Inhalt

29. Juni 2007. Rezensionen: Kunst & Kultur - Indien Verloren in Varanasi

"Ganges – Fluss zum Himmel" von Gayle Ferraro

Der Dokumentarfilm der US-Amerikanerin Gayle Ferraro verspricht viel, immerhin wurde er auf fünf Filmfestivals, mit diversen Preisen gekürt, beispielsweise auf dem Bangkok International Film Festival als bester Dokumentarfilm. Wieder einmal muss die am Ganges gelegene, nordindische Stadt Varanasi als aussagekräftiges Paradebeispiel der hinduistischen Kultur dienen. Mit ihrer Ortswahl erobert Ferraro kein Neuland, ist die Stadt, die früher Benares hieß und heute noch gerne von gläubigen Hindus als Kashi (die Leuchtende) bezeichnet wird, doch nicht erst seit Robert Gardners Klassiker "Forest of Bliss" (1986) ein beliebtes Thema für Film und Fernsehen.

Die Regisseurin versucht aufzuzeigen, wie die Gläubigen ihren als Göttin Ganga verehrten Fluss buchstäblich zu Tode lieben. Was als interessantes Thema den Doku-Cineasten ins Kino lockt, entpuppt sich jedoch als beliebige Aneinanderreihung von Einzelelementen des uferlosen Mikrokosmos Varanasi.

Das Hauptaugenmerk liegt auf vier Familien, die ihre sterbenden Angehörigen in die "Stadt Shivas" begleiten, um dort in einem der zahlreichen Hospize auf den Tod zu warten. Durch diverse Interviewausschnitte mit Verwandten, Hindu-Priestern sowie Mitarbeitern im Hospiz Mukti Bhavan wird dem Zuschauer die Bedeutung des Pilgerzentrums Varanasi als direkte Pforte zur Erlösung moksha näher gebracht. Der Titel "Ganges – Fluss zum Himmel" (englischer Originaltitel: "Ganges: River to Heaven") deutet dies an, ist jedoch leicht irreführend, da es sich genau genommen nicht um den Eintritt in ein seeliges Himmelreich wie in der christlichen Glaubensvorstellung, sondern vielmehr um den Austritt aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten handelt.

Abendliche Puja am Ganges in Varanasi
Abendliche Puja am Ganges in Varanasi. Foto: Peer Bruch

Das Porträt der Familien, die zum Teil große Anstrengungen unternehmen mussten, um ihren Angehörigen die Reise mit dem Ziel zur moksha zu ermöglichen, ist sehr eindrücklich gelungen. Die Kamera verweilt jedoch leider oft all zu lange in der Nahaufnahme der Sterbenden und droht durch die Darstellung knackender Knochen auf den Verbrennungsstätten am Manikarnika Ghat und schwimmender Leichen im Ganges bedauerlicherweise in die Perspektive des westlichen Beobachters abzudriften, der mit leichtem Schaudern und einem Quäntchen Sensationslust "das Fremde" betrachtet. Trotzdem muss man der Regisseurin zugute halten, dass sie glücklicherweise nie in eine bunte, romantische Indiendarstellung verfällt, um das westliche Fernweh nach Exotischem zu bedienen.

Auch wenn Riten und religiöse Themen oft nur angerissen werden und einiges an der Oberfläche bleibt, so verfolgt "Ganges – River to Heaven" trotzdem seinen Anspruch, Varanasi als die Metropole Indiens zu charakterisieren, in der der Tod seit Jahrtausenden ein Alltagsgeschäft ist. Auch wenn man sicher den Charakter einer Millionenstadt nicht ausschließlich darauf reduzieren kann, so handelt es sich hier doch um ein besonderes Merkmal.

Vorgestellt werden unter anderem Angehörige der für Hindus als unberührbar geltenden Kaste der Doms, die als einzige an den Verbrennungsstätten arbeiten dürfen, sowie der Clan der Priester, die ihre Abstammung direkt auf den mythologischen Raja Harishchandra zurückführen, der Königreich und Familie opferte, um als Ausdruck von Askese und Entsagung an den Verbrennungsghats in Varanasi zu arbeiten,. Bis heute ist dieser Clan zuständig für die letzten Riten bei der Verbrennung. Ein Händler wird interviewt, der das Zubehör zum letzten Geleit bereitstellt, und der Zuschauer erfährt ebenso beinahe alles über das für die Verbrennungen verwendete Holz. Obwohl der Film spannende Persönlichkeiten der Stadt einblendet, wie beispielsweise den engagierten Professor Veer Badhra Mishra, genannt Mahantji, der sich seit Jahren für die ökologische Rettung des Flusses einsetzt und damit als gläubiger Hindu auch in einen Gewissenkonflikt gerät, werden viele Aspekte eben nur angerissen und nicht weiter verfolgt.

Angesichts dieser Themenfülle entsteht ein recht diffuses Bild, weil die Filmemacherin es zusätzlich noch für notwendig erachtet, auf die Stadt als Touristenmagnet und wie schon erwähnt, auf die Umweltproblematik einzugehen. Hätte sich die Dokumentation auf die Begleitung der Familien im Sterbehospiz beschränkt, wäre mehr Tiefgang sicherlich möglich gewesen. So aber fehlt es dem Film an konzeptueller Stringenz. Die Vermischung zu vieler Aspekte in einem ständig wechselnden Filmtempo und recht unpassender "Ethno-Musik" lassen den Zuschauer am Ende recht ratlos den Kinosaal verlassen. Zur Verwirrung kommt eine relativ schlechte Bildqualität hinzu, vermutlich durch die Aufnahme mit einer Handkamera bedingt. In der Version für das deutsche Kino tauchen unverständlicherweise gleichzeitig englische und deutsche Untertitel übereinander auf, was nicht unbedingt zum besseren Verständnis des Films beiträgt.

Um einen Eindruck zu bekommen, welche Dimension die religiöse Bedeutung des Ganges in Varanasi hat, lohnt es sich trotzdem diesen Film anzusehen, auch wenn der gedankliche Ansatz weder konsequent verfolgt noch filmisch optimal umgesetzt wurde. Die Filmemacherin scheint in die größte Falle getappt zu sein, die jeden Dokumentarfilmer in Varanasi erwartet: nämlich angesichts der Vielfalt faszinierender Impressionen und Bilder sein Thema im Fokus zu behalten.

Ganges – River to Heaven
Regie: Gayle Ferraro
USA 2003, 81 min

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.