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15. Mai 2002. Analysen: Wirtschaft & Soziales - Indien Dabhol Power Corporation

Enrons Engagement in Indien

Seit Enron am 2. Dezember 2001 den größten Konkurs in der Geschichte der USA angemeldet hat, ist eine Fülle von Unregelmäßigkeiten, politischen Verwicklungen und unsauberem Wirtschaften ans Licht gekommen. Dieses neue Bild des US-Energiegiganten, bis zu seinem Untergang immerhin siebtgrößtes Unternehmen der USA, ist Indien nicht ganz so neu - dafür haben die Aufregungen um die Dabhol Power Corporation (DPC), das indische Engagement von Enron, schon seit einigen Jahren gesorgt.

Im Zuge der Liberalisierungspolitik der Congress-Regierung nach Ende des Kalten Krieges wurde der indische Markt zunehmend für ausländische Investitionen geöffnet. Die DPC markierte dabei die größte Einzelinvestition in der Geschichte des Landes. Sie wurde 1992 als ein Joint Venture zum Bau eines Kraftwerks in der Nähe von Indiens Wirtschafts- und Finanzmetropole Mumbai (Bombay) gegründet. Anteilseigner waren neben Enron (65%) als Betreiber Bechtel (10%), zuständig für den Bau des Kraftwerks, die General Electric Corporation (10%), zuständig für die technische Ausstattung und das Maharashtra State Electricity Board (15%), eine staatliche Behörde. Der Bau wurde 1994 begonnen. 1997 sollte Dabhol ans Netz gehen und Maharashtra mit mehr als 2000 Megawatt elektrischer Leistung versorgen, was einem Sechstel des geschätzten Gesamtbedarfs des Staates entspricht. Phase I wurde mit 740 Megawatt auch tatsächlich 1999 realisiert - heute steht das Kraftwerk, zu 90% fertiggestellt, allerdings still.

Dabhol ist ein Flüssiggas-Kraftwerk. Das verflüssigte Erdgas ist allerdings keine einheimische indische Ressource, sondern wird aus Quatar angeliefert. Enron hat zu diesem Zweck einen Vertrag mit einer 25-jährigen Laufzeit abgeschlossen und sich zudem erfolgreich für eine Zollreduktion von 105% auf 15% bei der indischen Regierung eingesetzt, was allerdings nicht das Risiko steigender Gaspreise durch eine eher schwächelnde Rupie beseitigt. Der Vorteil eines Flüssiggas-Kraftwerks gegenüber den in Indien üblichen Kohle-Kraftwerken liegt in seiner vergleichsweise geringen Umweltbelastungen, sein Nachteil besteht allerdings in sehr viel höheren Kosten. Diese haben ihre primäre Ursache im kostspieligen Transport: da das Flüssiggas unter Druck steht und permanent gekühlt werden muß, kann es nicht wie normales Erdgas in Pipelines transportiert werden kann, statt dessen müssen spezielle Schiffe und Hafenanlagen gebaut werden. Die Diskussion über die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens ist daher nie abgerissen. Dabhol's Energie kostet etwa doppelt so viel wie die der durchschnittlichen, und sogar dreimal so viel wie die der billigsten lokalen Anbieter, die mit Kohle arbeiten. Die hohen Kosten erklären sich aber nur zum Teil durch das aufwendige Verfahren, denn eine fast baugleiche Anlage in Ennore in der Nähe von Chennai (Madras) ist ebenfalls in der Lage, Strom für die Hälfte des Dabhol-Preises anzubieten. Diese sich abzeichnende Unwirtschaftlichkeit der Dabhol-Anlage veranlaßte die Weltbank 1993, sich nach einer eigenen Analyse des Projekts gegen die Vergabe von Förderungsmitteln zu entscheiden.

Schon Ende 1994 kam es zu einem erstem Baustopp, da die Finanzierung des Projekts zu scheitern drohte. Die US-Regierung griff jedoch mittels der Overseas Private Investment Corporation, einer Investitionsförderungsgesellschaft, ein und gewährte einen Sofortkredit über 100 Mio. US$. Auch die indische Zentralregierung stellte sich hinter das Projekt und gewährte Sicherheiten für Verbindlichkeiten von DPC - einmalig in der indischen Geschichte zu diesem Zeitpunkt.

Erste Widerstände gegen das Kraftwerk seitens der lokalen Bevölkerung und einiger Umweltaktivisten regten sich noch vor Baubeginn. Proteste gegen die inadäquate Evaluierung der Umweltverträglichkeit mischten sich mit der Ablehnung der von der indischen Regierung verfolgten Liberalisierungspolitik. Umweltprobleme wurden durch Emissionen oder Verpuffungen während des Betriebes, den hohen Wasserbedarf des Kraftwerks, sowie die Auswirkungen auf die Landwirtschaft durch den Bau eines Hafens und einer Pipeline befürchtet. Darüber hinaus wurde Maharashtras Landesregierung unter dem mächtigen Congress-Politiker Sharad Pawar verdächtigt, für den Auftrag enorme Schmiergelder kassiert zu haben.

1995 nahm der Protest eine indienweite Dimension an. Nachdem zuvor schon das Engagement von Medha Patkar, die 1992 den "Goldman Environmental Prize" erhielt (eine Art Nobelpreis für Umweltengagement), für erhöhte öffentliche Wirkung gesorgt hatte, nahmen sich nun auch überregionale Zeitungen, wie die Times of India, der Berichterstattung an. Zudem veränderte sich Mitte 1995 die politische Landschaft in Maharashtra mit der Übernahme der Regierungs durch die hindu-fundamentalistischen Parteien Bharatiya Janata Party (BJP) und Shiv Sena. Shiv-Sena-Führer Bal Thackeray hatte schon vor den Wahlen angekündigt, Enron mit ihrem Kraftwerk "ins Meer zu werfen", und so wurde DPC konsequenterweise nach dem Regierungswechsel aufgefordert, die Arbeiten einzustellen. Zudem wurde eine Klage vor dem obersten Zivilgericht in Bombay eingereicht, die den Vertrag mit Enron rückwirkend für ungültig erklären sollte. Zu einem Urteilsspruch ist es allerdings nie gekommen, denn überraschenderweise zog die Regionalregierung drei Monate später die Klage abrupt wieder zurück und schloß zudem den zuvor auf Eis liegenden Liefervertrag mit Enron nahezu unverändert ab.

Über die Gründe, die die BJP und die Shiv Sena zu diesem Schritt veranlaßt haben könnten, kann nur gemutmaßt werden. Vielleicht hat das Engagement der Clinton-Regierung in den Monaten zuvor Früchte getragen, welches deutlich machte, daß das Schicksal zukünftiger amerikanischer Investitionen in Indien mit dem Schicksal von Enron verknüpft ist. Aber auch Bestechungsvorwürfe gegen Enron wurden immer wieder laut.

Das Umschwenken der Regionalregierung und die Geschwindigkeit, mit der danach der Liefervertrag abgeschlossen wurde, wird um so unverständlicher, wenn man sich die Ausmaße dieses Vertrages verdeutlicht. Mit einer Laufzeit von 20 Jahren und einem erwarteten Zahlungsvolumen zwischen 17 und 25 Milliarden US$ ist er der größte jemals abgeschlossene Vertrag in Indien, und einer der größten weltweit. Er umfaßt damit jährliche Zahlungen, die in der selben Größenordnung wie der gesamte jährliche Bildungsetat von Maharashtra liegen. Es ist nicht klar, wie das State Electricity Board die exorbitanten Kosten auf die Endkonsumenten umzuwälzen gedenkt. Der Bundesstaat Maharashtra, der pikanterweise über das State Electricity Board als Teilhaber an DPC somit Vertragsnehmer und -geber gleichzeitig ist, sowie der indische Staat selbst haften für die Einhaltung des Vertrags. Dies ist die erste Vereinbarung in Indien, in der staatliche Stellen für eine private Firma in vollem Umfang haften, und sie führt damit auch die verfolgte Liberalisierungspolitik ad absurdum. Zudem wurde festgelegt, dass ausschließlich angelsächsisches Recht zur Anwendung kommt, und dass sämtliche Zahlungen in US$ zu erfolgen haben. Auch gegen ein erneutes Zurückrudern seitens der Regierung hat sich Enron versichert: das Kündigen des Vertrages ist bei voller Haftung ausgeschlossen.

1997 wurde das Dabhol-Projekt zum ersten Mal mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Im Jahresbericht von Amnesty International wurden die beteiligten Firmen direkt aufgefordert, ihre Rolle im Zusammenhang mit Verhaftungen, Überwachungen und Gewalt gegen Demonstranten zu überdenken und notwendige Schritte zur Behebung der Situation einzuleiten. Was war passiert? In den Jahren zuvor waren Demonstrationen und Proteste der lokalen Bevölkerung und überregionaler Gruppen und Aktivisten zunehmend intensiver geworden. Die lokale Polizei fiel mehr und mehr durch ihre Gewaltbereitschaft auf. So wurden nicht nur Sitzblockaden aufgelöst, sondern auch ganze Gruppen in Präventivhaft genommen und Dorfbewohner vor ihren Häusern verprügelt. Schon vor 1997 hatte die Dabhol Power Corporation private Sicherheitsdienste mit der Überwachung ihres Geländes beauftragt. Nach größeren Protesten in der Nähe des Kraftwerkgeländes im Juni 1997 beantragte DPC etwa 100 Polizeikräfte von der Regierung in Maharashtra, die danach auf dem Dabhol-Gelände stationiert waren und direkt von DPC bezahlt wurden. In der Folge kam es zu Beschuldigungen wegen versuchten Mordes, DPC hat jedoch keinerlei Veranlassung gesehen, in diesen Fällen Nachforschungen anzustellen. Die lokale Polizei und DPC hatten mit ihrer Taktik Erfolg: Ende 1998 hatte sich der Protest weitgehend gelegt. Eine offizielle indische Untersuchungskommission hat 1997 zwar die Vorfälle verurteilt, Maßnahmen wurden in der Folge allerdings nicht getroffen.

Seit Mai 1999 liefert das Kraftwerk mit 740 MW die für Phase I vorgesehene Menge Strom, die ein Drittel der Gesamtleistung beträgt. Im Sommer 2001, das Dabhol-Kraftwerk war mittlerweile zu 90% fertig gestellt, wurde ein erneuter Bau- und Lieferungsstop seitens der Regierung verhängt, weil der alte Disput über die Strompreise wieder aufgeflammt war. In den letzten Wochen vor dem Konkurs von Enron waren in der Folge Verhandlungen über einen möglichen Verkauf der Anlage von Enron aufgenommen worden. In wie fern diese mit dem sich intern wohl abzeichnenden Bankrott zusammenhingen, oder ob Enron einfach nur das sinkende Schiff DPC verlassen wollte, ist unklar. Im Zuge des Konkursantrages wurden von Seiten Enrons Forderungen an die amerikanische Organisation zur Förderung von Auslandsinvestitionen in Höhe von 200 Mio. US$ gestellt, die Enron für die Verluste in Indien kompensieren sollen und letztendlich von amerikanischen Steuerzahlern stammen werden. Zudem hat sich die Bush-Regierung wohl direkt in Indien für die Ausführung ausstehender Zahlungen an Enron eingesetzt.

Der Konkurs von Enron hat das Dabhol-Projekt erneut in Frage gestellt; allzu düster sieht dessen Zukunft allerdings auch nicht aus. Im Gegenteil: die Investoren stehen Schlange, um den lukrativen Liefervertrag zu übernehmen. Mit Shell, TotalFinaElf und Gaz de France interessieren sich drei ausländische Unternehmen für die Übernahme des Enron-Anteils. Zudem sind mit Bombay Suburban Electricity Supply, Tata Power und der Gaz Authority of India drei indische staatliche und private Energieunternehmen im Rennen.

Die Geschichte des Dabhol-Kraftwerkes zeigt sehr deutlich, wie eng Wirtschaft und Politik im internationalen Bereich verknüpft sein können. Enron präsentiert sich als eine Firma, die in ihrer Hybris zu viel zu erreichen versuchte, ohne den Blick für wirtschaftliche und finanzielle Realitäten zu behalten. Zu sicher scheint das Vertrauen auf die helfende Hand von politischen Verbündeten gewesen zu sein. Die Korruptionsvorwürfe und die Anschuldigungen von Menschenrechtsverletzungen haben Enron schließlich sogar in ein illegales Licht gerückt. Weder die lokale Bevölkerung, noch der indische Stromkonsument, hätten einen wirklichen Vorteil erreicht oder werden diesen erreichen, sollte Dabhol weitergeführt werden. Ein Interesse an der Durchführung des Projekts hatten und haben in erster Linie die beteiligten Firmen, und je nach Zeitpunkt auch die Landes- oder Staatsregierung, auf deren Hilfe die beteiligten Firmen stets angewiesen waren. Es scheint, daß sich ähnlich wie bei vergleichbaren Großprojekten, z.B. Staudämmen, eine einseitige und unsaubere Kosten-Nutzen-Rechnung mit dem Modernisierungswillen von Regierungen und den wirtschaftlichen Interessen internationaler Unternehmen verbindet.

Zuletzt haben weder wechselnde politische Anstrengungen von Regierungsseite, noch Proteste von der Bevölkerung, noch die Unrentabilität des Projekts Enron in Indien zu Fall gebracht, sondern wirtschaftliche Kräfte, die außerhalb des Landes lagen. Man kann auf die Fortsetzung der Geschichte des Dabhol-Projektes, nun mit neuen Akteuren, gespannt sein.

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