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13. April 2008. Nachrichten: Sri Lanka - Politik & Recht Der lange Schatten eines Massakers

Für die zwei Jahre zurückliegende Ermordung von 17 Entwicklungshelfern in Sri Lanka sollen einem unabhängigen Untersuchungsbericht zufolge die Sicherheitskräfte verantwortlich sein.

Die 17 mehrheitlich tamilischen Mitarbeiter der Hilfsorganisation Action contre la faim in Muttur wurden im August 2006 vermutlich von der Polizei und dem Militär exekutiert, berichtet die Menschenrechtsgruppe University Teachers for Human Rights. Damit kommt die Aufklärung des Verbrechens einen großen Schritt voran - die Organisation erhält nun allerdings Drohungen und drei Augenzeugen des Massakers wurden bereits ermordet.

Die mit Tsunami-Wiederaufbauarbeiten betrauten Arbeiter der französischen Nichtregierungsorganisation Action contre la faim (ACF) hatten sich am 4. August 2006 auf den Boden knien müssen, bevor sie mit Schüssen in den Nacken regelrecht exekutiert wurden. Dies war der damals weltweit schwerste Angriff gegen humanitäre Helfer seit dem Attentat gegen den Sitz der UNO in Bagdad im August 2003, bei dem 22 Menschen getötet wurden.

Die Region um Muttur war im August 2006 Schwerpunkt heftiger Kämpfe zwischen Regierungstruppen und den tamilischen Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 1 , die für einen separaten Staat im Nordosten der Insel kämpfen. Nach Bekanntwerden des Massakers behauptete das Militär, die humanitären Helfer seien zwischen die Fronten von Militär und tamilischen Rebellen geraten. Die srilankische Regierung wies jede Verantwortung von sich und bezichtigte die LTTE der Tat. Von Beginn an gab es aber Spekulationen über eine Verwicklung der Sicherheitskräfte in den Vorfall. So waren die ACF-Mitarbeiter in der Mehrheit Tamilen. Zudem fanden die Tötungen erst nach dem Rückzug der Rebellen aus Muttur statt. Die pan-skandinavische Beobachtermission beschuldigte die Regierung bereits Ende August 2006, für die Tötungen verantwortlich zu sein.

Polizei und Militäreinheiten sollen an der Exekution beteiligt gewesen sein

In einem nun publizierten 29-seitigen Bericht 2 versucht die Menschenrechtsorganisation University Teachers for Human Rights / Jaffna (UTHR-J) nachzuweisen, dass srilankische Sicherheitskräfte das Massaker mit Billigung oder sogar im Auftrag höherer Stellen ausgeführt haben. Die UTHR-Mitglieder führten Interviews mit mehr als einem Dutzend Familienmitgliedern und Einwohnern von Muttur und bekamen auch wichtige Informationen von der Polizei. Sie befragten außerdem diejenigen, die die Leichen der Hilfsarbeiter wegschafften und stellten eigene forensische Untersuchungen der gefundenen Munition an. "Die Beweise zeigen, dass Sicherheitskräfte der Regierung - vor allem die Polizei - die 17 Arbeiter getötet haben, und dass die Verantwortlichen der Polizei die Aktion gedeckt haben", sagt Rajan Hoole von den UTHR. Ein muslimischer Wachmann der Polizeistation in Muttur und zwei Polizisten aus Trincomalee hätten das Massaker in Anwesenheit eines Teams der Sri Lankan Naval Special Forces ausgeführt, schreiben die Autoren. Mindestens eines der Opfer sei von einem dieser Marineangehörigen erschossen worden. Alle Polizisten sowie der Wachmann werden namentlich genannt.

Augenzeugen: Nach der Tat "Feierstimmung" im Kommissariat

Laut dem Bericht wurde der Bruder des als Haupttäter geltenden Wachmanns, einem Angehörigen der muslimischen Minderheit, am Vorabend des Massakers von einem Kämpfer der tamilischen Rebellen getötet. Der Wachmann habe daraufhin gedroht, sich zu rächen. Zudem habe ein Kommandant der lokalen Spezialkräfte der Marine seinen Männern befohlen, jede Person zu "liquidieren" die Tamil spricht, wenn sie verdächtigt werde, ein Kämpfer der Rebellen in zivil zu sein. Weiter sei davon auszugehen, dass die gezielt gegen Tamilen gerichtete Aktion von zwei bekannten hohen Polizeichefs in der Provinzhauptstadt Trincomalee abgesegnet worden sei. Es werden Augenzeugen zitiert, die von einer "Feierstimmung" im Kommissariat der Polizei von Muttur nach dem Massaker berichteten. Der Bericht konstatiert außerdem, dass der Mord an fünf tamilischen Studenten am 2. Januar 2006 in Trincomalee ebenfalls von den Behörden initiiert wurde. Beide Fälle hängen demnach zusammen: Einer der getöteten ACF-Entwicklungshelfer ist der Bruder eines in Trincomalee erschossenen Studenten. Und der Polizeichef von Trincomalee soll auch für diese Morde verantwortlich sein.

Die Regierung will jeden Anschein eines schmutzigen Krieges vermeiden

Der srilankischen Regierung kommt die UTHR-Studie denkbar ungelegen: Der Krieg im Norden ist nach dem Ende des Waffenstillstands vor drei Monaten in vollem Gange, das Militär steckt aber fest und braucht für einige hundert Meter Wochen. Dabei versucht die Regierung jeden Anschein eines "schmutzigen Krieges" zu vermeiden. Von den 5.000 KämpferInnen, die den Rebellen nach Armeeangaben Ende 2007 angeblich nur noch blieben, habe man seit Jahresbeginn 2.562 getötet, meldet das Militär. 3 Im gleichen Zeitraum seien 152 Soldaten umgekommen. Diese Zahlen sind ebenso wie die Meldungen der Rebellen kaum überprüfbar, da Journalisten der Zutritt zu den Kampfgebieten untersagt ist.

Zeugen des Massakers werden bedroht

Inmitten dieses Propagandakrieges ist die Publikation zum Massaker von Muttur für die Mitglieder von UTHR und vor allem die Zeugen nicht ohne Risiko. Drei Augenzeugen wurden bereits getötet, ein Vierter ist verschwunden und andere sind aus dem Land geflüchtet. Eine Verwandte eines getöteten ACF-Mitarbeiters berichtete Ende März 4 von Drohungen bewaffneter Männer gegen ihre Familie. Ein anderer Zeuge bekam Briefe, in denen gedroht 5 wurde, seine gesamte Familie auszulöschen, wenn er bestimmte Details preisgebe. Außerdem griff nicht eine einzige srilankische Zeitung die Untersuchung auf. Es kann nur vermutet werden, welche interessierten Kreise hinter diesem Klima der Angst stehen.

Drei offizielle Untersuchungen brachten keine Aufklärung

Der Mut der Zeugen und das Engagement der UTHR scheinen die einzige Chance zu sein, die Hintergründe der Morde etwas aufzuhellen. Das Papier kann keine juristische Aufarbeitung ersetzen, es weist aber vor allem auf die Untätigkeit der Regierung hin, in deren Untersuchungskommissionen kein einziges der jetzt bekannt gewordenen Details aufgedeckt wurde. So brachten drei von der Justiz, der staatlichen Menschenrechtskommission und dem Präsidenten geführte Ermittlungen keine endgültigen Ergebnisse. Eine internationale Beobachtergruppe kritisierte vor kurzem, die offiziellen Untersuchungen verfehlten internationale Standards. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezeichnete die Bemühungen der Regierung als "Farce" und beglückwünschte UTHR zu der "brillianten Untersuchungsarbeit". Die Organisation Action contre la faim zeigte sich "verstört" über die Detailgenauigkeit des jetzt von unabhängiger Seite erstellten Berichtes, und forderte erneut eine internationale Untersuchungskommission. 6

University Teachers of Human Rights: Zwischen den Fronten

Eine besondere Qualität gewinnt die Veröffentlichung durch die Glaubwürdigkeit der University Teachers of Human Rights. Die 1988 gegründete 7 Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, den internen und externen Terror zu überwinden, dem die tamilische Community ausgesetzt ist. In ihren Reports benennt sie die Verantwortlichen auf beiden Seiten und schildert die Umstände, die den jahrzehntelangen Bürgerkrieg immer wieder anheizen. Für die Kritik an den LTTE in dem Buch "The Broken Palmyra" 8 bezahlte Dr. Rajani Thiranagama, eines der Gründungsmitglieder der Organisation, im September 1989 mit dem Leben. Danach musste die Gruppe die Universität Jaffna verlassen und arbeitet nun halb im Untergrund. Sie gehört zu den wenigen zivilen Organisationen in Sri Lanka, die sich sowohl gegen die Menschenrechtsverletzungen der Regierung als auch die der Rebellen aussprechen.

 

 

Fußnoten

[ 1 ] suedasien.info: Konflikteskalation in Sri Lanka. Waffenstillstand am Ende?, 30.8.2006

[ 2 ] University Teachers for Human Rights / Jaffna (UTHR-J): Unfinished Business of the Five Students and ACF Cases - A Time to call the Bluff, 1.4.2008

[ 3 ] Yahoo-News: Sri Lanka Tigers say resisting military onslaught, 3.4.2008

[ 4 ] Reuters.com: Family of Sri Lanka massacre victims doubt justice, 24.3.2008

[ 5 ] Daily Mirror: ACF case: Witness under threat, 26.3.2008

[ 6 ] Action contre la faim: SRI LANKA - massacre de Muttur, 1.4.2008

[ 7 ] University Teachers for Human Rights / Jaffna (UTHR-J): History of the Organisation

[ 8 ] Dies.: The Broken Palmyra

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