharmadhikarys jüngst veröffentlichter Bericht "Unravelling Bhakra" zerstört diesen Mythos.

Das Infrastrukturprojekt, so hieß es, habe die Kornspeicher der Nation bewässert, Indiens nordwestliche Staaten Punjab und Haryana. Der Legende nach ist die Getreideproduktion in den beiden Staaten nach dem Bau des Bhakra-Dammes steil angestiegen, und Indien wurde unabhängig von Nahrungsmittelimporten. Bhakra wird nachgesagt, die landwirtschaftlichen Grundlagen für den jungen unabhängigen Staat gelegt zu haben.

Der Autor fragt, ob es stimmt, dass der Damm Indien von Hunger und Not und aus seiner erniedrigenden Position als Nahrungshilfeempfänger befreit hat. Er fragt, ob das spektakuläre Wachstum der Getreideproduktion, das Bhakra zugeschrieben wird, wiederholbar und nachhaltig ist. Dharmadhikary erläutert: "Das Studium Bhakras ist nicht nur eine Suche in der Vergangenheit. Das Bhakra-Projekt gilt bis heute als Rechtfertigung für die meisten großen Staudammprojekte in diesem Land."

Der Autor findet sehr wenige Beweise, die Bhakras angeblichen Beitrag für die Entwicklung des Landes belegen. Er zeigt, dass die Grüne Revolution in Haryana und Punjab, die Erntesteigerungen, die zu einem beeindruckenden Anstieg der Getreideproduktion führten, nur durch einen hohen Aufwand möglich war, der nur zu einem geringen Teil von Bhakra getragen wurde. Dünger und Maschinen waren notwendig, neues Saatgut (HYV) war förderlich, aber Wasser war kritisch.

Überraschenderweise stammte das Wasser nicht aus Kanälen des Bhakra-Projektes. Der Autor zeigt: "Künstliche Bewässerung existierte mehr als hundert Jahre vor Bhakra, und die Grüne Revolution begann zwölf Jahre nach dem Auftakt des Projektes." Bauern aus der Region berichten, dass die unzureichende, unzuverlässige und begrenzte Zufuhr von Kanalwasser der intensiven Landwirtschaft mit dem neuen Saatgut nicht förderlich war. Dharmadhikari zitiert B.D. Dhawan: "Das HYV Saatgut gedieh im Gegensatz zu der alten Desi Saat nur gut, wenn es mit dem erforderlichem Aufwand und entsprechender Pflege gehätschelt wurde. Angesichts seiner hohen Anforderungen an die Wasserzufuhr ist seine angemessene Bewässerung nur möglich, wenn der Bauer die Kontrolle über die Quelle der Bewässerung hat. […] eine Bedingung, die wesentlicher leichter mit Grundwasser zu erfüllen ist als mit Oberflächenwasser."

Die Bauern wandten sich der Bewässerung durch Grundwasserpumpen zu, die sich als äußerst förderlich für den Erfolg der Grünen Revolution erwiesen. Die Anzahl der Pumpen wuchs um den Faktor 20 zwischen 1965 und 1975. Heute werden rund 50% der Bewässerung im Punjab und Haryana aus dem Grundwasser gefördert. Der restliche Anteil stammt aus Kanälen, die allerdings nur zu zehn Prozent aus dem Bhakra Staudamm gespeist werden.

Die Grüne Revolution in Haryana und dem Punjab hat einen hohen Preis. Die Zunahme der Grundwasserförderung führte zu einem dramatischen Sinken der Grundwasserpegel. Die extensive Nutzung von chemischen Düngern und der Anbau von Hochleistungsreis und -weizen haben die Böden im Punjab und Haryana degradiert.

Heute kämpfen die Bauern mit den Zahlungen für die stetig steigenden Kosten für den landwirtschaftlichen Aufwand und die Energie für die Wasserpumpen, während sie mit sinkenden Ernteerträgen konfrontiert sind. Der Autor berichtet: "In fast jedem Dorf, das wir besucht haben, trafen wir eine große Zahl von Bauern, die in eine Schuldenfalle geraten waren." Die Selbstmordrate unter den Bauern im Punjab und Haryana steigt steil an. Die Landwirtschaft steht am Rande des Ruins.

Zudem zeigt der Autor, dass die Bauern nicht die einzigen sind, die einen hohen Preis für ein Entwicklungsmodell zahlen, das den schnellen Gewinn einem nachhaltigen Weg vorzieht. Auch 50 Jahre nach ihrer Vertreibung haben die Flüchtlinge von Bhakra den Weg zurück zu einem normalen Leben noch nicht gefunden. Mehr als 36.000 Menschen mussten ihre Häuser und fruchtbare Böden an den Flussufern verlassen, um Platz für den Stausee zu schaffen. Vor ihrer Vertreibung bauten sie Mais, Weizen und Baumwolle an, hatten Obstgärten und eine blühende Rinderwirtschaft. Chemische Dünger und Pestizide waren nicht notwendig.

Die Böden in den Wiederansiedlungsgebieten waren sehr schlecht. Das Wetter war heiß und trocken und geprägt von häufigen Staubstürmen. Dharmadhikary lässt Ajmer Singh, einen der Umgesiedelten, zu Wort kommen: "Als wir hierher kamen, war dies ein Dschungel, mit viel Gestrüpp und Dickicht. Das Land war unkultivierbar. […] Es gab wilde Tiere und Schlangen, die das Leben in diesem Gebiet sehr gefährlich machten." Bewässerung existierte so gut wie gar nicht. Den meisten Familien wurden Grundstücke zugewiesen, die wesentlich kleiner waren als die, die sie verlassen hatten. Es dauerte beinahe 20 Jahre bevor die Vertriebenen Zugang zu Trinkwasser und Elektrizität bekamen.

"Unravelling Bhakra" ist ein Bericht über das doppelte Versagen moderner Bewässerungspolitik. Der erste Fehler liegt in den Bemühungen, eine dramatische Steigerung der Ernteerträge durch eine Steigerung von natürlichem (Wasser) und chemischem (Dünger und Pestizide) Input zur erreichen. Diese Eingriffe schädigen die Grundlagen der Landwirtschaft – Böden und Wasser – irreparabel. Der zweite Fehler besteht in dem Glauben an gigantische Infrastrukturprojekte. Bhakra zeigt, dass große Summen Geld, weite Gebiete von fruchtbarem Land und tausende autarker Bauern für ein Projekt geopfert wurden, das nicht in der Lage war, den Wasserbedarf einer Region zu decken.

Die Ergebnisse des Berichts, dass weniger die Damm- und Kanalbewässerung, sondern vielmehr eine ruinöse Grundwasserförderung die treibende Kraft für das landwirtschaftliche Wachstum Indiens waren, haben wichtige Implikationen für aktuelle Entscheidungen in der Entwicklungspolitik. Dharmadhikari erinnert die Leser, dass es unmöglich ist, die maßlose Grundwasserförderung fortzusetzen. Nachhaltige Bewässerungsmethoden, wie z.B. der sparsame Umgang mit Grundwasser oder die lokale Regenwasserspeicherung, haben sich als Erfolg versprechender erwiesen als Grundwasserförderung und große Bewässerungsinfrastruktur. Der Autor beschreibt den Fall Sukho Majri in Haryana, wo Bauern mit Regenwasserbewässerung und organischer Düngung erfolgreich eine reichhaltige Ernte einfahren.

Dharmadhikari erinnert uns daran, dass Entscheidungen über Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion in Indien die Wahl zwischen "spektakulärem" und "nachhaltigem" Wachstum bedeutet. "Unravelling Bhakra" zeigt, dass die "spektakuläre" Option hohe soziale und ökologische Kosten nach sich zieht, die nur schwer – wenn überhaupt – durch zukünftige Generationen zu bewältigen sind. Die "nachhaltige" Option kann über Generationen praktiziert werden. Wie die Schildkröte im Rennen gegen den Hasen erweist sie sich damit letztendlich als überlegen.

(Aus dem Englischen von Töpfer, Eric )

Zu beziehen über:
International Rivers Network
esabel@irn.org
Tel: +1 510 848 1155

Quelle: Shripad Dharmadhikary (2005): Unravelling Bhakra: Assessing the Temple of Resurgent India. Report of a Study of the Bhakra Nangal Project, hg. von Manthan Adhyayan Kendra.

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