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Dass es sich bei der Scharia um ein Normensystem handelt, das mit seinem Regelungsgehalt über die rein juristische Dimension hinausgeht, wird sehr gut in folgender Definition von Bodiveau deutlich:
"In der islamischen Kultur bezeichnet die Scharia das Gesetz in seiner weitesten Form, d.h. die Gesamtheit der religiösen, moralischen, sozialen und rechtlichen Normen, welche im Koran und der prophetischen Tradition beinhaltet sind." (zit. in Petersohn 1999: 13)
Die Scharia beeinflusst daher die gesellschaftlichen Verhältnisse in den muslimischen Staaten wesentlich stärker, als die Rechtssysteme westlichen Ursprungs auf die europäischen Gesellschaften einwirken.
Die Quellen der Scharia und somit auch die Rechtsquellen des islamischen Rechts wurden im sunnitischen Islam im 9. Jh. n. Chr. durch den Begründer der schafiitischen Rechtsschule Schafi'i systematisiert. Die auf ihn zurückgehende Lehre von den "Grundlagen der islamischen Jurisprudenz" (usul al-fiqh) nennt als abschließende Quellen der Scharia: den Koran, die sunna, den Konsens der Rechtsgelehrten (idschma) und den Analogieschluss (qiyas).
Der Koran ist das Heilige Buch des Islam. Sein Inhalt ist nach muslimischer Überzeugung nicht das Wort eines Propheten, sondern die endgültige Offenbarung, das unverfälschte Wort Gottes, das nur durch das Instrument Mohammed vermittelt wurde. Somit verkündet der Koran nach der islamischen Theologie nicht nur Gott, sondern ist selbst göttlicher Natur. Die in ihm enthaltenen Regeln sind theoretisch universell und zeitlos gültig. Für viele Juristen müssen die Verse demzufolge ohne Rücksicht auf die historische Situation, in der sie verkündet worden sind, nur aufgrund ihres Wortlautes ausgelegt werden. Es wäre jedoch falsch, von diesem theoretischen Anspruch auf eine große Starrheit des islamischen Rechts zu schließen: es besteht keineswegs Einigkeit über die Lesart des Koran, so dass es strittig ist, was im Koran angeordnet wird und welche Folgen daraus für den Einzelfall resultieren. Weiterhin wird der Absolutheitsanspruch des Koran spätestens im Prozess der Anwendung des Rechts auf den Einzelfall durch den Einsatz anderer Quellen und Methoden relativiert.
Die zweite Quelle des islamischen Rechts ist die sunna. Darunter versteht man die Gesamtheit der Berichte (hadith, pl. hadithe) über Äußerungen, Handlungen und stillschweigende Billigung von Geschehnissen des Propheten Mohammed. Die Einbeziehung der sunna, d.h. der Gewohnheit des Propheten, in die Rechtspraxis war notwendig, da der Koran nicht alle Erfordernisse des täglichen Lebens genügend erklärte. Um die vorhandenen Lücken möglichst im Geiste der Religion zu schließen, hielten sich bereits die Gefährten Mohammeds und die Generation nach ihm an die Worte und Handlungen des Propheten.
Das Konzept der sunna, demzufolge dem Vorbild oder den Gebräuchen der Vorfahren gefolgt werden soll, ist vorislamischen Ursprungs. Auch in der Zeit nach Mohammed wurden Rechtsprobleme, die nicht von seinen offenbarten Regelungen abgedeckt wurden, noch unter Rückgriff auf vorislamisches Gewohnheitsrecht gelöst.
Da die Worte und Taten Mohammeds gesammelt und über Generationen hinweg weitergereicht wurden, ist es nicht verwunderlich, dass sich dabei im Laufe der Zeit ein großer Teil von unechten Traditionen einschob. Die hadithe sind daher "nicht so sehr eine Quelle für die ursprüngliche Lehre Muhammeds, sondern spiegeln z.T. die verschiedenen Strömungen innerhalb des wachsenden Islam wider" (Schimmel 1990: 46). Als Reaktion auf die große Zahl von Überlieferungen angeblicher Aussagen oder Handlungen des Propheten wurden Sammlungen von hadithe zusammengestellt, die als authentisch akzeptiert wurden. Ausschlaggebendes Kriterium hierfür war insbesondere die Glaubwürdigkeit der Überliefererkette. d.h. der Kette, derer, die das Wort gehört haben; eine Kette welche bis zu Mohammed bzw. einem seiner Gefährten führen musste. Besonders hervorzuheben sind die als verläßlich geltenden hadith-Sammlungen von Bukhârî (gest. 870) und Muslim (gest. 875).
Die dritte Quelle des islamischen Rechts ist der Konsens der Rechtsgelehrten, die idschma. Die Wichtigkeit der Konsensbildung wird nicht nur im Koran (z.B. Sure 3:110), sondern auch in der hadith begründet: "Meine umma wird sich auf keinen Irrtum einigen." (Müller 1996: 91)
Das idschma-Prinzip kann auf zwei unterschiedlichen Ebenen angewendet werden. Zum einen wurde es praktiziert um eine gemeinsame Interpretation von Koran und sunna zu erreichen. Zum anderen kann es dort angewendet werden, wo Koran und sunna als hierarchisch höherstehende Rechtsquellen keine Regelungen enthalten.
Trotz seiner frühen Entstehung und der theoretischen Klarheit des Anwendungsbereiches gibt es bis heute Streit über Inhalt und Umfang des idschma-Prinzips.
Unter dem Begriff qiyas, der vierten Quelle des islamischen Rechts, versteht man grundsätzlich eine logische Deduktion, die aus einem bereits entschiedenen Fall eine Lösung für einen aktuellen Fall ableitet. Auf das islamische Recht bezogen bedeutet dies "ein analogisches Vorgehen im Sinne der Übertragung der Rechtsfolge eines Präzedenzfalles oder einer bereits bestehenden Regel auf den zu beurteilenden Sachverhalt" (Müller 1996: 92). Obwohl die Stellung des Analogieschlusses, der aus den ersten drei Rechtsquellen gewonnen wurde, zu Koran, sunna und idschma umstritten blieb, wurde er von allen sunnitischen Rechtsschulen grundsätzlich anerkannt. Als Mittel der Anpassung der materiellen Rechtsquellen übernahm er eine zentrale Funktion.
Teilweise werden diese Rechtsquellen noch um die folgenden Quellen ergänzt: al-istihsan (eine Abweichung von der Regel zugunsten eines Präzedenzfalles), al-istislah (ein Urteil, dass aufgrund eines öffentlichen Interesses gefällt wird und ohne Bezug zu Koran oder sunna steht) und al-urf (Gewohnheitsrecht) (vgl. Kühnhardt 1991: 143).
Schon in der islamischen Frühzeit stellte sich die Frage, wer berechtigt sein sollte, das nicht-kodifizierte - nur ein sehr kleiner Teil der 114 Suren hat den Charakter einer Rechtsvorschrift - göttliche Gesetz auszulegen. Es entwickelte sich ein eigener Stand aus religiösen Schriftgelehrten (ulema), welche sich um die Auslegung des Korans bemühten. Daraus entwickelte sich die islamische Gesetzeswissenschaft (fiqh), mit der sich die Rechtsgelehrten (fuqaha, sing. faqih) beschäftigten. Um eine Systematisierung der Materialien vorzunehmen, fanden sich die Rechtsgelehrten in Rechtsschulen zusammen.
Die heute noch bestehenden sunnitischen Rechtsschulen sind die hannafitische, die malikitische, die schafiitische und die hanbalitische. Die vier Rechtsschulen unterscheiden sich in der Anerkennung der Rechtsquellen, erkennen sich aber gegenseitig als gleichberechtigt in der Interpretation der Scharia an.
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