Inhalt

27. Juli 2008. Rezensionen: Indien - Kunst & Kultur Liebe, Reinheit und Gewalt in Kollywood

Paruthi Veeran (2007)

Einiges an indischem Kino hat in den letzten Jahren seinen Weg zum deutschen Publikum gefunden. Fast schon könnte man von Gewöhnungseffekten an jenen spezifischen Entwurf indischen Filmschaffens sprechen, der hinter dem Schlagwort "Bollywood Blockbuster" steckt. Bei südasiatischen Gemischtwarenhändlern lässt sich mit dem tamilischen Paruthi Veeran jedoch eine Kostprobe des südindischen Kinos erhaschen, die auch auf der diesjährigen Berlinale Anklang fand.

Gleichsam ohne Vorwarnung taucht das Auge der Kamera noch im Vorspann tief in ein Dorf im äußersten Süden Indiens. Wie in einem Wirbelwind ziehen die Bilderwelten des gerade stattfindenden, jährlichen Dorffestes über die Leinwand: Umzüge, Priester und Kartenspieler verschmelzen mit Flammen brennenden Kampfers, nervösen Polizisten, herausgeputzten Kindern und einem versuchten Mord. Rasend und behände geschnitten entfaltet sich so ein Kaleidoskop alltäglicher Außeralltäglichkeiten, das für den gesamten Film bestimmend bleibt.

Filmposter Paruthi Veeran
Liebe, Reinheit und Gewalt in Kollywood: "Paruthi Veeran" (IND, 2007) Foto: promo

Paruthi Veeran ist die Geschichte einer unmöglichen Liebe im ländlichen Tamil Nadu. Einer Liebe, die zunächst an der Unmöglichkeit ihrer selbst vorbei zum Blühen gelangen muss, bevor sie an der Unmöglichkeit, sie auszuleben, scheitert. Die Grundzüge der Geschichte sind schnell erzählt: Als junges Mädchen verliebte sich Muthazhagu in den etwa gleichaltrigen Dorfrüpel Paruthiveeran, nachdem dieser ihr das Leben gerettet hatte. Im Kontrast zur idyllisch gezeichneten Jugendliebe ist die Situation in der Gegenwart des Filmes nun auf den Kopf gestellt: die Heldin ist sich ihrer Liebe weiterhin sicher und muss den zum gleichgültigen Ganoven und Rowdy gewordenen Helden von dieser überzeugen.

Damit bringt sie aber ihre Familie gegen sich auf. Denn ihr Romeo ist zwar ihr Kreuzcousin – was ihre Heirat nach lokalen Traditionen geradezu vorschreibt – aber eben auch verwaister Spross eines verstoßenen Teils ihrer Familie. Wieder schieben sich Rückblicke in den Fluss des Geschehens – Rückblicke, die das Zerwürfnis der Familien nicht klären oder erklären wollen, sondern nur fragmentarisch einzelne Blicke auf eine dramatische und dennoch nicht weniger plausible Konfliktkonstellation zulassen. Gier, Armut und Kastenideologien verschränken sich zu blutigen Auseinandersetzungen, deren "Gute" allein loyal sind und deren "Böse" Kastenideologien als Ausgang aus Armut nutzen und sich so in der Gewalt des Casteism verstricken. Hier filmisch keine Kausalkette anzubieten, sondern Armut und ideologische Gewalt bis in ihr mörderisches Potential und lähmenden Terror hinein zusammenzubringen, ist dem Film wunderbar gelungen. Und vielleicht ist es in diesem Szenario nur folgerichtig, dass die Kinder jener Eltern weder Loyalität, Reinheitsgebote noch Friedfertigkeit kennen, sondern nur trunkene Rauferei (Paruthiveeran) und bedingungslos rebellische Liebe (Muthazhagu).

Dieses Fortbestehen der Gewalt bis in die Protagonisten, bis in ihre Liebe und deren Sprache hinein mag irritieren und weist doch über ein Paradoxon indischen Filmschaffens hinaus. Denn die meisten jener indischen Filme, die die Gewalt ethnischer oder kommunalistischer Konflikte thematisieren, setzen rationale und gute Helden (im Singular) gegen eine irrationale Menge, die sich im Bösen blutigen Gemetzels verliert. Paradoxerweise versperrt diese Erzählweise damit sowohl den Blick auf die Entstehung der Gewalt, als auch auf die singuläre Abkehr des Helden von dieser. Und gleichzeitig fällt die Art und Weise, wie jene Gewalt ihre Akteure, Opfer und Kontexte prägt, fast vollkommen ins Dunkel. Ins Licht der Kamera tritt dann allein jener gute Held (und seine Heroine) mit dem die Zuschauer sich identifizieren können, obwohl oder gerade weil er dem Kontext enthoben zu sein scheint. Paruthi Veeran, der auf die Abgründe seiner Helden, wie des ganzen Sujets pocht, macht es einem da schwerer und gleichzeitig einfacher. Denn wenn die Gewalt manchmal kaum zu ertragen ist und Momente der Identifikation sich spätestens im extrem dramatischen Showdown wieder in Luft auflösen, so gewinnt diese cineastische Erzählung an Plausibilität gerade in der 'Irrationalität' ihrer Helden.

Dieses filmische Pochen auf die Verwobenheit der Helden mit ihrem Kontext – auch und gerade in der Rebellion – findet dabei aber nicht nur das Grauen im Alltag eines tamilischen Dorfes, sondern auch dessen Ästhetik und Anmut. Es ist, als wollte das Auge der Kamera die Leinwand gleichsam entschädigen, wenn es als Hintergrund der Konflikte und Intrigen ein zauberhaftes Dorf, jenseits der pompös märchenhaften Bühnenbilder Bollywoods, zeichnet. Sicherlich ist es auch der versöhnenden Kraft dieses ästhetischen Genusses geschuldet, dass das ungemein tragische Ende der Liebesgeschichte außerhalb des Dorfes selbst angesiedelt wird.

Quellen

Ameer Sultan: Paruthi Veeran. Indien 2007. 193 Min. Tamil.

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.