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Die Verschmutzung des Ganges beschäftigt die indische Politik und Öffentlichkeit seit mehreren Jahrzehnten. Die Hauptquellen der Verschmutzung sind ungeklärte kommunale und industrielle Abwässer. Sie haben dazu beigetragen, dass sich der Ganges seit langem in einer prekären ökologischen Lage befindet. 1986 rief Rajiv Gandhi den "Ganga Action Plan" ins Leben. Dieser hatte unter anderem die Reduzierung der Abwassereinleitungen in den Ganges zum Ziel, und wurde 1993 auf seine Zuflüsse ausgeweitet. Nachdem der "Ganga Action Plan" weitgehend erfolglos blieb, initiierte die indische Regierung 2011 die "Mission Clean Ganga", die von der Weltbank mit einer Milliarde Dollar unterstützt wird. Diese Flussreinigungsprojekte waren und sind von einer lebhaften öffentlichen Debatte begleitet, in der das Verschmutzungsproblem und die Projekte der Regierung kontrovers diskutiert werden. Lena Zühlke widmet sich in ihrem Buch diesen Debatten und erforscht den Zusammenhang zwischen der ökologischen Verschmutzung des Ganges und der religiösen Bedeutung der im Fluss personifizierten Göttin Ganga, wie er sich im Diskurs der hindisprachigen Öffentlichkeit widerspiegelt. Wie nimmt die hinduistische Bevölkerung die ökologische Verschmutzung wahr? Welche Rolle spielt die religiöse Dimension der Göttin im Blick auf die ökologischen Probleme des Flusses, und welche Auswirkungen haben diese auf den Glauben an die Göttin?
Den Kern der Arbeit bilden 26 Interviews mit Vertretern von vier verschiedenen Expertengruppen: Journalisten der Tagespresse, Vertreter von NGOs (die in der Regel gleichzeitig Riten-Experten sind), Professoren und Behördenvertreter. Als Ort für die Datenerhebung wählt die Autorin die Stadt Varanasi (im kolonialen Indien auch Benares oder im religiösen Zusammenhang meist Kashi genannt). In dieser, für Hindus besonders heiligen und am Ganges gelegenen Stadt, wird die ökologische Verschmutzung des Ganges und ihre wechselseitige Beziehung zur religiösen Bedeutung der Göttin Ganga seit Jahren intensiv diskutiert, so dass sie sich für die Datenerhebung besonders eignet. Die Interviews mit Experten, die das öffentliche Bewusstsein kennen und selbst prägen, sollen Aufschluss über das in der hindisprachigen Öffentlichkeit vorherrschende Bild zur ökologischen Krise des Ganges geben.
In einem einleitenden Kapitel erörtert Zühlke die mythologische Bedeutung der Göttin Ganga im Hinduismus und die ökologische Situation des Ganges. Die in zahlreichen religiösen Texten überlieferten Mythen zur Ganga heben die Kraft der Göttin hervor, eine tiefe spirituelle Reinigung in denen zu bewirken, die mit ihr in Kontakt kommen. Das Bad im Fluss ist daher für gläubige Hindus ein essentielles Ritual. Zudem führt sie als Mittlerin zwischen dieser und der göttlichen Welt die Seele nach dem Tod in die Unsterblichkeit oder in himmlische Gefilde. Für Gläubige ist es daher von grosser Bedeutung, dass ihre Asche nach dem Tod in den Ganges verstreut wird. Eine wichtige Rolle kommt in dieser Hinsicht auch der Stadt selbst zu. Zum einen gilt ein rituelles Bad im Ganges in Varanasi als besonders reinigend und glücksverheissend, da sich der Flusslauf hier für kurze Zeit nach Norden biegt und den Fluss in Richtung seiner Quelle fliessen lässt. Zum anderen ist die Stadt aufs Engste mit dem Glauben an Erlösung verbunden. Wer hier stirbt, dessen Seele wird durch den Segen des Gottes Shiva vom Zyklus der Wiedergeburt befreit und geht in die Unsterblichkeit ein. In Varanasi zu sterben oder die eigene Asche in den Ganges gestreut zu bekommen, gilt daher als besonders erstrebenswert.
Im zweiten Abschnitt wird ein sehr umfassendes Bild der säkularen Nutzung des Ganges, seiner Biologie und ökologischen Situation, sowie verschiedener Initiativen zu seinem Schutz gezeichnet. Hier zeigt sich bereits der Anspruch der Arbeit, sich nicht ausschliesslich auf einen religionswissenschaftlichen Ansatz zu beschränken, sondern biologische, gesellschaftliche und dem Naturschutz dienende Fragestellungen miteinzubeziehen.
Zühlke behandelt ausführlich die Ökologie des Ganges und die Bedrohung seines ökologischen Gleichgewichts durch erfolgte und geplante wasserbauliche Eingriffe, wie Staudämme und Deiche, sowie die Verschmutzung durch verschiedene Quellen (u.a. Städte, Industrie und Landwirtschaft). Insgesamt haben die rasche Urbanisierung und Industrialisierung seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 und der ökonomische Strukturwandel seit den 1990er Jahren zu einer steigenden Belastung der Umwelt führt. Das Kapitel schliesst mit einem Überblick über die umweltpolitischen Entwicklungen seit der Initiierung des "Ganga Action Plan" und die Initiativen seitens verschiedener NGOs, welche die Umsetzung der staatlichen Flussreinigungsprogramme kritisch mitverfolgen. Als Gründe, weshalb die im "Ganga Action Plan" gesetzten Ziele trotz der Investition mehrerer Milliarden Rupien nicht annähernd erreicht wurden (was seit kurzem sogar seitens der federführenden Behörden offiziell bestätigt wird), führen Kritiker unter anderem das weitreichende Versagen der Exekutive, korrupte Machenschaften und die fehlende Einbindung der Bevölkerung in das Programm auf. Die im Rahmen der "Mission Clean Ganga" vorgenommenen Neuausrichtungen zeigen, dass die indische Regierung solche Kritik mittlerweile zumindest teilweise ernst zu nehmen scheint. So sollen zum Beispiel von NGOs vorgeschlagene, alternative Abwasserreinigungstechnologien sowie die in der Bevölkerung vorherrschenden religiösen und kulturellen Sichtweisen auf den Fluss im Rahmen des Programms berücksichtigt werden.
Die Beziehung zwischen der religiösen Verehrung und der Ökologie des Ganges ist, das wird in den Interviews und ihrer Analyse deutlich, vielschichtig und für den Umweltschutz problematisch. Zwar sind der Fluss und die Göttin im Bewusstsein der Gläubigen grundsätzlich eng miteinander verbunden. Die Mehrheit leitet jedoch von der religiösen Reinigungskraft der Göttin deren Fähigkeit ab, auch allen materiellen Schmutz fortzutragen. Die Reinheit und die Reinigungskraft der Göttin bleiben dabei in ihren Augen von materieller Verschmutzung unberührt. Ebenso problematisch ist diejenige religiöse Perspektive, welche die transzendente Göttin angesichts der steigenden Wasserverschmutzung zunehmend vom als verschmutzt anerkannten Wasser trennt. Beide Zugänge stellen ein grosses Hindernis bei Versuchen zur Flussreinigung dar, da sie den Blick auf die ökologische Verschmutzung verstellen. Trotz dieser für den Umweltschutz problematischen Aspekte der Religion wird sie von praktisch allen Interviewten als Schlüssel für Umweltschutzkampagnen angesehen. Aufklärungs- und Bildungsarbeit müssen ihrer Ansicht nach auf eine religiöse Sprache und Symbolik aufbauen, da der Ganges für die Bevölkerung eine tiefreligiöse Dimension besitzt und rein säkulare beziehungsweise wissenschaftliche Argumente von der Mehrheit der Gläubigen nicht akzeptiert und verstanden werden.
Wie Zühlke betont, muss dabei im Auge behalten werden, dass die von den Gläubigen durch religiöse Rituale verursachte Verschmutzung relativ unbedeutend ist. Sie hat nur einen geringen Anteil an der Gesamtverschmutzung, steht aber aus verschiedenen Gründen im Zentrum des öffentlichen Diskurses, unter anderem aufgrund des mangelnden ökologischen Sachverstandes unter den Journalisten der hindisprachigen Presse. Ein in der Bevölkerung verankertes ökologisches Bewusstsein wäre primär die Grundlage, auf der sich eine schlagkräftige Bewegung gegen die Hauptquellen der Verschmutzung, nämlich die städtischen und industriellen Abwässer, formieren müsste. Gleichzeitig weisen die Aussagen der Gesprächspartner aber darauf hin, wie sehr Bemühungen zum Umweltschutz auch durch übergreifende gesellschaftliche Probleme behindert werden. Dazu zählt vor allem die Korruption, die alle Ebenen der indischen Politik und Behörden durchdringt und die Durchsetzung der an sich sehr strengen indischen Umweltgesetzgebung immer wieder ins Leere laufen lässt. Sowohl Ansätze zur Aufklärungs- und Bildungsarbeit mit der Bevölkerung als auch übergreifende Hindernisse wie die Korruption werden von Zühlke in ihrer Analyse der Interviews vertieft diskutiert.
Kritisch könnte man anmerken, dass aufgrund der Auswahl der Gesprächspartner im Rahmen der Untersuchung primär die Sichtweisen bestimmter Expertengruppen vermittelt werden, deren Vertreter meist gut gebildet sind und den höheren Kasten zugehören. Über die Sichtweisen der "einfachen" Bevölkerung erfährt man daher nur indirekt. Die Autorin federt diese Gewichtung allerdings etwas ab, indem sie Informationen in ihre Analyse einfliessen lässt, die sie aus Gesprächen mit Bootsfahrern, Wäschern, Fischern und anderen an den ghats (zum Fluss hinab führende Treppen und Badestellen, unter anderem für rituelle Waschungen) lebenden und arbeitenden Menschen gewonnen hat. Des Weiteren wirken im einleitenden Kapitel die Länge der Ausführungen sowie der biologische Detailreichtum auf den Laien manchmal etwas ermüdend und manches hätte auch in einer Fussnote Platz finden können. Dennoch wird hier ein umfassender, aktueller Gesamtüberblick geboten, wie er in anderen Publikationen nicht zu finden ist. Die naturwissenschaftlichen Sachverhalte werden dem Laien zudem klar und verständlich vermittelt. Nicht zuletzt führt Zühlke hier auch über zahlreiche Einzelstudien verstreute Informationen zur Ökologie des Ganges, unter anderem zum Fischbestand, zusammen und präsentiert sie als Ganzes.
Das Buch ist für alle, die sich für den Ganges und seine ökologische Verschmutzung sowie für das Zusammenspiel zwischen Religion, Ökologie und Umweltschutz interessieren, eine unverzichtbare Lektüre. Darüber hinaus ist es auch jedem, der sich generell für die wachsende Umweltproblematik in Indien interessiert, unbedingt zu empfehlen. Zühlke bietet einen vertieften, äusserst informationsreichen Einblick in die Thematik, der sich in seiner Differenziertheit und Aktualität von bestehenden Publikationen abhebt.
Lena Zühlke: Verehrung und Verschmutzung des Ganges. Zusammenhang der ökologischen Probleme und der religiösen Bedeutung des heiligen Flusses. Berlin: regiospectra Verlag, 2013, 480 S., ISBN 978-3-940132-50-5, 32.90 Euro.
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