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26. September 2001. Nachrichten: Politik & Recht - Pakistan Pakistanische Pressereaktionen

... auf den Terror gegen die USA und seine Folgen

Nachdem die US-amerikanische Regierung unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11. September den in Afghanistan vermuteten Osama bin Laden für die Attentate verantwortlich gemacht haben, und nach der Ankündigung einer großangelegten militärischen Aktion, ist Pakistan wichtiger Teil der amerikanischen Kriegsplanungen geworden. Auch die pakistanische Presse reflektiert diese neue Rolle und die Gefahren für seine Bürger und die Stabilität der Region.

In den Tagen unmittelbar nach dem 11. September beherrschten auch in Pakistan die Anschläge auf das World Trade Centre und das Pentagon die Presse, allerdings nicht in dem Maß wie in Deutschland. Die hier ausgewerteten auflagenstärksten englischsprachigen Tageszeitungen Dawn, The Nation und Business Recorder widmeten dem Thema Aufmacher und Kommentare. In den folgenden Tagen traten die drohenden Angriffe auf Afghanistan und mögliche Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Südasien in den Mittelpunkt der Berichterstattung. In den Kommentaren setzte sich immer mehr eine skeptische Haltung bezüglich der Auswirkungen einer umfassenden Zusammenarbeit mit den USA auf die nationale Sicherheit und Unabhängigkeit durch.

Reaktionen auf die Anschläge in den USA, die vermutete Urheberschaft Bin Ladens und die Ursachen des Terrors

Alle ausgewerteten Zeitungen, die Regierung sowie alle Parteien, selbst die islamistische Jama'at-i-Islami und die dem militanten Spektrum verbundene Tanzeem-i-Islami, äußern sich bestürzt und verurteilen die Anschläge. Die Hintergründen der Attentate werden allerdings aus einem deutlich verschiedenen Blickwinkel betrachtet als in der deutschen Presse.

So schreibt The Nation in einem Editorial am 13. September:

"Warum war ihr Land das Ziel? Es zeigt die Entschlossenheit der Terroristen, Verwüstung anzurichten, dass das mächtigste Land, die einzige Supermacht, und das weitverzweigteste Geheimdienstnetzwerk der Welt, nicht den leistesten Wind von ihren Absichten bekamen, während sie ihren ruchlosen Akt penibel planten und koordinierten. Vielleicht trifft es zu, dass die Neue Welt sich von den Prinzipien von Fairness und Gerechtigkeit entfernt hat, die ihre Gründungsväter angekündigt hatten, nun, da die Übermacht der USA weniger herausgefordert ist, als jemals zuvor? Die Freudenfeiern in den Straßen von Nablus geben Stoff zum Nachdenken. Die Vereinigten Staaten sollten an der Natur der Anschläge erkennen, dass die terroristische Bedrohung vielleicht nicht mehr zu stoppen ist, und dass die Ressourcen für die Abwehr entfernter Möglichkeiten besser investiert wären in die Beseitigung der Ursachen dieses anti-amerikanischen Geistes."

Der Business Recorder zieht am selben Tag, ebenfalls in einem Editorial, Verbindungen zu Anschlägen, denen pakistanische und palästinensische Bürger ausgesetzt sind:

"Für die USA war es die mörderischste und lähmendste Erfahrung mit Terror. Für kleinere Länder, die von allen möglichen Arten sozio-ökonomischer Leiden geplagt werden, bedeutet Terrorismus eine weit schwerere Bedrohung – sei es in den Straßen von Karachi und Srinagar oder im Gazastreifen mit seinen häufigen Vorstößen israelischer Kanonenboote und Panzer. Die amerikanischen Politiker, Intellektuellen, Journalisten und natürlich die militärische Führung scheinen Terrorismus ständig mit Kriminalität zu verwechseln. Damit scheiterten sie überraschenderweise dabei, tiefer in die Psyche arabischer Selbstmordattentäter oder kashmirischer Mujaheddin zu blicken."

Am 14. September schreibt The Nation in einem Editorial:

"Osama mag mit dem jüngsten Angriff in Verbindung stehen oder nicht. Die Art und Weise aber, wie amerikanische Medien und Sicherheitsdienste mit dem Finger auf ihn zeigten, bevor irgendwelche Beweise vorlagen, hat Argwohn begünstigt, der zerstreut werden muss, bevor die USA gegen ihn in Aktion treten. Die Vereinigten Staaten sollten auch die öffentlichen Reaktionen in der islamischen Welt beobachten, die weitaus ambivalenter sind, als die sofortige Verurteilung durch die Regierungen. Es steht fest, dass die USA entweder die Politik überdenken muss, die diesen Geist provoziert, oder daran arbeiten sollte, warum sie missverstanden wird."

Dawn schreibt am 17. September in einem Kommentar:

"Niemand hat sich zu den Anschlägen bekannt. Tatsächlich haben alle wahrscheinlichen Verdächtigen energisch eine Verantwortung geleugnet. Es scheint möglich, dass dieser "irgendjemand" niemals vortreten wird. Die Amerikaner werden sicherlich intensive Untersuchungen durchführen und wahrscheinlich die Täter identifizieren Aber dies wird ein relativ langer Prozess sein, und das amerikanische Volk (und sicher auch die Welt) haben nicht so viel Geduld. Sie wollen ihre antworten bereits gestern. Daher begeben sich so viele Experten, Medienleute etc. in den gefährlichen Bereich der Spekulation. Gefährlich, da in Zeiten der Spannung und des Zorns wie dieser, Spekulationen allzu schnell als Tatsachen verstanden werden, die ebenso schnell in zu verbalen und körperlich Verletzungen der Angeklagten führen. Es gab bereits Berichte, dass Menschen bestimmter Herkunft in den USA angegriffen wurden. Leser brauchen keine Hauptverdächtigen, die ihnen vorbuchstabiert werden. [...] "Irgendjemand" hasst Amerika und insbesondere die amerikanische Regierung so sehr, dass er bereit war zu sterben, um den USA zu schaden. Es ist eine traurige Erkenntnis für die amerikanische Außenpolitik, dass es nicht nur einen, sondern mehrere Kandidaten gibt, auf die diese Beschreibung passt."

Und in einem Kommentar zur inneren Sicherheit vom selben Tag, ebenfalls in Dawn:

"Ein Nebenprodukt der amerikanischen Unterstützung für den afghanischen Jihad war die Ermutigung religiöser Organisationen, die die Mujahedin im Kampf gegen die sowjetischen Besatzungstruppen motivierten. Osama bin Laden war ein Held in den 1980ern. Auch die Koranschulen wurden mobilisiert, um Rekruten für den anti-sowjetischen Kampf zu werben. Nachdem die Sowjets sich zurückgezogen hatten, verloren die USA nicht nur das Interesse an Afghanistan, sondern begannen die von den Widerstandskämpfern geführte Bewegung zur Wiederbelebung des Islam als negative Kraft und Gefahr für die Stabilität der Region wahrzunehmen. Pakistan wurde mit den Folgen allein gelassen. Als die USA nach 1990 wegen des Nuklearprogramms Sanktionen verhängten und die Wirtschaftshilfe kürzten, bescherten der Wirtschaftsabschwung und die Arbeitslosigkeit den Religionsschulen einen hohen Zulauf durch junge Leute. Seitdem lassen sich religiöse Radikale, von denen viele vom afghanischen Jihad ausgespuckt wurden, ins Sektierertum ziehen, das seinen Beitrag zu Gewalt und Zerrissenheit des Landes leistet."

Der Business Recorder kommentiert am 17. September:

"Nun versuchen die mächtigen elektronischen Massenmedien und die US-Regierung sehr geschickt, ihre Verantwortung für eventuelle Fehler hinter dem totalen Zusammenbruch der Sicherheit und der Luftverteidigung zu vertuschen, indem sie Osama bin Laden, sein "Netzwerk" und den sogenannten islamischen Terrorismus beschuldigen. Während Israel, Indien und Russland von westlichen Regierungen und Medien nicht nur geschützt werden, sondern im Falle größerer Massaker an ihren Bürgern aus politischer Rücksichtnahme regelrecht unter Patronage stehen."

Zur Zusammenarbeit von USA und Pakistan bei der Bekämpfung des Terrorismus

Vorherrschend ist die Sorge, amerikanische Angriffe auf Afghanistan könnten sich verhängnisvoll auf Pakistan auswirken. Eine Unterstützung amerikanischer Angriffe könne die Instabilität in der Region weiter verstärken, Pakistan zum Ziel afghanischer Angriffe machen und die anti-amerikanische Stimmung in Teilen der Bevölkerung steigern.

In einem Kommentar für The Nation schreibt Mubashir Hasan, Vorsitzender der Pakistan People's Party im Punjab, am 15. September:

"Um die Täter aufzuspüren und festzunehmen, sollte Pakistan der US-Regierung alle moralische und politische Hilfe leisten, die im Rahmen des nationalen, des Völkerrechts und der UN-Charta möglich ist.
Präsident Musharraf sollte aber auch die Stärke des Hasses bedenken, den die US-Aktionen der letzten dreißig Jahre unter den ärmeren Schichten der pakistanischen Bevölkerung ausgelöst haben. So weigerte sich die neugewählte Distrikt-Versammlung (district council) von Lahore am 12. September, eine Beileidsbotschaft an die Opfer von New York und Washington zu verabschieden. Gestern Abend musste ich eine Versammlung in Lahore absagen, weil die Leute feierten und Süßigkeiten verteilten und nicht in der Stimmung waren, irgendetwas anderes anzuhören.
Nach der UN-Charta können die Vereinigten Staaten nicht erwarten, dass sich Pakistan in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einmischt. Pakistan hat schon in den 1980er Jahren den riesigen Fehler gemacht, auf Wunsch der USA in Afghanistan einzugreifen und zahlt seitdem einen extrem hohen Preis dafür. [Der Autor meint die zwei Millionen afghanischen Flüchtlinge und den gewachsenen Einfluss extremistischer Kräfte. - d. Übers.] Diesen Fehler sollte Pakistan keinesfalls wiederholen. Obwohl Pakistan an die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates gebunden ist, kann nicht erwartet werden, dass es dem meistgequälten Land der Welt seine Hilfe versagt. Die Vereinigten Staaten sind 10.000 Meilen weit weg, Afghanistan ist unser Nachbar. Wir sind zu guten Beziehungen verdammt.
Pakistan sollte den Truppen und den Geheimdiensten der USA und der NATO, die von Pakistan aus gegen die Regierung Afghanistans operieren wollen, keine Unterstützung leisten. Dem FBI und anderen Diensten eine Operationsbasis im Krieg gegen den Drogenhandel anzubieten, war etwas ganz anderes, als zu unterstützen, dass Personen auf afghanischem Territorium getötet oder entführt werden.
Pakistan sollte froh sein, sich als Brücke zwischen Washington und Kabul anbieten zu können, aber diesmal darf es sich dabei nicht wieder übervorteilen lassen (...there must be a quid-pro-quo). Die Tage, in denen General Ayub Khan zwischen Washington und Peking vermittelte, nur um kurz darauf fallen gelassen zu werden, sind vorbei. Jetzt sollte Pakistan darauf bestehen, dass die Vereinigten Staaten und die NATO-Mitglieder alle Kriminellen an Pakistan ausliefern, die dem Land Geld gestohlen haben und es jetzt in der Sicherheit ausländischer Finanzplätze genießen. Die Ausplünderung Pakistans durch illegalen Kapitaltransfer und durch Korruption im geheimen Einverständnis mit ausländischen Unternehmen hat um ein Vielfaches mehr Tote gefordert - durch Hunger und Unterernährung, durch Krankheiten und hohe Kindersterblichkeit - als die Tragödie vom 11. September. Die Vereinigten Staaten sollten zusichern, Pakistan in diesem Bereich zu helfen."

Deutlicher äußert sich Nawa-i-Waqt, eine urdu-sprachige Tageszeitung aus Rawalpindi (zit. nach BBC Monitoring, 18.9., ohne Datierung des Zitats, vermutlich Ausgabe vom 17.9.):

"[Afghanistan ist] unser Nachbar und enger Freund. Die Vereinigten Staaten wollen uns dazu bringen, diesen Freund zu bekämpfen. [Das] würde unsere nationale Sicherheit, unsere Verteidigung, unsere Außen- und Innenpolitik zerstören...Unsere Situation wäre schlimmer als die des Irak, da wir nicht nur unsere Freundschaft mit Afghanistan sondern auch mit China verlieren würden."

Zum Sprachrohr anti-amerikanischer Stimmungen - die sich auch in Pakistan vorwiegend an der amerikanischen Unterstützung der israelischen Besatzungspolitik festmachen - schwingt sich die urdu-sprachige Jasarat auf (zitiert nach BBC Monitoring, 18.9., ohne Datierung der Quelle, vermutlich Ausgabe vom 17.9.):

"Das tatsächliche Ziel ist Pakistan...[Die Terroranschläge? Die geplante "Vergeltung"?] sind Teil eines langgeplanten Projekts, in dem Israel die einzige Nuklearmacht der islamischen Welt militärisch besetzen will... Aber die Gefahren drohen von den Schichten, die alle politische Macht in Pakistan monopolisiert haben. Sie zeigen Feigheit, Schwäche und mangelnde Aufmerksamkeit in jedem bedeutenden Augenblick. Das hat Pakistan zerstört."

Angesichts der wachsenden Kritik gegen ein bedingungsloses Eingehen auf die US-amerikanischen Forderungen bemüht sich Pervez Musharraf - seit dem Militärputsch im August 1998 Chief Executive und seit Juli diesen Jahres selbsternannter Präsident - um Unterstützung der einflussreichsten Religionsgelehrten (ulema) und der Herausgeber der großen Zeitungen. Am 16. September sprach er mit beiden Gruppen (zitiert nach Associated Press of Pakistan, 17.9.):

"[Der Präsident] sagte, dass die Nation derzeit eine kritische Phase durchlaufe, und das alle Schritte, die unternommen werden, im Interesse der Nation sein werden. Der Präsident wies auf die Notwendigkeit der Einheit aller gesellschaftlichen Gruppen hin. Ulema und mashaikh, denen er seine Achtung und Respekt aussprach, bat er, ihren Einfluss zu nutzen, um ihm Einblicke in die reale Situation zu gewähren. Der Präsident sagte, es sei von größter Wichtigkeit, die sich entwickelnde Lage realistisch zu analysieren, und die Meinung der Menschen in ihrem Einflussbereich so zu formen, damit sich die richtigen Ansichten durchsetzten (...mould the opinion of people in their areas of influence to entertain correct sentiments). Er dankte den Geistlichen dafür, ihre Meinung offen ausgedrückt und der Regierung ihre Unterstützung zugesichert zu haben, um mit der schwierigen Situation im Interesse der Nation umzugehen.
Die Geistlichen versicherten der Regierung ihrer Unterstützung für alle Maßnahmen, die der Integrität, Wohlfahrt und Souveränität der Nation dienen. [...] Allama Muhammad Hussain Akbar [Vorsitzender von Idara Minhajul Hasan] sagte: 'Es steht fest, dass der Islam jeglichen Terrorismus ablehnt. Wir verurteilen die terroristischen Anschläge auf die Vereinigten Staaten, und jeder der dafür verantwortlich ist, verdient zur Rechenschaft gezogen zu werden, sobald seine Täterschaft feststeht.' "

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