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06. Oktober 2001. Nachrichten: Politik & Recht - Bangladesch Bangladesch vor den Wahlen

Am 1. Oktober 2001 waren in Bangladesch 75 Millionen Wähler, darunter über 18 Millionen Neuwähler, zur Wahl der Jatiya Sangsad, des nationalen Parlaments, aufgerufen. Nach einem teilweise äußerst gewalttätigen Wahlkampf blieb es am Wahltag infolge der massiven Präsenz des Militärs vergleichsweise ruhig.

Nach ersten Berichten gewann die oppositionelle Bangladesh Nationalist Party (BNP) unerwartet hoch, möglicherweise mit Zwei-Drittel-Mehrheit.

Nachdem die Awami League im Juli 2001 nach Beendigung der Legislaturperiode die Macht an eine Interimsregierung um den pensionierten obersten Richter Latifur Rahman abgegeben hatte, erreichte der Wahlkampf im September seinen Höhepunkt. Unter den 95 zur Wahl zugelassenen Parteien - viele davon Abspaltungen unzufriedener Parteiführer - waren allein die regierende Awami League und die BNP mit ihren Verbündeten, darunter die islamistische Jama'at-i-Islami, ernsthafte Anwärter auf eine Mehrheit im neuen Parlament. Die Zahl unabhängiger Kandidaten stieg beachtlich: Von den 1.935 Kandidaten traten 484 ohne Partei-Ticket an, gegenüber 285 von 2.574 im Jahr 1996.

Fast täglich meldeten Bangladeschs Medien Gewalttaten im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen. Allein in den vier Wochen nach der Bekanntgabe des Wahltermins am 19. August sollen etwa 100 Menschen getötet und über 5.000 verletzt worden sein, meldete Odhikar, eine bangalische Menschenrechtsorganisation.

Neu war im diesjährigen Wahlkampf die hohe Zahl von Bombenattentaten auf Wahlkampfveranstaltungen. Insbesondere die Awami League sah sich davon betroffen und klagte die Interimsregierung an, die Sicherheit nicht garantieren zu können und BNP-freundliche Beamte zu protegieren. Zumindest Teile der Anschläge könnten aber auch auf das Konto rivalisierender Fraktionen innerhalb der AL zurückgehen, schließlich hatten parteiinterne Machtkämpfe erst vor wenigen Monaten zur Ermordung des Dissidenten Kalidas Baral und zu einem Bombenanschlag auf das Haus eines Parlamentsabgeordneten geführt.

Auch sei der Wahlkampf diesmal weniger von der ausgelassenen Stimmung vorheriger Wahlen geprägt, schreibt die Wochenzeitung Holiday. Farbenprächtige Dekorationen und Prozessionen seien selten, die Kandidaten versuchten eher mit Haus- und Community-Besuchen ihre Seriosität darzustellen.

Der Wahlkampf wurde vor allem zwischen den beiden großen Parteien erbittert geführt. Ihre Spitzenkandidatinnen Sheikh Hasina (AL) und Khaleda Zia (BNP) haben - in ständiger Auseinandersetzung - die politische Landschaft der 1990er Jahre geprägt. Beiden wird vorgeworfen, ihre Amtszeiten als Premierministerin vor allem zum Ausbau des Parteieinflusses auf die Verwaltung und die Polizei und zur Protegierung ihrer Günstlinge benutzt zu haben. Insbesondere Hasina, der Tochter des Staatsgründers Sheikh Mujibur Rahman, regierte gegen Ende ihrer Amtszeit zunehmend autokratisch.

Inhaltlichen Auseinandersetzungen spielten im Wahlkampf kaum eine Rolle. In wechselnden Anklagen versuchten die Kandidatinnen sich gegenseitig zu dämonisieren. Ein schon traditionelles Thema war der mangelnde Patriotismus des Gegners: Während die BNP der AL eine zu nachgiebige Haltung gegenüber Indien vorwirft, profiliert sich die AL durch den Bezug auf ihren früheren Parteiführer Mujibur Rahman, unter dessen Führung sich Bangladesch 1971 die Unabhängigkeit von Pakistan erkämpfte. Die BNP gilt ihr als Teil der "Anti-Liberation-Forces". Beim Thema Religion präsentiert sich die AL einerseits als Garant säkularer Prinzipien, was ihr die Stimmen der Hindu-Minderheit sichert, und fordert andererseits eine gemäßigte Islamisierung. Damit versucht sie, sich gegenüber der BNP zu profilieren, die traditionell für eine stärkeren Einfluss des Islam im Staat steht und diesmal mit der islamistischen Jama'at-i-Islami eine Allianz eingegangen ist. Von den weitgehenden Forderungen der Jama'at, die im letzten Parlament nur mit drei Abgeordneten (1991: 18) vertreten war, distanziert sich die BNP jedoch.

Trotz verbreiteter Befürchtungen, die gewalttätige Atmosphäre des Wahlkampfs werde am Wahltag eskalieren, blieb es am 1. Oktober vergleichsweise ruhig. Sechs Tote und etliche Verletzte wurden gemeldet. 135 Wahllokale mussten ihre Arbeit zeitweilig unterbrechen. Unabhängige Beobachter bezeichneten die Wahlen als frei und fair, größere Fälschungen oder Behinderungen seien nicht zu melden. In Medienberichten wurde die Armee gelobt, die diese schwierige Aufgabe gemeistert und so die Wahlen zu einem Erfolg gemacht habe.

Die AL um Sheikh Hasina hat sich nach bekannt werden erster Hochrechnungen geweigert, das Ergebnis anzuerkennen. In den folgenden Wochen wird sich zeigen, ob Unruhen vermieden werden können, die AL ihre vermutliche Niederlage anerkennt, und ob eine stabile Regierungsbildung gelingt.

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