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29. September 2001. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Indien - der "verlässliche Freund" der USA

...im Kampf gegen den Terrorismus

Mehr als sieben Stunden hatten die Eltern von Jai Prakash versucht, ihren Sohn nach dem grausamen Terroranschlag in New York zu erreichen - vergeblich. Dann der erlösende Anruf: "Es ist ein Wunder Gottes - ich bin am Leben".

Kurz nachdem das erste Flugzeug in die Türme des World Trade Center gerast war, rannte der aus Bangalore stammende Software-Entwickler um sein Leben - 70 Stockwerke legte er zu Fuß zurück und entkam unverletzt ins Freie. Wahrlich ein Wunder, inmitten von Chaos, Zerstörung und sterbenden Menschen. Erste Schätzungen der indischen Behörden gehen von über 250 verletzten, getöteten oder noch vermissten Menschen indischer Abstammung aus.

Die indische Regierung verurteilte sofort auf schärfste den Terrorakt und bekundete ihre Solidarität und Sympathie mit den Opfern. Gleichzeitig bot sie den USA jede erdenkliche Form militärischer Zusammenarbeit an. Nach Berichten der Times of India hat sich Indien bereit erklärt, bei einem amerikanischen Vergeltungsschlag gegen die Taliban logistische Hilfe zu leisten und gegebenenfalls Militärbasen für Luftangriffe zur Verfügung zu stellen.

Bereits seit einiger Zeit tauschen beide Staaten Informationen über die Aktivitäten islamischer Fundamentalisten aus. Dazu wurde fast unbeachtet von der Öffentlichkeit letztes Jahr eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegen den Terror gebildet. Unmittelbar nach den Terroranschlägen übermittelte Indien der US-Bundespolizei FBI Geheimdienst-Erkenntnisse über Ausbildungslager für islamische Fundamentalisten in Afghanistan. Nach Angaben eines indischen Geheimdienstvertreters handelt es sich dabei um Videoaufnahmen von Trainingscamps und Berichte über deren Standorte.

Diese ersten indischen Reaktionen sind ein deutliches Zeichen für den außenpolitischen Paradigmenwechsel, den die hindunationalistisch-geführte Regierung vollzogen hat. Früher ein enger Verbündeter der Sowjetunion, entwickelte sich Indien zu einem verläßlichen "Freund" der USA. Als eines der wenigen Länder weltweit unterstützt Indien die von Washington geplante Raketenabwehr im Weltraum (s. auch: US-Regierung plant Überprüfung ihrer Südasien-Politik). Als Konsequenz des Horrors von New York und Washington erhofft sich Indien von den USA neben einer Vertiefung des bilateralen Verhältnisses vor allem mehr Verständnis für ein härteres Vorgehen gegen terroristische Aktivitäten in Kashmir.

Denn Indien fühlt sich schon lange als Opfer eines von Pakistan geschürten Terrorismus, der den indischen Teil Kashmirs in Chaos und Anarchie gestürzt habe. Das dies nur die halbe Wahrheit ist und Indien für die Entfremdung der Kashmiris selbst verantwortlich ist, wird dabei wohlweislich verschwiegen. Das Beziehungsgeflecht Pakistan - Afghanistan - Osama bin Laden musste Washington klar machen, dass Indien und die Vereinigten Staaten als "natürliche Verbündete" im selben Boot sitzen. Der indische Außenminister Jaswant Singh erklärte dazu: "Indien kämpft gegen den Terrorismus seit über 20 Jahren. Jetzt haben einige Staaten unsere Position verstanden. Wir wünschen uns, dass die USA zusammen mit Indien nicht nur die Symptome des Terrors, sondern das dahinterstehende System und die 'Strippenzieher' bekämpfen."

Dieser Standpunkt Indiens wird scheinbar auch von der US-Regierung geteilt. In einem BBC-Interview bejahte der amerikanische Außenminister Colin Powell die Frage, ob der Kampf gegen den internationalen Terrorismus auch Kashmir einbeziehe. Was Indien als grenzüberschreitenden Terror bezeichnet, ist in den Augen Pakistans eine Freiheitsbewegung. Diese fundamental unterschiedliche Sichtweise der Kashmir-Frage war der Hauptgrund für das Scheitern mehrerer indisch-pakistanischer Gipfeltreffen. Indem sich Washington eher die Sichtweise Indiens zu eigen macht, wird es für Pakistan deutlich schwerer, die Kashmir-Problematik als außenpolitische Trumpfkarte zu gebrauchen. Auch der Versuch Pakistans, den Kashmir-Konflikt zu internationalisieren und die US-Regierung als Vermittler zu gewinnen, ist gescheitert. Die US-Regierung hat gegenüber Islamabad betont, dass der Kashmir-Konflikt ein Problem zwischen Indien und Pakistan sei und deshalb auch bilateral gelöst werden müsse.

Ebenfalls mit großer Genugtuung hat man in Indien auf die Entscheidung Washingtons reagiert, die im Zuge der Atomtests verhängten Sanktionen aufzuheben. Indien ist es jetzt wieder möglich, modernste Computer und andere Hochtechnologie zu importieren. Die USA hatten bisher den Verkauf solcher Waren verboten, weil sie auch militärisch genutzt werden können.

Während sich Indien außenpolitisch in einer komfortablen Position befindet, ist die innenpolitische Lage eher angespannt. Im Falle eines Angriffs der USA auf das Taliban-Regime in Afghanistan rechnet man auch in Indien mit Vergeltungsschlägen islamischer Fundamentalisten. Die Sicherheitsvorkehrungen rund um das Regierungsviertel und strategisch wichtigen Einrichtungen wurden deutlich verschärft. Der Ulama der größten indischen Moschee, der Jama Majid in New Delhi, Syed Ahmed Bukhari, forderte die 140 Millionen Muslime des Landes auf, "friedlich" zu demonstrieren, wenn Amerika Afghanistan angreifen sollte.

Außenminister Singh machte in einer offiziellen Stellungnahme deutlich, dass Indien den Kampf gegen den Terrorimus nicht als Religionskampf betrachte. Die Anschläge gegen unschuldige Menschen seien nicht im Sinne des Islam - im Gegenteil: "Der Islam ist ein edler Glaube", so der Hindu Singh wörtlich. Die Mehrheit der Muslime in Indien verurteilt ebenfalls die Terrorattacken. Gleichzeitig jedoch wird den USA Doppelmoral und eine anti-muslimische Politik vorgeworfen. "Ob in Algerien, Palästina oder Irak, die Politik der USA ist unfair gegenüber den Moslems", erklärt der Religionsgelehrte Umar Farooq.

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