Inhalt

15. November 2007. Kommentare: Politik & Recht - Pakistan Präsidentendämmerung

Kriegsrecht in Pakistan

Nach der Verhängung des Ausnahmezustands sah sich Pakistans Präsident Musharraf unter ausländischem Druck gezwungen, baldige Wahlen anzukündigen. Tausende von Oppositionellen sind inhaftiert. Musharrafs Rückhalt schwindet zusehends.

Der pakistanische Präsident selbst stellt sich als einen zutiefst patriotischen Demokraten dar. Er habe "stets im Interesse Pakistans gehandelt", und der Notstand sei notwendig, "um die Demokratisierung des Landes zu retten". Parlamentswahlen würden Anfang Januar 2008 stattfinden, und er werde demnächst erst seine "zweite Haut", die Uniform, und dann einen neuen Amtseid als "ziviler Präsident" ablegen, versprach der 64jährige Pervez Musharraf am 11. November 2007 in der Hauptstadt Islamabad. Auf seiner ersten Pressekonferenz seit Verhängung des Kriegsrechts erklärte er, dass der Ausnahmezustand "nötig für den Frieden und die Ordnung" sei und so lange gelten müsse, wie das Land von Terror und Chaos bedroht sei und die nationale Einheit auf dem Spiel stehe.

Musharraf trägt seine "zweite Haut" seit über 40 Jahren. Seit seinem Putsch vor acht Jahren verteidigt er seine Position mit machtpolitischen Winkelzügen und spielt die verschiedenen politischen Lager gegeneinander aus. Die Auftritte des kleinen, drahtigen Mannes haben aufgrund seiner Eloquenz durchaus Unterhaltungswert, bei direkter Kritik wird er jedoch schnell unwirsch und geht zum Frontalangriff über.

Pakistans Armee: Staat im Staate

Wenn er die Uniform ablegte, würde das an der Macht des Militärs nichts ändern. Seit Jahrzehnten haben die Generäle, meist als Regierende, zuweilen für wenige Jahre aus dem Hintergrund handelnd, das Land fest im Griff. Pakistans Armee ist ein Staat im Staate: Das Militär besitzt die größten und wichtigsten Fabriken, und mit der dem Verteidigungsministerium unterstellten Pakistan International Airlines unterhält es die größte Fluggesellschaft des Landes. Im Finanz- und im Dienstleistungssektor, aber auch im Immobilienmarkt und bei der Stadtentwicklung mischen die Offiziere kräftig mit, sie betreiben sogar Schönheitssalons und exklusive Wohnanlagen. Größter Arbeitgeber in Pakistan ist zweifelsohne das Armeeumfeld. Damit nicht genug, nahezu jede Universität oder Fachhochschule wird von ehemaligen Offizieren geleitet, und insbesondere in den Städten soll ein dichtes Informantennetz des militärischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence (ISI) existieren.

Mit dem 55jährigen General Ashfaq Parvez Kayani könnte nun ein ehemaliger Chef des ISI von Musharraf den Posten des Oberkommandierenden der Streitkräfte übernehmen. Interessanterweise soll Kayani in seinen letzten Amtsmonaten als einer der Hintermänner bei den Verhandlungen mit Benazir Bhutto fungiert haben, die zu ihrer Rückkehr im Oktober führten. Er kennt sie seit Jahren und war während ihrer ersten Amtszeit stellvertretender Verteidigungsminister. Er gilt als loyal gegenüber Musharraf und hat ebenso wie dieser an westlichen Militärakademien studiert, allerdings in den USA und nicht in Großbritannien.

USA rücken von Musharraf ab

Dass Musharraf die Absicht bekundet, die Uniform endgültig abzulegen, liegt an dem für ihn sicherlich unerwartet starken Druck der USA. Bisher unterstützte die US-Regierung Pakistan mit mehreren Milliarden US-Dollar, monatlich soll das Militär über 100 Millionen für den Kampf gegen die Jihadisten im Nordwesten des Landes bekommen haben, zudem wurde Pakistan ein Großteil seiner Schulden erlassen.

Bei der Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf seiner Ranch im texanischen Crawford erinnerte George W. Bush 10. November an das Versprechen, das ihm Musharraf wenige Tage zuvor in einem 20minütigen Telefonat gegeben haben soll. Dieser habe ihm versichert, als Militärchef zurückzutreten und so früh wie möglich Wahlen abzuhalten: "Ich nehme ihn beim Wort." Da die USA Unterstützung im Kampf gegen den Terror bräuchten, würden sie sich weiter eine gute Zusammenarbeit mit der pakistanischen Führung erhoffen, und man solle Musharraf die Möglichkeit geben, "sein Versprechen einzulösen". Gleichzeitig betonte Bush, dass mit Benazir Bhutto eine weitere wichtige politische Persönlichkeit die Gefahr des Terrorismus erkannt habe und ihr entgegentrete.

Offenbar will Bush Musharraf etwas Aufschub gewähren, erwartet aber ein Nachgeben und größere Kompromissbereitschaft. Dies könnte allerdings auch heißen, dass man bei weiteren Alleingängen Musharrafs stärker auf Distanz zu ihm geht. Die US-Regierung schien von vom jüngsten Coup überrascht worden zu sein, Musharraf hatte sich am Tag vor der Verhängung des Ausnahmezustands noch mit ranghohen US-Militärs getroffen, offensichtlich ohne diese über seine Pläne zu informieren.
Bushs Beharren auf Einhaltung der gegebenen Zusagen könnte ein Zeichen dafür sein, dass die US-Regierung andernfalls eine mögliche Absetzung Musharrafs, wahrscheinlich durch andere Militärs, dulden würde, sofern die enge Zusammenarbeit mit den USA bestehen bliebe. Die New York Times berichtete am 14. November über gegenwärtige Debatten innerhalb der Administration, wer Musharraf beerben könnte. Ihre Quellen in Washington zitiert die Zeitung anonym, jedoch kann vermutet werden, dass diese Indiskretionen durchaus gewollt platziert wurden.

Vorbehalte gegen US-Politik

Die Machtbasis des pakistanischen Präsidenten wird durch den offensichtlich schwindenden Rückhalt seitens der USA geschwächt. Dass Weiße Haus hat wiederholt deutlich betont, dass es eine möglichst baldige Regierungsbeteiligung Benazir Bhuttos erwartet. Dieses deutliche Protegieren Bhuttos könnte sich jedoch auch negativ auswirken. Die US-Kritik an Musharraf wurde von etlichen Pakistanern durchaus positiv aufgenommen. Gleichwohl muss sich Washington fragen lassen, warum es den Präsidentengeneral so lange unterstützte und nun erheblichen Druck für die Installierung einer bei weiten Teilen der pakistanischen Bevölkerung durchaus unbeliebten Kandidatin ausübt. Bhutto ist keine Politikerin der Herzen, vielmehr verbinden viele mit ihr einen ungebändigten Machtwillen und Korruption. Die innerhalb der pakistanischen Gesellschaft weitverbreiteten Vorbehalte gegen die US-Politik dürften durch diese Einflussnahme noch mehr zementiert werden.

Zu Beginn des Notstands hatte Musharraf offenbar noch gehofft, improvisieren zu können. Am 15. November endete seine Amtszeit offiziell. Da er zum Zeitpunkt der umstrittenen Präsidentenwahl am 6. Oktober die von der Verfassung nicht erlaubte doppelte Funktion als Armeechef und Präsident bekleidete, schien es wahrscheinlich, dass der Oberste Gerichtshof die Wahl annullieren würde. Musharraf drohte somit, zumindest theoretisch, sogar eine Verhaftung. So weit wollte er das Kräftemessen mit dem Obersten Richter Iftikhar Chaudhry offenbar nicht kommen lassen. In seiner Fernsehansprache zur Verhängung des Ausnahmezustands betonte Musharraf, dass durch den zunehmenden Terrorismus und "eine Justiz, welche die Arbeit der Regierung behindert", eine Situation entstanden sei, "in der die Regierung nicht mehr in Einklang mit der Verfassung handeln" könne. Chaudhry stand zu diesem Zeitpunkt schon unter Hausarrest. Weitere Richter, die sich weigerten, der Erklärung des Notstands zuzustimmen, wurden ebenfalls abgesetzt.

Der Ausnahmezustand ermöglicht es der amtierenden Regierung, die bevorstehenden Parlamentswahlen um ein Jahr zu verschieben. Das hätte dem Regime genügend Zeit gelassen, um ein ihm genehmes politisches Bündnis zusammenzustellen und die Opposition so zu behindern, dass sowohl im Parlament als auch bei der Regierungsbildung dann größtmöglicher Rückhalt garantiert wäre.

Pseudo-Demokratie unter Kriegsrecht und Proteste

Doch der Plan einer "maßgeschneiderten Demokratie" scheiterte. Unter dem außenpolitischen Druck sah sich Musharraf gezwungen, baldige Wahlen anzukündigen. Am 11. November sagte er, die Wahlen sollten sogar vor dem 9. Januar 2008 stattfinden, es obliege nun der Wahlkommission, den exakten Termin festzulegen. Das Parlament werde wie geplant am 15. November aufgelöst, die vier Provinzparlamente würden am 20. November folgen, und bis zu den Wahlen würden Übergangsregierungen amtieren.

Ob diese Zeit reicht, um durch Manipulationen ein erwünschtes Wahlergebnis sicherzustellen, ist unklar. Tausende Funktionäre oppositioneller Parteien sowie ihre Familienmitglieder und Sympathisanten sind derzeit inhaftiert oder unterliegen besonderen Auflagen, darunter auch viele Anhänger von Bhuttos Pakistanischer Volkspartei (PPP). Betroffen sind auch Anhänger islamistischer Organisationen, und kleiner linker Parteien im Süden des Landes. Derzeit gefährlicher für das Regime ist die Opposition aus der Mittelschicht, zahlreiche Menschenrechtler, Anwälte, Studenten und Journalisten wurden deshalb festgenommen.

Trotzdem kommt es seit der Ausrufung des Ausnahmezustands immer wieder zu Protesten. Vielerorts gingen Anwälte auf die Straße, sie forderten die Wiedereinsetzung des Obersten Richters Chaudhry und die Wiederherstellung der Verfassungsrechte. Über 2.500 Juristen sollen dabei festgenommen worden sein, Hunderte sind noch inhaftiert. Das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen diesen "schwarzen Block", die Juristen sind meist schwarz gekleidet, und Berichte über massenhafte Übergriffe provozierten neue Proteste, denen sich auch andere Gesellschaftsgruppen anschlossen.

Bhutto auf neuem Kurs?

Als Bhutto am 8. November einen Protestzug anführen wollte, wurde auch sie vorübergehend unter Hausarrest gestellt. Als sie versuchte, das Anwesen in Islamabad trotzdem in einer gepanzerten Limousine zu verlassen, stoppten Sicherheitskräfte sie. Innerhalb kürzester Zeit glich die Umgebung ihrer Residenz in Islamabad einer belagerten Festung, da Zehntausende Anhänger der PPP die über 5. 000 dort zusammengezogenen Polizisten und Soldaten einkreisten. Bhuttos Hausarrest wurde einen Tag später wieder aufgehoben. Es scheint, dass dabei Erklärungen der USA und auch zahlreicher EU-Staaten eine Rolle gespielt haben.

Viele westliche Regierungen dringen derzeit vor allem auf eine Einbeziehung von Bhuttos PPP in die Regierung. Eine solche Neuaufteilung der Macht schien bereits nach Bhuttos Rückkehr aus dem Exil noch vor Verhängung des Kriegsrechts vereinbart worden zu sein, doch am Wochenende sorgte die PPP-Vorsitzende mit provokanten Auftritten für Aufsehen. Die große Anzahl von Sicherheitskräften in ihrem Schlepptau griff nur ein, als sie den Verfassungsrichter Chaudhry besuchen wollte.

Am 13. November wurde sie schließlich in Lahore erneut unter Hausarrest gestellt. Ein von ihr geplanter Demonstrationszug nach Islamabad wurde verboten. Bhutto forderte Musharraf daraufhin zum Rücktritt auf und schloss eine gemeinsame Regierung aus. Zuvor dominierte in vielen pakistanischen Medien die Ansicht, sie wolle zwar auf Distanz zu Musharraf gehen und so die durch ihre Absprache mit ihm verlorenen Sympathien zurückgewinnen, aber auch den Preis für eine trotzdem wahrscheinliche politische Kooperation in die Höhe treiben. Wenn Musharraf sich noch weiter an der Macht halten und nicht eine offene Militärdiktatur etablieren will, kann er auf die PPP nicht verzichten, denn kaum keiner anderen politischen Organisation gelingt es derzeit, so viele Menschen zu mobilisieren.

Mit dem erneuten Hausarrest ist Musharraf nun möglicherweise zu weit gegangen und hat einen Kompromiss unmöglich gemacht. Bhutto streckt derweil ihre Fühler nach neuen Verbündeten aus. Ihr einstiger politischer Rivale, der ehemalige Premierminister Nawaz Sharif, bestätigte am 14. November aus seinem Zwangsexil in Saudi-Arabien, dass Bhutto direkten Kontakt zu ihm aufgenommen hätte. Sharif und seine Pakistanische Muslimliga (PML-N) seien fortan bereit, eng mit Bhutto in einem Bündnis zu kooperieren. Tags darauf wurde bekannt, dass sie auch mit Qazi Hussein Ahmad und weiteren kleinen, oft eher regional verankerten Parteien verhandelt. Ahmad, Führer der Muttahidah Majlis-e-Amal (MMA – Vereinigte Aktionsfront), eines Zusammenschlusses von sechs islamistischer Parteien, genießt vorwiegend Rückhalt in den an Afghanistan grenzenden westlichen Provinzen NWFP und Baluchistan.

Sollte es Bhutto gelingen, mit diesen höchst unterschiedlichen Partnern ein landesweites Zweckbündnis zu schmieden, dessen gemeinsamer Nenner die Wiederherstellung der Demokratie wäre, dürften Musharraf turbulente Zeiten mit einem ungewissen Ausgang bevorstehen.

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.