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14. April 2014. Analysen: Indien - Natur & Umwelt Ansätze von Nachhaltigkeit in Tourismus und Politik

Fragen von Respekt und Identität in Zentralindien

Zentralindien ist touristisch, von einigen Nationalparks abgesehen, kaum erschlossen. In den Parks wiederum liegt der Fokus mehrheitlich auf den Tigern, während die lokale Bevölkerung meist nicht wahrgenommen wird. Viele Regierungsprogramme scheitern in der Region, weil es in der Planung und Implementierung am notwendigen Respekt im Umgang mit den Menschen und deren Traditionen mangelt. Insbesondere die Berücksichtigung lokaler Interessen und die Teilhabe der örtlichen Bevölkerung sind oft nicht gegeben.

Indiens "Tribal Belt" erstreckt sich in einem langgezogenen Halbkreis durch das mittlere Landesinnere: vom Süden Rajasthans und Gujarats über Madhya Pradesh, Chhattisgarh, Jharkhand, Orissa und Teile Maharashtras bis ins nördliche Andhra Pradesh. Die indigenen Gruppen Indiens werden als Adivasi, "erste Bewohner_innen" bezeichnet und vom indischen Staat als Scheduled Tribes klassifiziert. In Zentralindien leben eine Vielzahl unterschiedlicher indigener Gruppen, die sich in ihren Sprachen, Kulturen und Lebensweisen stark von einander unterscheiden. Über Wüsten, Berge, Wälder und Plateaus bietet das Areal unterschiedliche Landschaften, welche die Lebensweise der indigenen Gruppen beeinflussen. Bisher ist Zentralindien vom Tourismus bis auf wenige Ausnahmen wie Khajuraho oder Sanchi kaum erschlossen und sowohl vielen ausländischen Indienreisenden als auch der Mehrzahl der Inder_innen unbekannt.

Auf der Grenze der beiden Bundesstaaten Madhya Pradesh und Chhattisgarh befinden sich die Maikal Hills, ein kleines Mittelgebirge, welches die östliche Begrenzung des Satpura Plateaus darstellt. Hier entspringt der Narmada in Amarkantak, von wo aus er zu einem der größten Flüsse Indiens anschwillt. Die gesamte Bergregion ist stark bewaldet. Unter den hiesigen Baumsorten befinden sich insbesondere Teak und Sal, welche von der britischen Kolonialregierung als besonders wertvoll erachtet wurden. Weiterhin erkannten sie die Bedeutung der Maikal Hills mit ihren zahlreichen kleineren und größeren Flusssystemen für die umliegenden Ebenen. Daher deklarierten sie einen Großteil der Wälder in ihrer Forstgesetzgebung als Regierungseigentum und schränkten auf diese Weise den Zugang und die Nutzung der Waldprodukte ein oder untersagten ihn in bestimmten Teilen ganz. Diese Maßnahmen beeinflussten das Leben der hiesigen indigenen Bevölkerung nachhaltig. Die Briten sahen ihre Gesetzgebung und Programme als Entwicklungsmaßnahmen an, durch welche die von ihnen als primitiv erachteten Menschen Anschluss an den Mainstream der Gesellschaft erhalten sollten. Insbesondere die oft auf den Wald ausgerichtete Lebensweise und Abhängigkeit der Indigenen sollte nach Meinung der Kolonialregierung verändert werden.

Gonds und Baigas als Adressaten staatlicher Entwicklungsprogramme

In den Maikal Hills lebten und leben verschiedene indigene Gruppen, wobei die Gonds und Baigas eine herausragende Stellung einnehmen. Angehörige der Gonds haben bis 1857 als mehr oder weniger unabhängige Könige die Region regiert (Wills (1923): 103f.), welche damals unter dem Namen Gondwana bekannt war. Baigas werden als die Herren des Bodens (Bhumijan) und  Herren der Tiere (Prashupati) bezeichnet. Sie sind eine kleine Gruppe, die in den Maikal Hills über einen hohen Status verfügt, allerdings zu einer der ärmsten Bevölkerungsgruppen zählt. Auf Grund ihrer einfachen Lebensweise und ihrer bis heute währenden Abhängigkeit vom Wald, werden sie von der Regierung Madhya Pradeshs als "most primitive tribe" kategorisiert. Im Allgemeinen gehören viele Distrikte in dieser Bergregion zu den ärmsten in ganz Indien.

Es gibt viele Regierungsprogramme, die sich mit der "Entwicklung" der gesamten Region und den Baigas im Besonderen befassen. Die Idee der heutigen Entwicklungsprogramme und die Logik dahinter hat sich seit der Kolonialzeit nur wenig verändert. Legten die Briten ihren Fokus noch auf den Ausbau der Landwirtschaft und versuchten Gonds und Baigas als sesshafte Pflugbauern zu etablieren, geht es dem indischen Staat heute vor allem um den Ausbau von Bergbaugebieten, den Bau von Staudammprojekten zur Bewässerung und Energieerzeugung oder die Etablierung von Nationalparks und Schutzgebieten. In beiden Fällen werden die traditionellen Landrechte der indigenen Bevölkerung, welche über einen anderen Eigentumsbegriff als die Kolonialherren oder der Indische Staat verfügen, nicht beachtet und viele Programme zielten und zielen auf ihre Umsiedelung ab. Das Ziel der jeweiligen Verwaltungen ist es, die Lebensweise der traditionellen Gesellschaften zu verändern, sie zu produzierenden Mitgliedern der Gesellschaft zu machen. 1 Auf diese Weise könnten sie die verlangten Steuern zahlen und an der Modernität mit ihren Neuerungen teilhaben.

Das Konzept von "Governance", meist als die Teilhabe an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen wie deren Umsetzung verstanden, wird vom Indischen Staat und seinen Unionsregierungen stark betont. Doch im Umgang mit indigenen Gesellschaften wird dieser Aspekt meist missachtet, vielmehr bestimmen alte Vorurteile und Missverständnisse vor allem gegenüber den Baigas das Verhältnis. Viele der Regierungsansätze als auch die Maßnahmen von Nicht-Regierungs-Organisationen missachten oftmals die Identitäten und Traditionen der Menschen, zusätzlich befriedigen sie nicht die bestehenden lokalen Bedürfnisse. Weiterhin gibt es einen Missbrauch der übertragenen Verantwortlichkeiten, wie in einigen Fällen der staatlichen Adivasi-Schulinternate. In diesem Zusammenhang wurde von veruntreuten Geldern und Vernachlässigung der Kinder berichtet (Yadav (2013): 1). 

 

Adivasi Schülerinnen
Mädchen zwischen fünf und zwölf Jahren in einem Regierungsinternat für Adivasis

Vom Wildlife-Tourismus im Kanha National Park und in den neu entstandenen Wildlife Sanctuaries von Bhoramdeo und Achanakmar abgesehen, gibt es fast keinen Tourismus in den Maikal Hills. Durch den Naturschutz wird der Fokus mehrheitlich auf den Tiger und andere seltene Tierarten der Region gelegt. Die seit Jahrhunderten mit diesen Tieren lebenden Gesellschaften werden nicht beachtet und neuerdings für den Erhalt der Natur umgesiedelt. Selbst renommierte Tigerforscher_innen, wie Dr. Nanda Rana und Dr. Latika Rana, kritisieren diesen Umstand stark. Viele Tourist_innen sind so auf den Tiger fokussiert, dass sie die Umgebung mit ihren Wäldern und Tieren gar nicht beachten, von der in den Maikal Hills lebenden Bevölkerung ganz zu schweigen.

Indigene Identitäten und Rechte

Der Bevölkerungsanteil der Adivasis in der gesamten Region beläuft sich auf etwas mehr als 50% (Government of India (2005): 233ff.). 2 Schon seit langer Zeit leben sie gemeinsam in diesem Gebiet und zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen und Kasten bestehen soziale und ökonomische Beziehungen. In der Region hat es schon immer Kontakte und damit einen kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen der sogenannten Stammes- und der Kastengesellschaft Indiens gegeben (vgl. Pfeffer (1997): 10). Zu beobachten ist dies an den sozialen Aktivitäten und der Bedeutung der kleinen Wochen-Märkte (haat). Diese dienen nicht nur zum Austausch verschiedenster Produkte und Dienstleistungen, sondern sind vielmehr ein soziales Ereignis, bei dem man Freunde und Verwandte trifft, sich mit ihnen bei einem Glas Mahua (lokaler Schnaps aus Blüten des Mahua-Baumes) über Neuigkeiten austauscht. An Hand dieser Beziehungen lassen sich eventuell lokale Übereinstimmungen in Traditionen erklären, trotz der bestehenden Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen und Kasten. Dazu zählt auch die Verwendung des Chhattisgarhi als eine Art Vermittlungssprache zwischen den verschiedenen Gruppen und Kasten neben den innerhalb einiger Gruppen gesprochenen spezifischen Sprachen und Dialekten.

Die indische Verfassung sichert der indigenen Bevölkerung des Subkontinents Rechte zur Sicherung und Wahrung ihrer Tradition und Identitäten zu. Die Wahrung und Selbstbestimmung über Tradition und Rechte ist in der Verfassung unter den "indirekten Prinzipien" formuliert. Diese sind zwar Teil der Verfassung, aber von den einklagbaren Grundrechten getrennt und als solche nicht einklagbar. Es handelt sich vielmehr um den Entwurf eines politisch-rechtlichen Handlungsrahmens, innerhalb dessen politische und soziale Entscheidungen getroffen werden (Rothermund ( 1993 ) : 25f.). Nichtsdestotrotz werden sie zur Urteilsbegründung durch den obersten indischen Gerichtshof herangezogen, wobei mitunter auch eine Kritik am Staat und seinem neoliberalen Wirtschaftsmodell geäußert wird. Dabei wird nicht nur das wirtschaftliche Vorgehen kritisiert, sondern auch damit einhergehende Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der maoistischen Rebellen (Naxaliten), wie zum Beispiel in Chhattisgarh (Jaoul & Desquesnes (2011): 15).

"Primitivität" und "Nachhaltigkeit"

Noch heute werden viele indigene Gruppen, darunter die Baigas, in wissenschaftlichen Publikationen und nach Staatsauffassung als "primitiv" angesehen (Gautam: 1). 3 Als Ausgangspunkt dient ihre meist auf den Wald ausgerichtete Lebensweise und Subsistenzwirtschaft, die keine Überschüsse produziert. Diese Kategorie besitzt neben dem hier bezeichneten ökonomischen Aspekt ebenfalls eine moralische Komponente. Diese geht mit den Zuschreibungen von Vorurteilen auf Grund der unterstellten "Primitivität" einher. Zu diesen gehören Alkoholismus, Unzuverlässigkeit und Gewalttätigkeit. 

 

Schulgebäude
Ein Schulgebäude in einem Baiga-Dorf

Im Bundesstaat Madhya Pradesh bezeichnet die administrative Kategorie der "most primitive tribes" die drei "rückständigsten" Gruppen. Für den Tribal Commissioner ist es das erste Ziel für das Tribal Development Department (TDD), diese Gruppen auf eine "Entwicklungsstufe" mit den anderen Adivasis in Madhya Pradesh zu bringen. Danach soll allen Indigenen der Anschluss zur Gesellschaftsmitte 4 ermöglicht werden (Upadhyay [2013]). Die Vorstellung von "Primitivität" dient in diesem Zusammenhang auch als Legitimation, um verschiedene Maßnahmen voranzutreiben und umzusetzen. Es stellt sich die Frage, worauf der Fokus gerichtet ist: Das Wohl der betroffenen Menschen oder die Wahrung von oft wirtschaftlich motivierten Staatsinteressen.

"Primitivität" ist eine relativ unbestimmte und offene Kategorie, die schnell auf Indigene in Indien angewandt wird und dabei legitimierenden Charakter für "Entwicklung" so wie deren Implementierung erhält. Offensichtlich sind die Vorstellungen von "Primitivität", "Nachhaltigkeit" und "Entwicklung" miteinander verknüpft worden: Die als "primitiv" klassifizierten Gruppen sollen "entwickelt" werden. Dieser Prozess soll "nachhaltig" sein, das heißt, dass bei der Umsetzung keine Abhängigkeit von staatlichen Organisationen und Geldern aufgebaut werden soll. Vielmehr werden Anreize und Möglichkeiten geboten, um nach kurzer Zeit wirtschaftliche Prozesse fortzuführen. Diese sind zwar vom Staat initiiert worden, können aber in Zukunft ohne dessen Hilfe und nur durch das Engagement der beteiligten Personen erfolgreich fortgesetzt werden. Nach staatlicher Auffassung ist dies die Vorstellung von "nachhaltiger Entwicklung", wie sie bei Projekten im Kanha National Park laut dessen Managementplan umgesetzt werden (Gopal & Shukla (2001): 75).

Der aus der Tradition der deutschen Forstwirtschaft kommende Begriff der "Nachhaltigkeit" legt der Nutzung natürlicher Rohstoffe eine Schranke auf. Im Vordergrund steht die dauerhafte optimale Nutzung einer Ressource. Bestimmt wird diese durch das Vorhandensein der Ressource im Verhältnis zu dessen Nutzbarmachung. Der Nachhaltigkeitsbegriff ist somit immer normativ, lässt sich vom Wald auf andere Ressourcen übertragen und betont die inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit (Ott & Döring (2004): 21). Die Theorie wird in einem Drei-Säulen-Modell angewandt. Die Säulen "Ökologie", "Ökonomie" und "Soziales" stehen gleichberechtigt nebeneinander und werden durch den Begriff der Nachhaltigkeit zusammengehalten. Jedoch sind die Säulen "Soziales" und "Ökonomie" offen für jegliche sozialpolitische Zielsetzungen, die mit dem Prädikat "nachhaltig" versehen werden. Auf diese Weise wird die Nachhaltigkeitsidee verwässert und in einigen Fällen sogar gegen den Naturschutz angewandt (Ott & Döring (2004): 35f.).

"Nachhaltige Entwicklung" rechtfertigt vor allem Maßnahmen und Projekte für Adivasis in der Region der Maikal Hills. Die angestrebte Entwicklung sollte nachhaltig sein, was in diesem Fall soviel meint, dass Prozesse bezüglich Bildung, Arbeitsplätze und Infrastruktur angeregt werden sollen. Anschließend generieren sich diese selbst weiter und lösen positive Anreize für weiteres (ökonomisches) Wachstum aus. Das Label "Primitivität" legitimiert die Veränderung und Eingriffe in ihre Lebensweise, wobei die angeregten wirtschaftlichen Tätigkeiten oftmals nicht der traditionellen Kultur entsprechen und bestehende Identitäten und Interessen nicht respektvoll achten würden. In diesem Prozess werden Entwicklungsvorstellungen mit Eigenschaften des Nachhaltigkeitsbegriffs kombiniert. Diese Transformation geht mit einer immer stärken Betonung des ökonomischen Aspektes gegenüber einer Vernachlässigung des ökologischen einher.

Ein weiteres Problem bei der Umsetzung dieser Politik sind bestehende Vorurteile gegenüber Adivasis, die wiederum auf die ihnen unterstellte "Primitivität" zurückzuführen sind: Von vorneherein werden auf Baigas Vorurteile angewandt. Einhergehend mit der unterstellten "Primitivität", werden sie eher ungern längerfristig beschäftigt. Dies gilt sowohl für Anstellungen im Tourismusbereich, als auch für Jobs und Tätigkeiten im Rahmen des Forest Departments.

Nachhaltiger Tourismus unter Teilhabe der örtlichen Gemeinschaften: 'Sunny' und sein Bhoramdeo Jungle Retreat

Die indigenen Gesellschaften der Maikal Hills verfügen über eine sehr enge und innige Beziehung zur Natur in Form der Erdgöttin Dharti Mata und der Waldgöttin Van Ma. Diese Aspekte ihrer Kultur und ihres Lebens in den meist tief im Wald und an den Berghängen gelegenen Dörfern zu vermitteln, hat sich zum Beispiel Satyendra 'Sunny' Upadhyay verschrieben. Ihm geht es zu allererst um die Menschen, die er in vielfältiger Weise und mit verschiedenen Projekten unterstützt. Sunny unterhält eine langjährige und freundschaftliche Beziehung zu einer Vielzahl von Baiga- und Gonddörfern in den Maikal Hills. In der Distriktshauptstadt Kawardha (Chhattisgarh) geboren und aufgewachsen, spricht er nicht nur die lokale Sprache Chhattisgarhi, sondern auch die indigenen Sprachen Gondi und Baiga Bascha. Dies bringt ihm nicht nur viel Achtung der Baigas und Gonds entgegen, sondern ermöglicht ihm eine Kommunikation auf Augenhöhe mit den Dorfbewohner_innen. Zusätzlich interessiert er sich für ihre Kultur und Lebensweise, denen er mit dem gebührenden Respekt begegnet. Um seine Ideen und Projekte umsetzen zu können und dafür Geld zu akquirieren, betreibt er ein kleines Resort in Bhoramdeo am Rande der Maikal Hills.

 

Jungle Resort
Das Bhoramdeo Jungle Retreat im Kawardha Distrikt (Chhatthisgarh)

Mittlerweile besitzt das Bhoramdeo Jungle Retreat neun Räume, um seine Gäste zu beherbergen. Die Unterkünfte sind einfach gehalten und mit indigener Schmiedekunst, Bastarbeiten und Bildern ausgestattet. Für die Zukunft sind keine weiteren Räumlichkeiten geplant, da Sunny vielmehr daran gelegen ist, kleine Gruppen oder Einzelpersonen zu versorgen. Auf diese Weise kann er Trekking- und Fahrradtouren, sowie Dorf- und Marktbesuche selbst leiten. Mit Gruppen von fünf bis sieben Personen stellen derartige Aktivitäten keine Probleme dar. Mehr Gäste würden den Kontakt mit den Dorfbewohner_innen unnötig erschweren. Außerdem besucht Sunny mit seinen Gästen eine Vielzahl von Dörfern, um Abhängigkeiten der jeweiligen Dorfbewohner_innen vom Tourismus zu vermeiden und das Dorfleben nicht unnötig zu beeinflussen. Für die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit der jeweiligen Dörfer revanchiert sich Sunny auf unterschiedlichste Weise: Zum Einen verteilt er die besonders im Winter dringend benötigten Decken, zum Anderen unterstützt er Aufforstungsprojekte durch das Verteilen von Baumsetzlingen. Weiterhin hat er eine Schule in einem abgelegenen Dorf betrieben, um so den Kindern den Zugang zur Grundbildung zu verschaffen. Alle Schüler_innen sind nach zwei Jahren in eine staatlich geführte Schule aufgenommen worden. Eine Möglichkeit, die ihnen vorher verwehrt worden ist. Weiterhin werden für Schulen Schreibmaterialien wie kleine Kreidetafeln bereitgestellt. Die medizinische Grundversorgung wird durch das Verteilen von freien Medikamenten verbessert und in Kürze soll eine eigene kleine Klinik im Bhoramdeo Jungle Retreat eröffnet werden, um die Fahrt in die Distrikthauptstadt Kawardha und die damit zusammenhängenden Probleme zu vermeiden.

Sunny unterstützt und beteiligt sich auch an lokalen Projekten des WWF und von UNICEF. Allerdings gibt es einige von vielen Bewohner_innen kritisch gesehene Projekte, wie das Errichten von Schulgärten oder die Sensibilisierung von Adivasi Kindern durch den WWF. Nicht alle Projekte sind erfolgreich oder werden von den Zielgruppen positiv wahrgenommen. Zum Beispiel empfinden die Erwachsenen es eigenartig, dass ihre Kinder von WWF Mitarbeiter_innen über Tier- und Pflanzenschutz aufgeklärt werden und dieses Wissen explizit an ihre Eltern weitergeben sollen. Dabei haben die Eltern und auch deren Kinder meist das größere Wissen über lokale ökologische Zusammenhänge und Besonderheiten, im Gegensatz zu den meist in klimatisierten Büros an Schreibtischen arbeitenden WWF Angestellten. Die Kritik vieler Baigas ist, dass ihnen Unwissenheit und indirekt eine Mitschuld an bestehenden Problemen von Wilderei und illegalem Holzschlag  unterstellt wird.

Gleichwohl gibt es Ergebnisse durch Aufforstungsprojekte oder die Unterstützung von Handwerkstätigkeiten wie Weben oder Bambusarbeiten. Sunny Upadhyay stellt mit seinem Wissen über die Region eine wichtige Unterstützung für die Arbeit dieser Institutionen dar. Er kann Kontakte herstellen und Menschen in den Dörfern vorstellen, um eine Vertrauensbasis zu schaffen. Nur so gelingt die Vermittlung der Absichten und Ziele verschiedener Programme, die lokale Teilhabe an diesen und auf Grund dessen die erfolgreiche Implementierung und Akzeptanz. Ohne diesen lokalen Zugang werden die Projekte von den Menschen nicht akzeptiert. Akzeptanz heißt noch nicht, dass die Menschen bei der Umsetzung involviert werden und ihre Bedürfnisse angesprochen werden. Beamt_innen haben meist ganz genaue Vorstellungen von dem, was zu machen ist und wie es auszuführen ist. Dieses Vorgehen wird meist nicht den lokalen Gegebenheiten und Personen angepasst. Dies ist ein wichtiger Punkt, weshalb die Mehrzahl der Regierungsmaßnahmen unwirksam ist. Vor Ort lässt sich beobachten, dass eine Vielzahl der jeweiligen Beamt_innen aus einer Machtposition heraus agiert, die auf ihrer Stellung in der Administration beruht und die ihren Umgang mit den Indigenen stark beeinflusst. Sie schreiben den Menschen von oben herab vor, was sie wie zu tun haben und gehen keine Interaktion mit diesen ein. Dieses Vorgehen findet kaum Akzeptanz bei den Indigenen.
Der Ansatz von Satyendra Upadhyay mit seinem Bhoramdeo Jungle Retreat ist nur eine Möglichkeit, etwas für die lokale Bevölkerung der Maikal Hills zu tun. Doch vor allem im Feld des Tourismus ist es offenbar der bisher einzige Versuch echter Nachhaltigkeit. Er berücksichtigt die Bedürfnisse der Menschen, begegnet ihnen mit Respekt und schafft keine unnötigen Abhängigkeiten, sondern vielfältige Unterstützung auf lokaler Ebene durch unterschiedliche Projekte. Diese Ideen sind allesamt bei weitem nicht neu, doch oftmals mangelt es an einer wirklichen Umsetzung in den Maikal Hills.

Auch Sunny gelingt es nicht, alle Projekte erfolgreich umzusetzen. Dies liegt vor allem auch an den limitierten finanziellen Möglichkeiten. Weiterhin soll die Kritik an staatlichen Ansätzen nicht suggerieren, dass es nicht auch Beamt_innen gibt, die sich für Indigene und ihre Bedürfnisse einsetzen, sie in ihren Vorhaben unterstützen und ihnen in diesem Prozess ohne Vorurteile begegnen. Auch viele Hotels, vor allem in der Umgebung des Kanha National Parks, verfolgen Ansätze der nachhaltigen Entwicklung und des Ökotourismus. Jedoch werden die indigenen Gesellschaften der Baigas und Gonds dabei häufig nicht berücksichtigt oder sie werden zu illegalen Aktivitäten, wie dem Fällen von Bäumen im Nationalpark oder zum Wildern motiviert. Nur wenn die lokalen Gesellschaften in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden, können Förderprogramme und Regierungsmaßnahmen akzeptiert und erfolgreich implementiert werden. Die indische Verfassung spricht der Vielzahl von indigenen Gesellschaften auf dem Subkontinent umfassende Rechte zur Wahrung ihrer Identität und Lebensweise zu. In der Realität werden diese jedoch häufig missachtet. Dies geschieht oft im Namen von Entwicklungsprojekten, von denen die Regierung quasi automatisch erwartet, dass sie die Situation in den jeweiligen Regionen und für Alle zum Besseren verändern. Dass es jedoch keinen kausalen Zusammenhang zwischen industriellen Großprojekten und sozialer Partizipation und Gerechtigkeit gibt, steht dabei außer Frage.

 

 [ 1 ] Elwin (1986): 110f. und Interview mit Ashish Upadhyay (2013).

 [ 2 ] Die vorliegenden Daten beziehen sich auf die Distrikte Mandla, Dindori und Balaghat in Madhya Pradesh.

 [ 3 ] "They [Baiga, S.B.] are not only tribe but they are identified as primitive tribe. Do you know why they are identified as primitive tribe? Because, in the era of science and technology, they are technologically in the pre-agricultural stage, their economy is simple and forest base, they are extremely poor, most of them are illiterate and their population is stagnant" (Gautam: 2). Mit diesen Worten beginnt der indische Anthropologe Rajesh Gautam sein Buch "Baigas. The Hunter and Gatherers of Central India" aus dem Jahr 2011.

 [ 4 ] Zur Bestimmung der indischen Mittelklasse – qualitativ und quantitativ - hat es in den vergangenen Jahren eine umfassende gesellschaftliche Diskussion gegeben. Statt zur Klärung des Begriffs, hat diese zu seiner Aufweichung  geführt.

Quellen

Monographien

Government of India (2005): Census of India 2001. Madhya Pradesh. Primary Census Abstract. Directorate of Census Operations. Madhya Pradesh. Delhi: Controller of Publications.

Elwin, Verrier (1986 [1939]): The Baiga. Delhi: Gian Publishing House.

Gautam, Rajesh K. (2011): Baigas. The Hunter Gatherers of Central India. New Delhi: Readworthy.

Gopal, Rajesh & Shukla, Rakesh (2001) Management Plan for Kanha National Tiger Reserve. For the period 2001-02 to 2010-11. Vol. I (Text) (Mandla). (unveröffentlicht)

Ott, Konrad & Döring, Ralf (2004): Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit. Marburg: Metropolis Verlag.

Rothermund, Dietmar (1993): Staat und Gesellschaft in Indien. Mannheim/Leipzig u.a.: B.I.-Taschenbuchverlag.

Wills, C.U. (1923): The Raj-Gond Maharajas of the Satpura Hills. A Local History, mainly based on Mahomedan Authorities.Nagpur: Central Government Press.

Sammelbandbeiträge

Pfeffer, Georg (1997): The Schedulded Tribes of Middle India As A Unit: Problems of Internal and External Comparison. In: Contemporary Society. Tribal Studies. Vol. 1 Structure and Process. Hg. von Deepak Behera & Georg Pfeffer,  New Delhi: Concept Publishing Company:  3-27.

Zeitungsbeiträge

Jaoul, Nicolas & Desquesnes, Naike (2011): Operation Green Hunt. Indien streitet über den Krieg der Regierung gegen die maoistischen Guerilla. In: Le Monde diplomatique, November 2011, Seite 14-15.

Yadav, Sharat (2013): `Tribal girls´ Hostel in Kanker sealed. In: The Hitavada, Jabalpur Ausgabe, 08.01.2013, Seite 1.

Interviews

Ashish Upadhyay, Tribal Commissioner, Direktor des Tribal Development Department und Tribal Development Agency, geführt am 11.03.2013 im Satpura Bhavan

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