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11. November 2006. Analysen: Geschichte & Religion - Indien Aspekte der Heterogenität des Islam in Indien

Indien ist nach Indonesien und Pakistan der Staat mit der drittgrößten muslimischen Bevölkerung der Welt. Zum Zeitpunkt der letzten Volkszählung (2001) machten die 138 Millionen muslimischen Inder einen Anteil von 13,4 Prozent an der Gesamtbevölkerung aus. Eine oftmals monolithische Darstellung des Islam widerspricht - nicht nur in Indien - der Realität. Muslimische Inder vereinen, ungeachtet wirtschaftlicher, sozialer, linguistischer und politischer Unterschiedlichkeiten eine Vielzahl religiöser Identitäten. Muslime bilden weder sprachlich, sozial, demographisch noch religiös eine einheitliche oder homogene Gemeinschaft.

Der Großteil (über 95 Prozent) der muslimischen Bevölkerung in Indien ist sunnitisch. Sunniten sind die Mehrheitsrichtung im Islam, die sich in der Tradition (Sunna) des Propheten Muhammad sieht. Die Mehrheit der sunnitischen Muslime in Indien folgt der hanafitischen Rechtsauslegung. 1 Als eine weitere verbreitete, wenngleich seltener vertretene Rechtsschule, gilt die schafiitische, die auf den frühen arabischen Einfluss in Südindien zurückzuführen ist (D'Souza 1973). Die Rechtsauslegungen werden durch den Großteil der Religions- und Rechtsgelehrten (Ulama) und der Rechtspraktiker (Fuqaha) repräsentiert. 2

Eine differenzierte Betrachtungsweise der vordergründigen Homogenität bedeutet aber nicht, dass Kritiken bezüglich mangelnder muslimischer Repräsentanten im gesellschaftlichen und sozialen Leben Indiens übersehen werden sollten (vgl. Engineer 2003). Entsprechende Persönlichkeiten sind bis heute eine Ausnahme. So ist der derzeitige indische Präsident zwar ein Muslim 3 und Muslime nehmen sicherlich auch einen herausragenden Platz in der Filmindustrie Bollywoods ein, doch insgesamt sind sie in Führungspositionen der Verwaltung, der Armee oder der Industrie deutlich unterrepräsentiert. Obwohl die Alphabetisierungsrate von Muslimen über dem gesamt-indischen Durchschnitt liegt, lebt ein überproportional großer Teil von Muslimen unterhalb der Armutsgrenze (Reifeld 2001; Ara 2004). Gleichwohl wäre es nicht ganz korrekt "von Muslimen generell von einer 'backward community' 4 (rückständige Gemeinschaft) zu sprechen (...), wenn für die Mehrheit diese Charakterisierung auch zutrifft" (Oesterheld 1996).

Demographie

Im Norden und Westen Indiens sind Muslime wesentlich stärker präsent sind als im Osten und Süden, was sicherlich auch historische Ursachen im Kontext der Ausbreitung des Islams hat. Während der Bevölkerungsanteil im Himalaya-Hochtal von Kashmir bei über 95 Prozent liegt, im Unionsstaat Jammu & Kashmir zwei Drittel Muslime leben, macht er in dem am Golf von Bengalen gelegenen Orissa gerade zwei Prozent aus (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Demographie von Muslimen in Indien nach Unionsstaaten bzw. -Territorien
Unionsstaat/TerritoriumAnzahl von Muslimen in Prozent
Andhra Pradesh 6.986.856 9,16
Arunachal Pradesh 20.675 1,88
Assam 8.240.611 30,91
Bihar 13.722.048 16,53
Chhattisgarh 409.615 1,96
Goa 92.210 6,84
Gujarat 4.592.854 9,06
Haryana 1.222.916 5,78
Himachal Pradesh 119.512 1,96
Jammu & Kashmir 6.793.240 66,97
Jharkhand 3.731.308 13,84
Karnataka 6.463.127 12,22
Kerala 7.863.842 24,69
Madhya Pradesh 3.841.449 6,36
Maharashtra 10.270.485 10,60
Manipur* 190.939 8,81
Meghalaya 99.169 4,27
Mizoram 10.099 1,13
Nagaland 35.005 1,75
Orissa 761.985 2,07
Punjab 382.045 1,56
Rajasthan 4.788.227 8,47
Sikkim 7.693 1,42
Tamil Nadu 3.470.647 5,56
Tripura 254.442 7,95
Uttarakhand (Uttaranchal)
1.012.141 11,92
Uttar Pradesh 30.740.158 18,49
Westbengalen 20.240.543 25,24
Andamanen & Nicobaren 29.265 8,21
Chandigarh 35.548 3,94
Dadra & Nagar Haveli 6.524 2,95
Daman & Diu 12.281 7,76
Delhi 1.623.520 11,72
Lakhshadweep 57.903 95,47
Puducherry (Pondicherry)
59.358 6,09
Insgesamt 138.188.240 13,43

* Die Daten von drei Subdivisionen für Manipur fehlen, als Grundlage diente der Zensus von 2001.

Den Angaben der Volkszählung in Hinblick auf die Siedlungsgebiete zufolge (siehe Tabelle 2) leben ca. 88 Millionen Muslime auf dem Land (rural residence), was also nicht ganz zwei Dritteln der religiösen Minderheit entspricht. Der im gesamtindischen Kontext leicht überdurchschnittliche städtische Anteil (urban residence) von Muslimen muss auch vor dem Hintergrund der Auswanderung in das 1947 gegründete Pakistan im Kontext der Teilung Indiens gesehen werden. 5 Das dadurch verursachte nachhaltige soziale Vakuum schwächte die in Indien verbliebene muslimische Gemeinschaft wirtschaftlich und politisch umso mehr (vgl. Haq 1995). Trotz staatlicher Maßnahmen zur Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Situation im ersten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit waren eher städtische Schichten begünstigt. Das förderte mancherorts geradezu massiv die Landflucht. In diesem Zusammenhang steht auch die Beseitigung von Privilegien der landbesitzenden Zamindars. 6 Die Abschaffung verfehlte aber die Überwindung feudaler Strukturen, in die die ländliche Bevölkerung und sozial benachteiligte Gruppen bis heute fest eingebunden sind (vgl. Alam 2003).

Tabelle 2: Demographie von Muslimen in Indien nach Siedlungsgebieten
~~Männlich (%)Weiblich (%)
Insgesamt 138.188.240 71.374.134 (51,65) 66.814.106 (48,35)
In ländlichen Gebieten (rural) 88.794.744 45.473.491 (51,21) 43.321.253 (48,79)
In städtischen Gebieten (urban) 49.393.496 25.900.643 (52,43) 23.492.853 (47,56)

Religiöse Strukturen

Der Islam in Indien wird in hohem Maße als "indigenisiert" beschrieben, also von lokalen Einflüssen und des Hinduismus geprägt (vgl. Schimmel 1994). Religiöse Formen, die als Volksislam bezeichnet werden und Volksfrömmigkeit bzw. mystische Ordnungs- und Glaubens­vorstellungen (wie etwa im Sufismus) beinhalten, gelten als verbreiteter im Vergleich gegenüber einer strengen Orthopraxie (Lehre vom richtigen Tun) (vgl. Malik 1999; Schimmel 1994). 7

Synkretistische Tendenzen und Heiligenkulte, bei denen Mystiker von einer Möglichkeit der persönlichen Begegnung mit Allah ausgehen, beinhalten mitunter eine ausgeprägte Gräberverehrung. Daher wird von schriftorientierten Muslimen vor allem die Stellung von Vermittlern (Pirs) zwischen dem Gläubigen und Gott kritisiert. Orthodoxe Vertreter lehnen Riten und Symboliken als Entstellung des "wahren Glaubens" ab.

Die dort immer wieder als ungenügend dargestellte "Islamisierung" muss vor dem Hintergrund einer Bedrohung für die als "Mittelpunkt-Randgebiet-Ordnung" bezeichnete sakrale Geographie betrachtet werden. Diese als Ideal und als feste Verfügung interpretierte sozio-religiöse Ordnung unterliegt der Logik vom heiligen Zentrum Mekka (Makka al-mukarrama) und der weniger heiligen Peripherien. Durch die "Regionalisierung des Islam auf dem indischen Subkontinent" fordert die Peripherie das Zentrum heraus und droht es zu ersetzen (vgl. Malik 2001; auch Gephart 1999). Für Verfechter eines "spirituellen Zentralismus" verdeutlicht sich die Gefahr anhand der großen Beliebtheit und hohen sozialen Bedeutung der zahlreichen Dargahs (Gräber von Sufi-Heiligen). Die wahrgenommene oder konstruierte Bedrohung für die religiöse "Reinheit" steckt wohl vor allem in der integrativen Funktion solcher Orte. Dort kommt es zu spirituellen Erfahrungen zwischen Muslimen, Hindus und Mitgliedern anderer Religionsgemeinschaften, die ebenfalls diese Schreine nutzen.

Unterschiedliche religiöse Strukturen werden aber auch immer wieder im Zusammenhang mit gewaltsam ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten deutlich. Überwiegend werden sie als Grund für solche Auseinandersetzungen dargestellt. Doch obwohl Berichte über erbitterte sektiererische Gewalt (sectarian violence) eher aus Pakistan, vor allem aber aus dem Irak stammen, haben solche Ereignisse auch in Indien eine "blutige Tradition". Dabei stimmen die Gewaltakteure im Glauben an einen einzigen Gott und Muhammad als seinen letzten Propheten überein und orientieren sich religiös an den fünf Pfeilern des Islam. Dennoch sind Konfliktlinien innerislamischer Auseinandersetzungen weitaus mehrdimensionaler als die vermeintliche Bipolarität zwischen Sunniten und Schiiten. 8 So werden beispielsweise Anhänger der Reformsekte der Ahmadiya in Indien immer wieder gewaltsam ausgegrenzt, da sie als Häretiker betrachtet werden. Der circa dreiprozentige Anteil der Schiiten an der indischen Gesamtbevölkerung umfasst als Minderheit innerhalb der muslimischen Minderheit mehrere Millionen Menschen. Dennoch dient die Bezeichnung "Schiiten" wiederum nur als ein Ordnungsbegriff. Gemeint sind zumeist die zahlenmäßig größte Fraktion (auch im Iran), die so genannten Zwölfer-Schiiten (auch Ithna Ashari). Der schiitische Islam ist seinerseits aber wiederum in zahlreiche Subsekten aufgespaltet. Ein einheitliches religiöses Verständnis existiert nicht.

Kasten- und Sozialstrukturen

Ebenso komplex und mehrdimensional sind soziale Strukturen. Das Kastensystem - als ein typisches soziales Merkmal des Subkontinents - hat seine Spuren auch innerhalb der vielfältigen muslimischen Sozialstrukturen hinterlassen (vgl. Zainuddin 2003).

Dies erscheint zunächst insofern ungewöhnlich als der Islam keine gesellschaftliche Ungleichheit vorsieht und von einer universalen Gemeinschaft der Gläubigen (Arabisch: Umma) ausgeht. Der mehrheitliche Teil der islamischen Rechts- und Religionsgelehrten, der Ulama, bestreitet daher auch strikt die Existenz eines Kastensystems unter Muslimen (vgl. Nadwi 1977, 1980). Dementsprechend wird die religiös-theoretische Umma bewertet als: "the dominant trait of Muslim social life is the international brotherhood, a transcendental religious and spiritual affinity cutting across all the barriers of race, language and nationality" (Nadwi 1977:118).

Unabhängig von den politischen Dimensionen der Kastenordnung dient diese als sozialer Bedeutungsrahmen, was sich in sozialer Grenzziehung und Verhaltensanweisungen ausdrückt (Skoda 2003). So sind Hochzeiten zwischen Angehörigen verschiedenen Kasten oder (Sub-) Sekten selten und werden zumeist offen abgelehnt (vgl. Mehdi 2002). Darüber hinaus dienen Kasten neben der Sprache wohl als die entscheidende Kategorie für die Existenz von Subgesellschaften (communities).

Die fehlende religiöse Legitimation des Kastensystems wird aber oftmals durch ideologische Reinheitsvorstellungen ersetzt, die auf eine kulturelle Anpassung zurückzuführen seien. Dabei handelt es sich um als primordial wahrgenommene Faktoren wie Geburt und "Ethnie" (vgl. Oommen 2003), wie es der häufigen Zweiteilung in Abkömmlinge von Einwanderern (Ashrafs) und lokale Konvertiten (Ajlafs) entspricht.

Jede dieser beiden Kategorien unterteilt sich ihrerseits in weitere Sub-Einheiten. So sind beispielsweise Ashrafs als eingewanderte muslimische Oberschicht in vier Hauptgruppen Sayyid, Sheikh, Mughal und Pathan gegliedert. Entsprechend unterteilen sich Ajlafs, meist Nachfahren von Konvertiten niederer Hindukasten, hauptsächlich in Julahas (ursprünglich Weber), Kasabs (ursprünglich Schlachter), Dhobis (ursprünglich Wäscher), Hajjams (ursprünglich Friseure), Lohars (ursprünglich Metalhandwerker oder Schmiede), Rangrez (ursprünglich Färber), Malis (ursprünglich Gärtner) und Lal Begis 9 . Da die indische Gesetzeslage aber so konzipiert wurde, dass nur sozioökonomisch benachteiligte Gruppen unter Hindus (lower casts, other backward classes, Dalits und Stammesgruppen) gesellschaftlich berücksichtigt und im Sinne einer "affirmative action" gefördert werden (Stichwort: Die Mandal-Kommission ), sind entsprechende muslimische Äquivalente davon ausgeschlossen. Dadurch und durch eine verstärkt empfundene Enttäuschung gegenüber dem Staat, kommt es seit einigen Jahren zu einer Solidarität zwischen ähnlichen, gesellschaftlich benachteiligten Gruppen. So wird von einigen (politischen) Akteuren versucht eine Dalit-Muslim-Unity herbeizuführen, also einen Zusammenschluss zwischen Muslimen und Dalits (wörtlich: Gebrochene, Eigenbezeichnung der unterpreviligierten, kastenlosen, "unberührbaren" Hindus). 10

Eine klar rassistische Komponente des Kastensystems offenbart sich durch die oftmals idealisierte Reinhaltung (purified practice) von "lokalen Einflüssen". So ist diese Reinhaltung nicht nur religiös sondern durchaus auch "ethnisch" motiviert. Die hierarchisch hoch stehenden Sayyids legitimieren ihre privilegierte Stellung durch ihre Abstammung über Fatima, der Tochter des Propheten Mohammed (vgl. Reetz 2006). Die hanafitische Rechtsschule kennt übrigens ebenfalls eine soziale Über- und Unterordnung. 11

Das Verständnis "der muslimischen Minderheit" bezüglich ihrer Haltung zu Indien war seit jeher uneinheitlich geprägt und zeigt die Widersprüchlichkeit dieses Kollektiv-Begriffs. Die beiden konzeptionellen Hauptströmungen unterschieden sich durch einen integrativen, meist von Mystikern, Dichtern und Künstlern vertretenden Ansatz und einem Verständnis gewisser Exklusivität (Osterheld 1996:173). Der zuletzt genannten Auffassung zufolge, die mehrheitlich von den orthodoxen Ulama vertreten wird, geht es um eine (religiöse) "Reinhaltung" von lokalen Einflüssen. Dabei wird auch durchaus die politische Thematik berührt, ob Muslime eine Bindung an ihr Heimatland empfinden sollten oder ihr Bekenntnis zum Islam jede andere Loyalität ausschließt. Dieser Diskurs ist nur ein kleiner Ausschnitt der grundlegenden Diskussion um die pragmatischen Prinzipien von Notwendigkeit und Gemeinwohl im Islam. Die dieser Debatte untergeordnete Diskussion in Indien lässt sich konkretisieren durch eine Begriffsbestimmung zum Selbstverständnis: "indische Muslime" oder "muslimische Inder"? Dabei stellt sich die Frage, ob Muslime eine territorial und kulturell definierte Heimat haben, oder ob diese ausschließlich in der Umma liegt - wie es orthodoxe Muslime, aber auch Hindus 12 interpretieren. Nach Auffassung dieser beiden Gruppen hat das "Muslimsein", unabhängig von regionalen Merkmalen die angeblich endgültige Konnotation, zur Umma zu gehören (vgl. Chakrabarty 2003). Damit wird eine Vorstellung verbunden von "the Indian branch of the Muslim family whose heartland is in West Asia" (Baig 1974:xii). Aus diesem Verständnis heraus begründet Nadwi die Bewegung zur Erhaltung des Kalifats (von 1919-24) wie auch die weltweite Anteilnahme von Muslimen am israelisch-palästinensischen Konflikt, die er auf eine "religiöse Verwandtschaft" zurückführt (Nadwi 1977).

Dieser Überblick dient der Sensibilisierung gegenüber der enormen Vielfalt des Islam in Indien. Angesichts der nicht ausführlicher behandelten Heterogenität unterschiedlicher religiöser Praktiken und der vielzähligen sozialen Differenzen offenbart sich eine Begrifflichkeit, die der Vorstellung einer homogenen und in sich geschlossenen Gruppe folgt, als Trugbild.

Anmerkungen

[ 1 ] Der sunnitische Islam kennt vier Rechtsschulen, die unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten. Die hanafitische Rechtsschule wird in den meisten muslimischen Ländern West-, Süd- und Südostasiens befolgt. Abu Hanifah, ehrenhalber als Imam Al-Azam bezeichnet, wurde ca. 699 n. Chr. in Kufah geboren und starb 767 in Bagdad. Die durch ihn konzipierte Auslegung wurde nach seinem Tod, neben den authentischen Überlieferungen der Aussprüche und Lebensgewohnheiten des Propheten (Sunna), dem Koran, den Hadithen und der individuellen Urteilsfindung zur Grundlage der Rechtssprechung gemacht. Die hanafitische Schule wird als gemäßigte sunnitische Rechtsschule bezeichnet (vgl. Heberer 2001).

[ 2 ] Darüber hinaus existieren parallel das Rechtssystem der Schiiten (Jafaria) und das weit verbreitete Gewohnheitsrecht (Urf), das auch nicht-islamische Quellen beinhaltet.

[ 3 ] Dr. Avul Pakir Jainulabhudin Abdul Kalam wurde im Juli 2002 bereits der vierte muslimische Präsident Indiens nach Zakir Hussain (1897-1969), Fakhruddin Ali Ahmed (1905-1977) und Muhammad Hidayatullah (1905–1992). A.P.J. Abdul Kalam stammt aus dem südlichen Unionsstaat Tamil Nadu und nicht etwa aus dem hindisprachigen Norden, der mehrheitlich die politische Elite des Landes stellt.

[ 4 ] Als "backward" eingestufte Gruppen, können seit der Einführung der Empfehlungen der Mandal Kommission Reservierungen im Bildungssystem und im öffentlichen Dienst einklagen. Die Kategorie "backward" bezieht sich allerdings immer auf Kastenzugehörigkeiten. Der Streit, ob sich Angehörige religiöser Minderheiten, die offiziell keine Kastenzugehörigkeiten kennen, auf Grund ihres sozio-ökonomischen Status und der defacto- Existenz von Kasten in allen Religionen dieser Kategorie zuzählen können, führt immer wieder zu Konflikten.

[ 5 ] Vier Fünftel der ca. sieben Millionen Auswanderer stammte aus dem Punjab. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Auswanderer setzte sich zudem aus Intellektuellen zusammen, so dass oftmals von der Auswanderung der "muslimischen Elite" gesprochen wird.

[ 6 ] Das System der Zamindari, das eine privilegierte Klasse von Landeigentümern hervorbrachte, führte aufgrund der durch die Mogul-Herrscher erhaltenen Land- und Bodenrechte vielfach zu sozialen Spannungen. Nach der Unabhängigkeit Indiens wurden diese Vorrechte abgeschafft, wodurch vor allem im Norden des Landes Muslime wirtschaftlich stärker getroffen wurden.

[ 7 ] Dementsprechend sind die Lehren von Ibn Arabi, einem der bekanntesten muslimischen Mystiker, in Indien populärer als in anderen Regionen und Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung. Seine Lehre konzentriert sich vor allem auf die Erkenntnis, weist neuplatonische Einflüsse auf und enthält entfernte Parallelen zur hinduistischen Lehre. Dabei wird vom "gnostischen Charakter seines Systems" (Khoury 1991) gesprochen.

[ 8 ] Zwischen diesen beiden größten Strömungen innerhalb des Islam kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen (besonders im Umfeld des Muharram-Festes in Lucknow, vgl. Sprung (2005): Muslime gegen Muslime in Lucknow ). Beide Gruppen sprechen sich gegenseitig ihre religiöse Legitimation ab. Das ist religionsgeschichtlich auf die Legitimitätsansprüche Alis, dem Schwiegersohnes und Neffen des Propheten, auf das Kalifenamt zurückzuführen. Zum Schiismus speziell in Indien, siehe J.N. Hollister (1953): The Shi'a of India. London: Luzac & Company.

[ 9 ] Die Lal Begis, sind eine Gruppe am untersten Ende der sozialen Hierarchie. Vgl. Dileep Karanth: Caste in Medieval India: The Beginnings of a Reexamination, online unter: < http://www.infinityfoundation.com/mandala/h_es/h_es_karan_caste_frameset.htm>

[ 10 ] Die Thematik erschließt sich auch aus der Buchbesprechung von Khan (2005).

[ 11 ] Danach "seien Araber gesellschaftlich höher gestellt als Nichtaraber, und unter den Arabern selbst sei der Quraish - also der Angehörige des Stammes des Propheten - wiederum der Vorzüglichste" (Malik 1999).

[ 12 ] Schließlich bewahrt die Konstruktion eines starken Anderen eine eigene "einheitliche" und marginale Identität und schafft emotionale Grenzen (vgl. Chakrabarty 2003).

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Islam in Südasien .

Quellen

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