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16. April 2008. Nachrichten: Bhutan - Politik & Recht Erste Unterhauswahl im Königreich Bhutan

Geburt einer konstitutionellen Monarchie in Südasien

Die Demokratisierung Bhutans stellt den seltenen Fall einer von einer herrschenden Elite verfügten grundlegenden politischen Systemänderung dar. Möglicherweise haben die jüngsten Ereignisse in Nepal, wie zuvor bereits die chinesische Annektion von Tibet 1950 und der Anschluss von Sikkim an die Indische Union 1975, nicht unmaßgeblich zu diesem von oben gesteuerten Paradigmenwechsel beigetragen.

Fast 80 Prozent der insgesamt 318.000 registrierten Wähler machten am 24. März 2008 von ihrem Stimmrecht bei der ersten Wahl zur Nationalversammlung (Gyalwang Tshogdu) des Königreichs Bhutan Gebrauch. Nur zwei Parteien standen sich mit fast identischen Wahlprogrammen gegenüber. Die Druk Phuensum Tshokpa (Vereinigte Bhutan Partei/DPT) des früheren Premierministers Jigmi Thinley gewann 44 der insgesamt 47 Parlamentsmandate, während auf die People's Democratic Party (Demokratische Volkspartei/PDP), angeführt vom ehemaligen Agrar-, Gesundheits- und Erziehungsminister und Onkel des Königs, Sangay Ngedup, nur drei Sitze entfielen. Nach der am 31. Dezember 2007 durchgeführten Wahl zum Nationalen Rat (Gyalyong Tshogde), der zweiten Kammer des Landes, ist damit der Übergang von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie abgeschlossen und der Prozess einer vorsichtigen gesellschaftspolitischen Öffnung eingeleitet. Die Regierungsbildung steht nun noch bevor.

Rahmenbedingungen

Die konservative buddhistische Mehrheitsbevölkerung hat enge religiöse, sprachliche und kulturelle Bindungen zur tibetischen Bevölkerung in der Autonomen Region Tibet der Voksrepublik China. Bhutan, lange ein "Versteck jenseits der Modernität", weist mit 1.400 US-Dollar das höchste durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen aller Staaten in Südasien auf. Praktisch die gesamte Bevölkerung hat kostenlosen Zugang zu Schulen und ärztlicher Versorgung. Bis 1960 gab es keine Straßen und praktisch keine Schulen oder Krankenhäuser. Seither hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung von weniger als 40 auf 66 Jahre erhöht. Die Gesetzgebung legt fest, dass 60 Prozent der Landesfläche von 47.000 Quadratkilometern bewaldet sein müssen. Kommerzielle Bergsteigerei ist verboten.

Neben dem durch ein hohes Preisniveau kontrollierten Tourismus tragen vor allem die Wasserkraftwerke mit Energieversorgung für Indien zum wachsenden Wohlstand des Himalaya-Staates bei, ohne allerdings ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Viertel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze und es wird berichtet, dass die wachsende Landflucht in den größeren Orten zu steigender Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Drogensucht führe.

Der Umgang mit den insbesondere im Süden des Landes lebenden ethnischen Nepalesen – religiös Hindus –, von denen Anfang der 1990er mehr als 100.000 vertrieben wurden , aber weiterhin Zehntausende dort leben, ist ein offizielles Tabu. In der zweiten Januarhälfte 2008 kam es zu Bombenanschlägen in vier verschiedenen Distrikten, die vermutlich von den militanten Organisationen Bhutan Tiger Force, Bhutan Maoist Party bzw. Communist Party of Bhutan (Marxist-Leninist-Maoist) verübt wurden.

Aus Sicherheitsgründen wurde daher die Grenze zu Indien vor und während der Wahl abgeriegelt. In 865 Wahllokalen machten die Bürger Bhutans nach dem Vorbild Indiens von ihrem Wahlrecht mittels elektronischer Wahlmaschinen Gebrauch. 161.169 Frauen und 157.296 Männer waren wahlberechtigt. Der größte Wahlkreis wies 11.083 registrierte Wähler auf, der kleinste dagegen nur 768. Unter den 42 ausländischen Wahlbeobachtern befanden sich der Vorsitzende der indischen Wahlkommission, N. Gopalaswamy, sowie zwei angesehene ehemalige Staatssekretäre aus dem indischen Außenministerium.

Wahlkampf und eindeutiger Wahlsieger

Der Wahlkampf verlief sehr ruhig und ohne nennenswerte Plakatierung. Den Parteien war es untersagt, im Wahlkampf sicherheitspolitische Themen, Fragen der Staatsbürgerschaft und des Königshauses anzusprechen. Die Migration vom Land in die Städte, Arbeitslosigkeit und die Lebenswirklichkeit der ärmeren Bevölkerung bildeten den Kern der Wahlprogramme. Unter den 94 Kandidaten befanden sich 10 Frauen. Die Wähler gingen in der obligatorischen Nationaltracht zur Wahl.

Vor der Wahl war erwartet worden, dass die PDP aufgrund der Kompetenz ihres Spitzenkandidaten Sangay Ngedup in Agrarfragen insbesondere Stimmen der ländlichen Bevölkerung erhalten würde. Allerdings verlor Ngedup, dessen vier Schwestern den letzten König geheiratet hatten, in seinem Wahlkreis überraschend gegen den Schullehrer Tshering Penjor. Dieser hatte zwar auf direkte Kritik seines Gegner verzichtet und stattdessen demonstrativ seine Verbundenheit mit den "grassrooots" betont, allerdings bezichtigten Dorfbewohner Ngedups Vater, der nach der Verheiratung seiner vier Töchter in kurzer Zeit großen Landbesitz erworben hatte, sie eingeschüchtert und zum Landverkauf zu Niedrigstpreisen genötigt zu haben. Wahlbeobachter meinen in dem Ergebnis einen Trend zu erkennen, dass die Wähler die Monarchie nicht in Frage stellen, jedoch allzu engen Verwandten des Königshauses den Zugang zur Macht versagten. Das Motto der von den Wählern vermutlich als weniger "royalistisch" eingestuften DPT war "Unparteilichkeit und Gerechtigkeit". Spitzenkandidat Thinley hatte wesentlich zur Formulierung der Staatsphilosophie der "Gross National Happiness" beigetragen und war vor allem bei den jungen Wählern populär.

Perspektiven

Die indische Regierung gratulierte Bhutan, "Indiens einzigem Freund in Südasien – so der Sicherheitsanalytiker Brahma Chellaney – zu seinem neuen Status einer "konstitutionellen, demokratischen Monarchie" und versprach der königlichen Regierung zugleich "alle mögliche Unterstützung während der Periode des Übergangs". Sprecher der aus dem Süden Bhutans vertriebenen Flüchtlinge – angeblich mittlerweile fast 150.000 – nannten die Wahl dagegen eine "Täuschung" und "Farce", die "keine Bedeutung" habe, da sich fast die Hälfte der Bevölkerung außerhalb des Landes befinde. Der König habe nur seine Männer in Positionen gebracht und werde durch sie regieren.

Die Wähler optierten überwiegend für Kandidaten, die bereits viel Erfahrung gesammelt hatten im Dienste des vierten Königs Jigme Singye Wangchuk, der 2006 zugunsten seines Sohnes abgetreten war. Beobachter zitierten jedoch zahlreiche Stimmen von Wählern, die sowohl die Frage nach der Dauerhaftigkeit des demokratischen Systems aufwarfen als auch zu bedenken gaben, "ob das neue System nicht den Weg für Korruption ebnen würde".

Es bleibt also abzuwarten, ob es der neuen Regierung gelingen wird, die bisherige Staatsphilosophie der "Gross National Happiness", die versucht, "einen Ausgleich zwischen materiellem Fortschritt und spirituellem Wohlbefinden" herzustellen, fortzusetzen, oder ob es in Zukunft in Bhutan unruhigere innenpolitische Entwicklungen geben wird. Allgemein wird erwartet, dass das Experiment des kontrollierten demokratischen Wandels, der vom vierten König initiiert wurde, erfolgreich verlaufen werde.

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